Sanego: BGH weist radikales Landgericht Stuttgart zu Recht - keine Zensur bei anonymen Postings auf Bewertungsportalen

Die Mehrheit der Internet-Nutzer, die auf Bewertungsportalen ihre Meinung abgeben, tun dies anonym. Aus gutem Grunde: Nicht jeder Freund, jeder Arbeitgeber, muss wissen, welchen Arzt oder welches Unternehmen von den eigenen Freunden oder Mitarbeitern wie bewertet wurde. Nachdem das in der Internetszene als radikal verschriene Landgericht Stuttgart "einmal mehr versucht hat, das Internet mundtot zu machen und zu zensieren" (O-Ton Anwalt), hat der Bundesgerichtshof, kurz BGH genannt, die Richter des Landgerichts Stuttgart nun zurecht gewiesen:

Für sanego dürfte es in dem BGH-Verfahren um alles gegenange sein, die Existenz.

Die Meinungsfreiheit stehe höher, als das Bedürfnis der Stuttgarter Landgerichts-Richter, das Internet mit juristischen Keulen mundtot zu machen, so kann man das aktuelle BGH-Urteil interpretieren. So stärkte nun der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, kurz BGH, das Recht auf Anonymität im Internet, besonders im Falle von Postings auf Bewertungsportalen. Das heißt allerdings nicht, dass jeder über sich übelste Schmähungen akzeptieren muss. Aber es heißt sehr wohl, dass der BGH die Meinungsfreiheit sehr hoch einschätzt:

Dennoch gilt nach wie vor, dass im Zweifelsfall der Portalbetreiber selbst in Haftung genommen werden kann, wenn er in seinem Kommentar- oder Blogbereich nicht wenigstens rudimentär dafür sorgt, dass Recht und Gesetz eingehalten werden.

Derzeit gilt: Wer als Portalbetreiber von einem rechtlichen Verstoß auf Grund einer Bewertung oder eines Kommentares erfährt, der ist ab Kenntnisnahme dieses Verstoßes in der Pflicht zu handeln. Das kann bedeuten: Entweder die Bewertung im Internet etwas redigieren oder ganz offline nehmen oder es auf einen - allerdings schnell sehr teuren - Gerichtsprozess ankommen zu lassen.

Letzteres kann die Grenze von 5.000 Euro an Kosten für Anwälte (eigener und jenem der Gegenseite) sowie Gerichtskosten und gegebenenfalls Reisekosten zum Ort der Gerichtsverhandlung zügig übersteigen.

BGH stärkt die Grundrechte der Bürger

All dies stimmt zwar, dennoch ist sich der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bewusst, wie wichtig die Chance für die Menschen ist, Bewertungen auch anonyme im Internet abgeben zu dürfen, ohne Angst zu haben, per Gerichtsbeschluss denunziert zu werden. Der BGH entschied nun, dass der Portalbetreiber (konrekt handelte es sich um das Arzt-Bewertungsportal Sanego) erst dann die Daten zum Kommentarschreiber (IP-Nummer, Email-Adresse, gegebenenfalls- sofern bekannt - auch den Original-Namen) herauszugeben hat, sollte von der Staatsanwaltschaft ein Strafrechtsverfahren eröffnet worden sein.

"Der Betreiber eines Internetportals ist in Ermangelung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Sinne des § 12 Abs. 2 Telemediengesetz grundsätzlich nicht befugt, ohne Einwilligung des Nutzers dessen personenbezogene Daten zur Erfüllung eines Auskunftsanspruchs wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung an den Betroffenen zu übermitteln", teilte nun die Karlsruher BGH-Richter nüchtern mit.

Matthhias Siegmann, ein Anwalt der einen Arzt vertrat, der sich auf Sanego zu Unrecht mit einem Vorwurf bewertet und verurteilt sah, sagte im ZDF, er könne die Entscheidung des BGH nicht nachvollziehen, da der Kommentarschreiber (Anmerkung: auf dem Arzt-Bewertungsportal Sanego) über einen Zeitraum von einem Jahr immer wieder falsche und unwahre Behauptungen verbreitet habe.

"Landgericht Stuttgart ist als radikal verschrien"

Einmal mehr fällt in dem Verfahren aber auch das Landgericht Stuttgart auf "als ein Gericht, das radikal immer wieder versucht, immer wieder die Meinungsfreiheit im Internet fast schon mit Zensurausmaß zu verhindern", urteilt ein Leipziger Anwalt. So "schreckt dieses Gericht selbst bei kleinsten vermeintlichen Verfehlungen nicht davor zurück, gleich einmal den angeblichen Streitwert auch gegen kleinste Blogs auf 150.000 Euro festzuschreiben". Das wüssten mittlerweile auch Stuttgarter Großkanzleien, die gerne kleine Blogs alleine schon mit der Ankündigung, einen Streitwert auf 500.000 Euro festzusetzen, massiv einschüchtern und ebenfalls mundtot machen wollten.

Denn Basis für das jetzige BGH-Urteil war unter anderem eine radikale Entscheidung des Landgericht Stuttgart, welches in einem Urteil im Januar 2013 (Az. 11 O 172/12) das Bewertungsportal Sanego dazu verdonnert hatte, die Verbreitung der vom Kläger (dem Arzt) beanstandeten Behauptungen zu unterlassen sowie Name und Anschrift des Verfassers offenzulegen.

Doch im Falle des Arzt-Bewertungsportals Sanego bissen die als Zensur-Richter und radikal in der Internetszene verschrienen Richter am Landgericht Stuttgart auf Granit. Denn das Portal Sanego hatte genug finanzielle Rücklagen, um es sich leisten zu können (nötig sind gut 30.000 Euro Rücklagen), es auf einen Prozess in der nächsten Stufe ankommen zu lassen und Berufung einzulegen (Az. 4 U 28/13). Allerdings hatte auch die nächst Stufe, die dem Landgericht Stuttgart gut bekannten Kollegen am Oberlandesgericht Stuttgart, (OLG), sich auf die Seite der Zensur-Anhänger geschlagen. So hatte auch das konservative OLG Stuttgart das Grundgesetzt eher ignoriert und auf die Herausgabe der Kontaktdaten der anonymen Bewerter geurteilt.

50.000 Euro sollte man für die Revision vorm BGH als Rücklage auf der hohen Kante haben...

Also blieb dem Arzt-Bewertungsportal Sanego nichts anderes übrig als noch eine Stufe höher zu gehen, was ungefähr einer möglichen Verdoppelung der hierfür notwendigen juristischen Kosten entspricht. Heißt: Wer nicht rund 50.000 Euro an Rücklagen für die Erklimmung eines BGH-Urteils hat, der sollte lieber die Finger davon lassen.

Dennoch wagte das Arzt-Bewertungsportal Sanego diesen nächsten juristischen Klimmzug - und gewann in der jetzigen Revisionsverhandlung vor dem BGH.

"Endlich haben die in der Internetszene als Zensoren verschrienen Richter am Landgericht Stuttgart und am Oberlandesgericht einmal öffentlichkeitswirksam vom BGH die rote Karte gezeigt bekommen", sagt ein Leipziger Anwalt hierzu. Er kenne "zahlreiche Fälle, in denen vor allem das Landgericht Stuttgart haarsträubend gegen das Grundgesetz mit Zensurmaßnahmen und völlig überzogenen Urteilen" verstoßen habe, "nur um kleine Internetportale mundtot zu machen", erzählt der Anwalt.

Dennoch sagten auch die BGH-Richter, dass persönlichkeitsverletzende Äußerungen niemand einfach hinnehmen müsse, sondern dass hier ein Anspruch auf Unterlassung bestehen könne. Doch auch hier gilt: Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden. Urteile und Streitstummen-Festlegungen von über 50.000 Euro gegen kleine Portale sind völlig überzogen und erinnern an Versuche, die Internetszene durch hohe Kostenblöcke zu zensieren. Das ist nicht im Sinne des Erfinders des Grundgesetztes.

Was viele nicht wissen: Onlineportale erhalten in der Regel nur Geld, wenn die Nutzer auch auf die Werbung klicken, sollte sie die Werbung interessieren. Für das reine Einblenden von Werbung gibt es in der Regel kein Geld. Doch viele Portale - auch sanego.de - refinanzieren sich primär durch Werbung. Nur damit können die meisten Onlineportale ihr Angebot kostenlos oder kostengünstig aufrechterhalten und auch einmal einen Rechtsprozess überstehen.