Abschiedsinterview Ulf Böge, bis 2007 Präsident Bundeskartellamt

Die Ende März 2007 zu Ende gegangene siebenjährige Amtszeit von Bundeskartellamts-Präsident Ulf Böge fiel in eine Zeit stürmischer Umbrüche im Medienbereich: Das Fernsehimperium von Leo Kirch (u.a. ProSieben, Sat.1) musste im Jahr 2002 Konkurs anmelden und ging nach langem auch kartellrechtlichen Tauziehen in die Hände ausländischer Investoren. Außerdem wechselten u.a. die Berliner Zeitung, der Berliner Kurier oder die Braunschweiger Zeitung ihre Besitzer.

Hinzu kommt: immer mehr Ortschaften verfügen über nur noch eine regionalen Tageszeitung, die Medienkonzentration nimmt zu. Ulf Böge schaut im Interview auf seine Amtszeit zurück und gibt einen Ausblick. Das Interview hatte damals Konstantin Korosides für eine überregionale Tageszeitung geführt, die das Interview aber aus politischen Gründen dann doch nicht veröffentlichen wollte.

ZEITUNG: In der europäischen Medienbranche erreichten die Fusionen und Übernahmen 2006 ein Fünfjahreshoch. Das Gesamtvolumen der 175 Transaktionen betrug 43 Milliarden Euro gegenüber 25 Milliarden im Jahr zuvor. Schmerzen Sie solche Zahlen?

Ulf Böge: So allgemein gefragt sicherlich nicht. Das Gesamttransaktionsvolumen sagt ja noch nichts über die Medienkonzentration in den betroffenen Märkten aus. Das Bundeskartellamt muss immer am Einzelfall prüfen, ob es durch eine Fusion zu einer marktbeherrschenden Stellung kommt oder eine vorhandene noch verstärkt wird. Dabei kann der Wettbewerbs-Markt im Einzelnen regional, national oder weltweit sein.

ZEITUNG: Und wie sieht der Wettbewerb aus? Viele meinen ja, schon einmal besser.

Böge: Wenn das Bundeskartellamt in den vergangenen Jahren nicht zahlreiche Fusionsvorhaben in Deutschland untersagt oder nur unter Auflagen genehmigt hätte, sehe er deutlich schlechter aus. Wir haben in den sieben Jahren über insgesamt 9733 Fusionen entschieden. Darunter waren über 400 Zusammenschlüsse im Pressewesen, wovon wir 12 Fusionen untersagten und 388 freigaben, zahlreiche nur unter Auflagen.

ZEITUNG: Deutschland verfügt weltweit über eines der komplexesten und vielfältigsten Mediensysteme. Wie haben Sie in den sieben Jahren als Bundeskartellamts-Chef da den Überblick behalten?

Böge: Wir haben rund 300 Mitarbeiter im Hause, darunter sind Juristen sowie Ökonomen etwa hälftig vertreten, und einige haben auch fachspezifisches Wissen über die Medienmärkte. Außerdem können wir natürlich auf umfangreich gespeichertes Wissen hier im Haus zurückgreifen. Manche der Mitarbeiter sind wandelnde Geschichtsbücher.

ZEITUNG: Greifen Sie auch auf externes Wissen zurück?

Ulf Böge: Einmal jährlich laden wir 70 bis 80 Professoren zur Diskussion bestimmter Wettbewerbsfragen ein. Daneben greifen wir auf Gutachten des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und auf Veröffentlichungen und Unternehmungen externer Medien-Fachleute zurück.

ZEITUNG: 30 Jahre gibt es nun die Pressefusionskontrolle in Deutschland. Sind der Begriff sowie das Ziel im digitalen Zeitalter noch zeitgemäß?

Ulf Böge: Pressefusionskontrolle ist weniger ein juristischer Begriff als einer des allgemeinen Sprachgebrauchs, der selbstverständlich auch die elektronischen Medienanbieter umschließt. Ich halte die Pressefusionskontrolle nach wie vor für sehr bedeutsam.

ZEITUNG: Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement wollte in Ihrer Amtszeit dem Wunsch einiger großer Medienhäuser entgegenkommen und Übernahmen von Tageszeitungen erleichtern.

Ulf Böge: Das hätte bedeutet, dass die Schwelle für die Kontrollpflicht für Übernahmen künftig weit über 25 Mio. Euro gelegen hätte. Dies hätte weitere wirtschaftliche Konzentration und eine Reduzierung der Meinungsvielfalt zur Folge gehabt. Darauf hinzuweisen war richtig.

ZEITUNG: Manche bezeichnen Sie eher als Wettbewerbsverhinderer denn als Ermöglicher.

Ulf Böge: Diese stereotypen Vorwürfe sind falsch. In meiner Amtszeit hat das Bundeskartellamt mit seinen Entscheidungen bei weitem mehr Zuspruch als Ablehnung erfahren. Im Nachhinein hat sich bei allen wichtigen Entscheidungen gezeigt, dass unsere Beurteilungen auch von anderen wichtigen unabhängigen Entscheidungsträgern geteilt werden, wie zum Beispiel der KEK, der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich. Auch die Gerichte haben sie bestätigt.

ZEITUNG: Die Entscheidungen des Bundeskartellamts sind manchmal schwer nachzuvollziehen. Was Sie in Köln genehmigten, wurde in Berlin untersagt.

Ulf Böge: Das zeigt, dass wir durchaus marktnah entscheiden. In Köln haben wir die Übernahme der Kölnischen Rundschau durch einen starken anderen örtlichen Tageszeitungsverlag, das Haus M. DuMont Schauberg, als „Sanierungsfusion“ genehmigt. Eine Nichtgenehmigung hätte wohl das Ende für die Kölnische Rundschau bedeutet. Deren Marktanteile wären dann sowieso dem Verlag DuMont zugefallen.
In Berlin hingegen ging es darum, dass eine marktbeherrschende Stellung entstanden wäre, wenn zwei der örtlichen Abo-Tageszeitungen (Berliner Zeitung, Berliner Tagesspiegel) in der Hand eines Eigentümers gelandet wären. Dies hätte einen entscheidenden Nachteil für die Abonnenten von Berliner Tageszeitungen bedeutet, da sie kaum noch Auswahlmöglichkeiten gehabt hätten.

ZEITUNG: In Ihrer Amtszeit wurden immer wieder bis dahin kaum gekannte Argumente für Entscheidungen angeführt. Zum Beispiel dass der Verkauf von Anzeigenraum für eine nationale Tageszeitung mit dem potentiellen Verkauf von Fernseh-Werbezeit wettbewerbsrechtlich summiert betrachtet wird.

Ulf Böge: Sie sprechen von der im Jahr 2005 angestrebten Übernahme des Fernsehkonzerns ProSiebenSat.1 Media AG durch die Axel Springer AG, in der ja auch ZEITUNG erscheint. Das Bundeskartellamt musste in der Entscheidung in der Tat erstmals sogenannte crossmediale Effekte beachten. Selbstverständlich muss bei einer wettbewerblichen Beurteilung der Fusion sowohl der Verkauf von Anzeigen- als auch der Werbesendezeit beurteilt werden. Daraus kann sich gerade gegenüber Werbungtreibenden natürlich eine entscheidende Veränderung ergeben.

ZEITUNG: Die Macht der EU nimmt von Jahr zu Jahr zu. Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog mahnt an, die EU endlich auf demokratische Beine zu stellen, andernfalls bedeute sie das Ende der Demokratie auch in Deutschland da schon jetzt 84 Prozent der Gesetze von der EU vorgegeben werden. Wann sehen Sie das Ende für das Wirken des Bundeskartellamts?

Ulf Böge: Das Bundeskartellamt wird nächstes Jahr sein 50jähriges Bestehen feiern und auch weiterhin eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips in Deutschland wie in Europa spielen. 1990 ist zwar neben der nationalen Fusionskontrolle auch die europäische eingeführt worden. Hier haben wir aber eine klare Aufgabenteilung mit der Europäischen Kommission, die sich auch rückblickend als funktionsfähig erwiesen hat. Wenn ein Umsatz von mindestens 5 Mrd. Euro erreicht wird, wird die Fusionskontrolle im Prinzip in Brüssel vorgenommen. Aber wenn Zwei Drittel der Umsätze auf nationalen Märkten erzielt werden, soll die Fusionskontrolle durch die Behörde des jeweiligen Landes geschehen. Ich bin dafür, dass das auch künftig so bleibt.

ZEITUNG: Die Globalisierung bringt es zunehmend mit sich, dass deutsche Medienkonzerne über Beteiligungen an ausländischen Unternehmen, die in Deutschland aktiv sind, ihre Wettbewerbsposition auf diesem Umweg national ausbauen können.

Ulf Böge: Der Versuch würde scheitern, wenn er als Umgehung der nationalen Fusionskontrolle geplant wäre. Die Mitarbeiter im Amt sind für solche Versuche sensibilisiert.

ZEITUNG: Herr Böge, was ist Ihr Wunsch für die zukünftige Medienregulierung? Alles paletti oder muss einiges geändert werden?

Ulf Böge: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die bestehende Pressefusionskontrolle funktioniert, um eine unerwünschte Konzentration zu verhindern, ohne sinnvollen Strukturveränderungen oder Kooperationen im Wege zu stehen. Änderungsbedarf sehe ich eher in anderen Sektoren – wie z.B. im Energiebereich.
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