Google-Tochter YouTube will Twitch.tv kaufen? Auswirkungen auf Nutzer und Streamer

Auch wenn das Wall Street Journal am Morgen nach dem ersten Bericht zur möglichen Twitch-Übernahme einen deutlich vorsichtigeren Bericht veröffentlichte und beide involvierten Parteien zu keinem Kommentar bereit waren, so verbreitet sich das Gerücht dennoch wie ein Lauffeuer. Doch was bedeutet diese mögliche Übernahme für die Gaming-Community?

Gaming-Plattform twitch: Geht sie an Google, beziehungsweise youtube? Die Szene ist nervös.

Von Kathrin Wallwitz - Seit einigen Tagen gehen Gerüchte um, dass YouTube das Videospiel-Streaming-Portal Twitch.tv kaufen möchte - für angeblich eine Milliarde Dollar. So heißt es in der Gaming-Zeitschrift Variety, dass die Verhandlungen beinah abgeschlossen sind und die Plattform für mehr als 1 Milliarde Dollar, die komplett ausbezahlt werden soll, an YouTube übergeht. Eine Übernahme könnte Vorteile bringen, aber auch Nachteile. netz-trends nennt hier einige.

Twitch.tv ist ein Service für Videospiel-Streaming, der es aber auch erlaubt, Teile des gestreamten Spiels oder auch den gesamten Stream als Video zu speichern und somit als VOD zur Verfügung zu stellen. So bietet Twitch die Möglichkeit, Gameplay zu sehen, ohne ein Spiel vorher kaufen zu müssen, was möglicherweise die Kaufentscheidung erleichtern kann. Vor allem aber bietet Twitch die Möglichkeit, sich als Gamer wertvolle Tipps für Spiele zu holen, die einem zum Beispiel beim Aufsteigen in der Rangliste des jeweiligen Spiels helfen:

Durch einen Live-Chat erhalten die Zuschauer die Möglichkeit, sich zu unterhalten und dem Streamer schriftlich Fragen zu stellen, die dieser dann mündlich beantwortet. Diese Art des interaktiven Gamings ist bei Twitch einmalig und hat zur Einrichtung des Channels „Twitch plays Pokemon“ geführt, bei dem die Nutzer das Spiel mit mäßigem Erfolg über Chatnachrichten steuern.

Einige der Twitch-Streamer wie Towelliee oder Phantoml0rd verdienen sich durch eine Partnerschaft mit Twitch, die ähnlichen Regeln wie eine Partnerschaft mit YouTube folgen, durch Werbeeinnahmen und Abonnements der Zuschauer ihren Lebensunterhalt. Nicht zu vergessen ist auch der Unterhaltungswert: Twitch streamt nicht nur einzelne Spieler, sondern überträgt auch große E-Sport-Veranstaltungen wie die League of Legends League Championship Series, das DotA 2 The International sowie die Starcraft II World Championship Series. Hinzu kommen unter anderem die weltweit größte LAN-Party DreamHack und Veranstaltungen der Electronic Sports League ESL.

In nur drei Jahren zum bekanntesten Videospiel-Streaming-Service

Das Portal ging 2011 aus Justin.tv hervor, einem Streaming-Service für jedwedes denkbares Thema, als ersichtlich wurde, dass der Gaming-Bereich, den Twitch unter Justin.tv abdeckte, deutlich schneller wuchs alle andere Bereiche. Seitdem ist Twitch immens gewachsen und hatte im Jahr 2013 laut eigenen Angaben 45 Millionen Unique Viewers pro Monat sowie mehr als 900.00 Streamer im Monat. In den Vereinigten Staaten wird der von Twitch verursachte Traffic nur noch von Netflix, Google und Apple übertroffen.

Um die Größe und Bedeutung von Twitch.tv für die Gaming-Community noch zu verdeutlichen: Was große E-Sport-Veranstaltungen betrifft, so kommt eigentlich niemand an die Zuschauerzahlen auf Twitch heran, erklärt Matthew DiPietro, der Marketing-Vizepräsident von Twitch, gegenüber der Branchenzeitschrift OnGamers. Lag die Anzahl der Unique Viewers 2012 noch bei 20 Millionen, so hat sie sich gegenüber 2013 mehr als verdoppelt. Auch die Summe der angesehenen Minuten verdoppelte sich gegenüber 2012 auf 12 Millionen pro Monat im Jahr 2013.

Mit diesem Wachstum tauchten allerdings auch einige Probleme auf. So kam es 2013 immer wieder zu Lags, die das Schauen von Streams wenig erfreulich machten. Teilweise, so die Gerüchte, wurden Streams nicht richtig geladen oder wurden selbst unter vernachlässigbarem Traffic verzögert dargestellt. Wie es heißt, kam es bei manche Streams auch nur für Nutzer aus bestimmten Regionen zu Lag – besonders in Europa. So gab es zum Beispiel auch ein Browser-Add-On, das den Traffic von Servers in Europa auf Servers in den USA umleitete und so die Lags deutlich reduzierte, wenn nicht sogar den Garaus machte.

Diese Probleme deuten darauf hin, dass Twitch mit der gewachsenen Nachfrage nicht mithalten konnte und die benötigte Infrastruktur nicht bereitstellen konnte. Mittlerweile ließ Twitch neue Server in Prag, Paris und Stockholm bauen und verbesserte die vorhandenen in Amsterdam. Dies behob die Probleme etwas.

Räumt YouTube einen möglichen Konkurrenten aus dem Weg?

Mit einer Übernahme durch YouTube (und damit die Anbindung an den Google-Riesen) könnten diese Probleme der Vergangenheit angehören, da auf eine weitaus bessere Infrastruktur zurückgegriffen werden kann. Außerdem kann Twitch mit der finanziellen Rückendeckung einem weiteren Wachstum mit offenen Armen entgegensehen und die Technologie hinter dem Streaming weiter verbessern. Für die Gaming-Community ist dies allerdings nur ein kleiner Vorteil.

Man könnte YouTube nämlich als direkten Konkurrenten zu Twitch verstehen. Der Gaming-Content auf YouTube gehört laut Reuters zum beliebtesten Content der Plattform. Viele Streamer haben nicht nur einen Twitch-Channel, sondern auch einen YouTube-Channel, auf den sie dann beispielsweise Highlights des Streams zur Verfügung stellen. Der Grund, weshalb sie dafür nicht Twitchs eigenen VOD-Service nutzen, könnte der sein, dass Twitch-Videos laut Gerüchten eine etwas längere Ladezeit haben und zum Teil sogar buffern müssen und dass sie auf mobilen Endgeräten weniger einwandfrei spielen als auf YouTube.

Man sollte außerdem nicht vergessen, dass YouTube als Google-Tochter auf Android-Mobiltelefonen vorinstalliert ist, während Twitchs eigene App erst heruntergeladen und installiert werden muss. Zum Teil sind die VODs bei Twitch jedoch auch Teil des Contents, für den der Nutzer den Stream für 4,99 US-Dollar abonnieren muss. Erst nach dem Abonnieren kann der Nutzer je nach Streamer diesen Content abrufen.

Weitaus wichtiger ist jedoch, dass auch YouTube einen Streaming-Service anbietet. Auf Twitch kann jeder Nutzer (auch aus Deutschland) mit Twitch-Konto und entsprechenden technischen Voraussetzungen unter Einhaltung der entsprechenden rechtlichen Grundlagen wie der Servicebedingungen streamen. Auf YouTube darf man zusätzlich dazu keine Warnung für seinen Channel erhalten haben. Für Nutzer in Deutschland hat YouTube das Streamen gar nicht freigegeben, da man hierzu laut Rundfunkstaatsvertrag eine Sendelizenz benötigt.

Ein einwandfreier YouTube-Channel mit Gaming-Content dürfte bis Ende 2013 recht einfach gewesen sein. Im Dezember 2013 hatte YouTube jedoch wahrscheinlich den Algorithmus zum automatischen Versand von Warnungen wegen Verletzung des Urheberrechts geändert und so eine Abmahnwelle gegenüber Videospiel-Content-YouTubern ausgelöst, die zum Teil nicht unbedingt im Sinne der Spielentwickler war.

Man muss nämlich bedenken, dass jeglicher Spiele-Content auf YouTube oder sonstigen Plattformen hervorragende Werbung für das Spiel ist: Wird ein Video, für das das Studio keinen einzigen Cent lassen musste, zum Beispiel auf einem Channel mit 10.000 Abonnenten angesehen, so sind dies 10.000 neue potentielle Kunden, für die das Studio nichts in Marketing investieren musste. Aus diesem Grund sind einige Spieleentwickler, was Urheberrechtsverletzungen betrifft, bei YouTube-Content recht nachsichtig.

Diese Abmahnwelle könnte dazu beigetragen haben, dass viele YouTuber die Streaming-Funktion bei YouTube nicht nutzen. Auch finanzielle Gründe könnten hier eine Rolle spielen. Möglicherweise bekommt der Streamer bei einer Partnerschaft mit Twitch mehr Geld als bei einer Partnerschaft mit YouTube. Außerdem könnte die Tatsache eine Rolle spielen, dass Twitch ein Service ist, bei dem die Gaming-Community das Gefühl hat, sie hat ihn selbst aufgebaut und groß gemacht (womit sie ja nicht ganz Unrecht hat). Twitch YouTube vorzuziehen, ist da die logische Konsequenz.

Ähnlich nachsichtig wie Spieleentwickler gegenüber YouTube-Content ist Twitch, was das Verwenden von Musik bei Streams betrifft. Viele Streamer hören ihre eigene Musik, während sie dem Zuschauer Tipps und Tricks verraten. Bisher hat dies unseres Wissens keine weiteren Konsequenzen gehabt.

Sperren von Regionen, Content und deutschen Streams dann auch auf Twitch?

Mit einer Übernahme durch YouTube könnte das jedoch ein jähes Ende haben. Möglicherweise wird nach einer Übernahme jeglicher Content in Deutschland gesperrt, in dem Musik verwendet wird, für die keine Einigung bezüglich der Verwendung mit der GEMA erzielt werden konnte – ähnlich wie bei YouTube. Dann wäre zumindest für die deutschen Zuschauer die World Championship 2014 von Riot Games‘ League of Legends, die 2013 von 32 Millionen Zuschauern weltweit verfolgt wurde, nur dann ein ähnliches Spektakel, wenn eine Einigung erzielt werden kann.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass League of Legends-Fans wegen eines Urheberrechtskonflikts schon einmal eine Woche der beliebten League Championship Series nicht auf YouTube folgen konnten. Auch das Sperren von bestimmten Streams je nach Region (ganz nach „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar“) aus nicht nachvollziehbaren Gründen könnte dann für Twitch zum Thema werden.

Für Streamer aus Deutschland könnte die Übernahme von Twitch durch YouTube sogar dazu führen, dass sie gar nicht mehr streamen dürfen – eben wegen der oben erwähnten Sendelizenz, die vor Beginn des Streams vorgelegen haben muss. Dann würden die bei der deutschen Gaming-Community beliebten Streams von z.B. Affenklappe oder Gronkh der Vergangenheit angehören.

So könnte nicht nur ein beliebter Teil der Gaming-Community quasi aus dem Nest gestoßen werden, sondern den Streamern auch zum Teil die Lebensgrundlage entzogen werden. Dies sollte in der Gaming-Community nicht gerade auf Gegenliebe stoßen. Die Proteste, die sich in Anbetracht einer nur möglichen Übernahme jetzt noch in Grenzen halten, sollten dann ein lautstarkes Echo hervorrufen.

Ob die Vertragsmodelle, wie sie Twitch-Streamer aus aller Welt nutzen, überhaupt und in welcher Form sie bestehen bleiben, bleibt ebenfalls offen. Im besten Fall kann alles so weiterlaufen wie gehabt. Im schlimmsten Fall könnten viele Streamer durch stark verminderte finanzielle Einnahmen gezwungen sein, ihren Vollzeitjob Streamen zumindest bei Twitch aufzugeben.

Die Streamer werden sich dann wahrscheinlich damit helfen, entweder auf eine neue, unabhängige Streaming-Plattform zurückzugreifen oder einen der anderen Streaming-Dienste wie Azubu.tv, UStream.tv oder own3d.tv (der das Geschäft nach einem Bankrott im Sommer 2013 bald wiederbeleben möchte) zu nutzen. Ob diese dann eine ähnliche finanzielle Vergütung oder technische Leistungsfähigkeit mitbringen, die Twitch über die Jahre aufgebaut hat, bleibt abzuwarten. Möglicherweise folgt dann sogar ein kollektives Verlassen der Twitch-Plattform.

Zukunft für Streamer ungewiss, Nutzer lehnen Übernahme ab

Dieses Ende möchte jedoch kein Gamer sehen. Viele Gamer fühlen sich auf Twitch.tv zu Hause. So wie YouTube in der Gaming-Community für Videos steht, steht Twitch für Live-Streaming. Nun möchte eine Plattform die andere aufkaufen und so aus zwei Teilen, die sich bisher noch nicht im Weg standen, ein Ganzes machen. Hier zeigt sich, dass YouTube durchaus weiter denkt und den möglichen harten Konkurrenten schon vor einem entstehenden Wettbewerb quasi aus dem Verkehr zieht.

Für Twitch-Nutzer hätte eine Übernahme wahrscheinlich die Folge, dass die bestehenden Twitch-Konten nun durch Google+ ersetzt werden könnten. Ein Nutzer in einem Internetforum äußerte nur ein ‚NEIN DANKE‘ bei dem Gedanken, dass diese ‚nutzlose‘ Google+-Konto nun auch auf Twitch eingesetzt werden könnte. Andere Nutzer sehen dies ähnlich. Auch die Möglichkeit, dass Google dann Twitch genau wie YouTube ‚ruinieren‘ könnte, wie die Nutzer sagen, stößt vielen sauer auf.

Nutzer bemängeln, dass zum Beispiel YouTubes Interface und die Kommentarfunktion sich seit der Übernahme eher verschlechtert als verbessert hat und befürchten ähnliche Folgen für Twitch. Auch die Streamingqualität wird in Frage gestellt. Während auf Twitch bisher bis zu 60 FPS erreicht werden konnten, wird eine Deckelung bei 30 FPS befürchtet.
Auch der Gedanke eines Google-Monopols beschäftigt die Nutzer und wird eher abgestoßen als angenommen. Es werden Stimmen laut, die sagen, dass Google nicht in allem seine Finger haben soll, da es das Erlebnis Twitch nach Nutzermeinung eher verschlechtern als verbessern kann.

Sollte diese Übernahme stattfinden, so bleibt zu hoffen, dass es wenig bis keine Einschränkungen im Vergleich zum bisherigen Twitch-Service gibt. Damit würde YouTube bzw. Google nicht nur die Nutzer wieder auf seine Seite ziehen können (und es gibt doch nichts, was über ein gutes Kundenverhältnis geht), sondern auch den Streamern einen großen Gefallen tun. Es bleibt zu hoffen, dass der Deal zwischen Twitch und YouTube/Google hauptsächlich mehr Ressourcen für Twitch bedeutet.

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