Beim Stöbern in der heute nicht mehr existierenden Zeitschrift "Seidels Reklame" vom September 1928 sind wir über einen sehr interessanten Artikel zu deutschen Medien im Ausland - und zwar deutschen Zeitungen im Ausland im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA, aber auch in Argentinien oder Brasilien, also Südamerika, gestoßen. Wir möchten diesen Artikel den Netz-Trends.de-Lesern als zeithistorisches Dokument zur Kenntnis geben. Leider konnten wir weder mit dem Autor noch mit den möglichen Nachfahren Kontakt aufnehmen, so dass wir hoffen, hier niemandem urheberrechtlich auf die Füße getreten zu sein. Die in fett markierten Stellen wurden von uns zwecks der besseren Lesbarkeit hervorgehoben, ebenso die Zwischenüberschriften im Artikel:
"In den deutschen Tageszeitungen werden soeben statistische Einzelheiten über die deutsche Einwanderung nach den Vereinigten Staaten von Amerika mitgeteilt , und zwar sind diese Angaben amtlichen Quellen entnommen. Mit Staunen erfährt es der deutsche Leser, der die Verhältnisse über See nur vom Hörensagen und nicht aus eigener Anschauung kennt, welch ungeheurer Strom deutscher Volkskraft und deutschen Geistes sich auch heute noch, nach verringerter Einwanderungsquote, in das Riesenland jenseits des Weltmeers ergießt.
Im Großhandel sind augenblicklich 23000, im Bank- und Börsenfach 15000, in leitenden Montanstellungen 13000 im Hotelgewerbe ebenfalls 13000, bei der Eisenbahn 6000, im Speditionsgewerbe 4000, im Kohlenhandel und Speichergewerbe 4000 und an Bord amerikanischer Schiffe als Angestellte 8000 deutsche Menschen tätig. Das Bild wird vervollständigt durch den Nachweis der letzten amerikanischen Volkszählung, dass in den geistigen Berufen 27000 Geistliche, 7500 Juristen, 7500 Künstler und Schauspieler und 2500 Universitätslehrer deutscher Herkunft sind. Das sind alles in allem 126500 Menschen, um die Liste kann natürlich noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen. Die Zahl der Bürger gewordenen deutschen Einwanderer geht in die hohen Hunderttausende, die Zahl der Amerikaner deutschen Blutes in zweiter und dritter Generation geht in die Millionen.
Diese Zahlen muss man sich immer vor Augen halten, um das richtige Verhältnis zu der deutschsprachigen Presse in den Vereinigten Staaten zu gewinnen, um es überhaupt verstehen zu können, dass eine deutschsprachige Presse in Amerika möglich ist. Sie ist aber nicht nur möglich, sondern noch viel mehr nötig. Denn ohne diese Zeitungen in der Muttersprache der Einwanderer würden diese noch geschwinder, als es leider schon so der Fall ist, der Heimat völlig entfremdet werden. Die deutschsprachigen Zeitungen sind das Bindeglied zwischen der alten und er neuen Heimat; sie sind aus einem inneren Zwang heraus geboren, sie sind eine Kulturnotwendigkeit.
Älteste deutschsprachige Zeitungen in den USA
Dabei ist es natürlich selbstverständlich, dass diese Zeitungen am größten - nach Umfang und Auflage - dort sind, wo sich die größten deutschen Zentren finden. Das erklärt es auch weiter, dass sich die großen Tageszeitungen nur im Osten und Mittelwesen finden - New York, Philadelphia, Chicago, Milwaukee, Cincinnati, St. Louis usw. -, während die Zeitungen im Westen und im Süden nur dreimal, zweimal oder auch nur einmal in der Woche erscheinen. Diese deutschsprachigen Zeitungen in den Vereinigten Staaten sind zum Teil von recht beträchtlichem Alter. Die ältesten dürften die New Yorker 'Staats-Zeitung' und die Pittsburger Zeitung 'Volksblatt und Freiheitsfreund' sein, die beide im Jahre 1834 gegründet worden sind. Der 'Philadelphia Demokrat' ist im Jahre 1838 zum ersten Male erschienen, hat sich jedoch im Jahre 1908 mit der erheblich jüngeren 'Philadelphia Gazette' vereinigt. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe Zeitungen, die auf ein mehr als halbjundertjähriges Erscheinen zurückblicken. Besonders bemerkenswert ist es , dass die deutschsprachigen Zeitungen in Pittsburgh und in St. Louis die überhaupt ältesten Tagesblätter jener beiden Städte sind.
Der Krieg hat unter den deutschen Zeitungen in Amerika recht beträchtlichen Schaden angerichtet und ihre Zahl sehr bedeutend vermindert. So manche alte Zeitung hat das Erscheinen einstellen müssen. Die Kriegspsychose hat dazu geführt, dass diese Blätter die großen Anzeigenaufträge der führenden Firmen verloren, und ohne Anzeigen ist nun einmal keine Zeitung lebenskräftig. Andererseits ist doch seit dem Ende des Weltringens wieder eine wesentlich Besserung der Verhältnisse festzustellen; nicht nur, dass die den Krieg überdauernden Blätter einen neuen Aufschwung genommen haben, es sind auch Neugründungen zu verzeichnen. Im siebenten Jahrgang erscheint jetzt der California Vorwärts, im vierten Jahrgang liegt die California Presse vor, und ganz jungen Datums ist die 'Toledoer Sonntags-Zeitung', die noch im ersten Jahrgang steht.
Alle diese Zeitungen, mögen sie nun täglich, mehrfach in der Woche oder nur einmal wöchentlich erscheinen, haben eine ganz besondere Aufgabe. Sie sind nicht wie man das in Deutschland mitunter glaubt, deutsche Zeitungen, sondern sie sind immer und durchaus amerikanische Zeitungen die lediglich in deutscher Sprache geschrieben und im deutschen Geiste redigiert werden. Mit deutscher Politik haben sie in keinem einzigen Falle auch nur das allermindeste zu tun. Es muss hier ausdrücklich festgestellt werden, um mit einem Irrglauben und einer falschen Vorstellung ein für allemal aufzuräumen, dass es in dem ganzen weiten Gebiete der Vereinigten Staaten keine einzige Zeitung gibt, die als deutsche Zeitung anzusprechen wäre. Nur die Sprache ist deutsch, und an ihrem Gebrauche wird festgehalten, um einmal die neuen Einwanderer aufs schnellste mit den Verhältnissen im neuen Lande vertraut zu machen und sie für Amerika als gute Bürger zu gewinnen, und zum andern, um die kulturelle Verbindung mit der alten Heimat nicht abreißen zu lassen. Dieses Bestreben zu pflegen, liegt im Interesse beider Völker.
Die deutschsprachigen Zeitungen in Amerika dienen den verschiedensten deutschen Kulturkreisen. Die großen Tageszeitungen umfassen natürlich das ganze weite Gebiet deutschen Lebens, und sie widmen dem großen Geschehen im Reiche die größte Aufmerksamkeit. Daneben gibt es indessen nicht wenige Blätter, die Einzelinteressen verfolgen; das sind etwa die landsmannschaftlichen Wochenblätter für die Plattdeutschen oder die Schwaben. Es gibt mehr als eine Zeitung, die den Wolgadeutschen gewidmet ist und die innere Verbindung mit deren Heimat aufrecht zu erhalten bemüht bleibt. Es gibt schweizer-deutsche Zeitungen, es gibt solche für Siebenbürger Sachsen. Es gibt in deutscher Sprache geschriebenen Kirchenzeitungen, ja es gibt sogar eine 'Deutsch-Amerikanische Apotheker-Zeitung', die monatlich einmal erscheint und von einem geborenen Amerikaner redigiert wird.
Es wäre grundfalsch, die Bedeutung aller dieser Zeitungen an Hand ihrer Auflageziffer werten zu wollen: die Bedeutung ist ganz erheblich größer als die Auflage, und niemand weiß das besser als die amerikanische Geschäftswelt und - die Politiker. Diese wissen es ganz genau, wie sehr sie auf das deutsche Votum angewiesen sind und bleiben. Es gibt heute mehr als ein Dutzend täglich und weit mehr als einhundert minder oft erscheinende Zeitungen in deutscher Sprache. Sie allesamt sind notwendig und unerlässlich als Bindeglied zwischen Amerika und Deutschland, zwischen den beiden Völkern und ihrer Geisteswelt. Nichts ist billiger, aber auch nichts törichter, als über die oft in wunderlichem Deutsch geschriebenen Blätter witzeln und spötteln zu wollen, und wer es tut, der erweist seinem Volke den denkbar schlechtesten Dienst.
Älteste deutschsprachige Zeitungen in Brasilien, Argentinien, Chile
Was hier über die deutschsprachige Presse in den Vereinigten Staaten gesagt ist, gilt grundsätzlich ebenso für die in deutscher Sprache gedruckten Zeitungen in anderen überseeischen Ländern. Auch dort gibt es nirgends das, was man als Deutsche Zeitung anzusprechen berechtigt wäre. Die Landesinteressen stehen immer und überall im Vordergrund; die Sprache ist nur das verbindende Mittel. Kein Land der Welt ist so mit deutschem Blute durchgesetzt und getränkt wie die Vereinigten Staaten; infolgedessen ist der Einfluss des deutschen Elements in anderen Ländern miteinander stark und dementsprechend gibt es wieder erheblich weniger deutschsprachige Zeitungen:
Die Führung hat Brasilien, wenn es hier auch keine Zeitung gibt, die sich an Alter mit den nordamerikanischen messen kann. Die bedeutendsten Tageszeitung in deutscher Sprache, die 'Deutsch Zeitung' von Sao Paulo, steht im 31. Jahrgang; die 'Deutsche Post' von Sao Leopoldo ist im Jahre 1883 gegründet, die 'Kolonie' von Santa Cruz steht im 37. Jahrgang:
Erheblich älter ist die in Buenos Aires erscheinende 'Deutsche La Plata Zeitung', die bereits im sechzigsten Jahrgang steht und an Umfang wie Verbreitung die bedeutendste deutschsprachige Zeitung in ganz Südamerika ist. Außerordentlich vielseitig und redaktionell vortrefflich geleitet, kann sie nur mit den großen deutschen Tageszeitungen der nordamerikanischen Millionenstädte verglichen werden. Sie hat ebenso wie das gleichfalls in Buenos Aires erscheinende 'Argentinische Tageblatt' noch eine Wochenausgabe. In Chile gibt es die 1910 gegründete 'Deutsche Zeitung für Chile'. Daneben gibt es in den übrigen südamerikanischen Staaten noch einige Halbwochen- und Wochenblätter.
Älteste deutschsprachige Zeitungen in Canada, Australien
In Canada hat der 'Nordwesten', Winnepeg, den Krieg überdauert, eine Nachkriegsgründung ist der 'Herold' in Edmonton. Nicht vergessen zu erwähnen darf man die erfolgte Neugründung einer deutschsprachigen Zeitung in Australien: die 'Australische Zeitung' in Tanunda, Südaustralien.
Die großen nordamerikanischen Blätter werden durch die großen Nachrichtenbüros der Assozierten Presse und der United Press mit allen Tagesneuigkeiten aus aller Welt beliefert, die 'Deutsche La Plata Zeitung' hat den Dienst der United Press, die 'Deutsch Zeitung' von Sao Paulo wird durch die deutsche Agentur Telegraphen-Union mit allem Wissenswerten versorgt. Eine Reihe deutschsprachiger Zeitungen in Übersee hat außerdem eigene Korrespondenten in Deutschland; besondere Berliner Büros, also eigene Vertretungen, unterhalten die 'New Yorker Staats-Zeitung' und die 'Abendpost' und 'Sonntagspost' in Chicago." Autor: Hermann Jokisch