Geld Verdienst Spargelstechen: Für 70 Kilogramm gibt es 50 Euro / Wie ein Banker alles verlor und jetzt neu anfangen möchte

Ex-Banker Peter aus Hoyerswerda ist froh: Er hat einen Job als Tagelöhner. Er schuftet bei Wind und Regen, Sonnenschein und Sturm als Spargelstecher, damit die Deutschen ihren geliebten Spargel bekommen. Doch mit dem Spargelstechen ist es ein hartes Brot: Der Verdienst für Spargelstecher liegt bei 77 Cent pro Kilo gestochenem Spargel. Das macht rund 50 Euro für 70 Kilogramm gestochenen Spargel. "Das geht auf den Rücken", erzählt der 55-Jährige Peter. Seit einigen Monaten lebt Peter zum ersten Mal in seinem Leben von Hartz IV. Im Dezember hatte er an der Börse im Rahmen der Jahresendrallye fast alles verloren und versucht jetzt mit Spargelstechen wieder Oberwasser zu bekommen. Wie es dazu kam, erzählt er netz-trends.de.

Auf Grund des schlechten Wetters kostete Anfang Mai deutscher Spargel noch um die 12 Euro pro Kilogramm, in Frankfurt sogar bis 20 Euro. Jetzt gibt es ihn bereits für sechs Euro.

Zu DDR-Zeiten war Peter Fernfahrer, Ende der 90er Jahre hatte er seinen Job an einen Jüngeren verloren. Doch da seine Mutter schwer krank war und er sie nicht verlassen wollte, blieb er da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen - eben im ostdeutschen Plattenbau-Städtchen Hoyerswerda. Die Region gilt als äußerst strukturschwach. Neue Jobs können sich die Einheimischen an einer Hand abzählen. Wer kann, flieht aus Hoyerswerda - in den Westen oder wenigstens in ostdeutsche Metropolen wie Dresden oder Leipzig. Wer nicht kann oder nicht möchte, da es intensive Bindungen an die Region oder die Familie und Freunde gibt, bleibt und fristet häufig ein kärgliches Dasein. "Dennoch war ich hier immer glücklich", sagt Peter.

Sein großes Hobby: Rennradfahren. Mitte 2012 zeigte sich jedoch, dass dieses Jahr kein gutes Jahr werden würde. In seinem Golf hatte er sein eben erst für über 1.300 Euro gekauftes Rennrad deponiert. Es waren nur zwei Stunden. Zwei Stunden, die genügten, damit Kriminelle sein Auto aufgebrochen hatten und sein ein und alles, sein geliebtes Rennrad, klauten. "Ich bin bis dahin fast jeden Tag zwei Stunden um die schönen Seen in dieser Region gefahren", erzählt Peter. "Wie kann man nur anderen Menschen so etwas antun?"

Doch Kriminelle gibt es überall auf der Welt. In Hoyerswerda genauso wie in Cape Town, Berlin oder Los Angeles. "Hätte ich wenigstens eine Fahrradversicherung für 15 Euro mehr in meiner Hausratversicherung abgeschlossen, wäre es mir ersetzt worden, so aber musste ich mir mühevoll das Geld für ein neues Fahrrad zusammensparen". Dass das nicht einfach war, zeigten die weiteren Geschehnisse des Jahres 2012.

Grund: Im Dezember 2012 hatte er fast all sein mühevoll gespartes Geld an der Börse verloren. Die Börse, Bankgeschäfte, das war bis dahin sein Leben. 15 Jahre lang hatte er es geschafft, seine als Fernfahrer zusammengesparten 15.000 Euro so an der Börse oder in andere Investments anzulegen, damit am Monatsende immer genug übrig blieb, um über die Runden zu kommen: "Ich wollte nach meinem Jobverlust nicht von Hartz IV leben", sagt Peter. "Dazu war ich zu stolz". Große Sprünge habe er zwar in den 15 Jahren nie machen können, "doch da ich sparsam lebte, hatte ich immer genug". Die günstigen Mieten in Hoyerswerda halfen ihm zudem.

15 Jahre legte er 15.000 Euro gewinnbringend an und konnte davon leben - bis zum tragischen Dezember 2012

Dass er es überhaupt schaffte, mit 15.000 Euro Basisgeld 15 Jahre lang zu überleben, ist seinem großen Talent für Bankgeschäfte zu verdanken. "Ich hatte einen hervorragenden Börsennewsletter", sagt Peter. "Auch wenn es viele schlechte und teure Börsennewsletter gibt, so erwies sich meiner dennoch als extrem hilfreich". Fast alle Tipps der Börsenfachleute hätte er befolgt und hätte damit fast immer finanziell gewonnen. "Der Preis dafür war aber, dass ich von morgens 8 Uhr bis Nachts häufig zwölf Stunden oder mehr am Computer saß und die Börsen für Aktien, Gold, Silber oder Rohstoffe beobachten musste".

Oftmals sei es eine Frage von Sekunden oder Minuten gewesen, die darüber entschieden, ob er den Tag im Plus oder im Minus finanziell abschloss. Doch unterm Strich erwies sich Peter als großes Anlagetalent. Wäre er nicht in der DDR aufgewachsen, "wäre ich wohl in jungen Jahren Investment Banker geworden", träumt er heute noch.

Doch niemand nimmt einen ehemaligen DDR-LKW-Fahrer in die Investments-Sparten von Banken auf. "Als die Wende 1989 kam, war ich ja schon über 30 Jahre alt und hatte auch nie Betriebswirtschaft oder Bankgeschäfte studiert", so Peter.

Wie es zur Finanz-Tragödie im Dezember 2012 kommen konnte? Euphorisch hatte er fast sein komplettes Geld in Optionsscheine angelegt. Zusätzlich hatten ihm sein Bruder 10.000 Euro gegeben und ein Freund weitere 2.000 Euro. Der Optionsschein war ein Hebelprodukt. Banker, die solche hochspekulativen Produkte kaufen, gehen ein äußerst riskantes Spekulationsgeschäft ein. So eben auch Peter. Dennoch ging es zunächst ganz gut. "Bereits im August 2012 bin ich davon ausgegangen, dass der Dax zunächst nach oben gehen würde, und dann wieder stark fallen würde." Der Trick an dem Optionsschein: Wenn der Dax unter die 6.200 Grenze fallen würde, würde sich der Einsatz verdoppeln. Würde er aber über die 7.200 Grenze steigen, wäre das Geld komplett weg.

Zunächst lief es geradezu phantastisch für Peter. Innerhalb weniger Wochen hatte sich der Einsatz bis Mitte November verdoppelt. Aus den 30.000 Euro Gesamtanlage waren rund 60.000 Euro geworden. Wie es dann fast zum Totalverlust kommen konnte, weiß Peter heute auch nicht mehr ganz genau: "Ein Freund hatte mich noch vor der Jahresendrallye des Dax gewarnt, doch ich hatte das als Unsinn abgetan", so Peter rückblickend.

Er hatte auf einen fallenden Dax gewettet - doch der Dax ging nach oben

Unter der Jahresendrallye an den Börsen versteht man einen in der Regel stark steigenden Aktienkurs zum Jahresende an den Börsen weltweit. Grund: Investoren möchten noch in letzter Sekunde ihr Geld gewinnbringend anlegen. Häufig wird dabei massiv spekuliert, um die Aktien und Indizes in die Höhe zu treiben. "Heute weiß ich: Großanleger zocken dann und gewinnen in der Regel, da sie eine viel größere Hebelwirkung haben, um Börsenkurse nach oben oder nach unten zu drücken - häufig geht das innerhalb von Minuten", erklärt Peter.

In seinem Fall waren es Minuten: "Ich wollte mir nur Nudeln machen. Als ich zurück an meinen Computer kam, war plötzlich der Dax über die magische Grenze von 7.200 Punkten gesprungen. Ich hatte fast alles mein Geld verloren", sagt er deprimiert. 15 Jahre talentierte Geldanlage waren dahin. "Das schlimme war: Ich habe jetzt einfach nichts mehr". Doch selbstkritisch sagt er auch: "Ich war einfach zu raffgierig. Ich hatte ja schon aus 2.000 Euro sicher 4.000 Euro gemacht. Da hätte ich aussteigen sollen. Doch ich wollte zeigen, dass ich auch 5.200 Euro daraus machen kann. Bis 5.100 Euro ging es auch gut, bis zu jener schrecklichen Minute als ich nicht am Computer saß."

So kam es, dass Peter seinen Stolz überwinden musste und mit 55 Jahren erstmals Hartz IV beantragte – in der grauem Amtsstube von Hoyerswerda. "Das war richtig schlimm", so Peter.

Doch von 374 Euro Hartz-IV im Monat lässt sich nicht wirklich gut leben. "100 Euro darf ich dazu verdienen", erklärt Peter. Doch sobald er mehr als 100 Euro dazu verdient, wird der Hartz-IV-Satz radikal gekürzt. "In sechs Stunden steche ich derzeit Spargel. Dafür bekomme ich 77 Cent pro Kilogramm oder 50 Euro für 70 Kilogramm am Tag". Anschließend gehe der Spargel für 6 Euro das Kilo in den Verkauf. "Ich möchte meine Situation verbessern und träume davon, dass ich noch einmal in meinem Leben 1.000 Euro auf die hohe Kante bekomme, um mir noch einmal zu beweisen, dass ich mich selbst finanzieren kann, indem ich wieder Geld anlege", erzählt Peter. Denn Jobs gebe es nun mal nicht in Hoyerswerda – vom Spargelstechen abgesehen. Zwar schickt er seine Bewerbungen deutschlandweit raus. Doch bislang seien nur Absagen gekommen.

Ob er jemals aus eigener Kraft noch einmal 1.000 Euro auf die hohe Kante bekommt, weiß er nicht. "Ich habe mir jetzt für 200 Euro erst mal wieder ein gebrauchtes Rennrad gekauft. Ohne mein tägliches Pensum an Fahrradfahren ist mein Leben hier in Hoyerswerda einfach komplett trostlos". Für 1.000 Euro auf der hohen Kante müsste Peter mindestens 1.400 Kilogramm oder eineinhalb Tonnen Spargel stechen. "Das werde ich wohl in diesem Jahr nicht mehr schaffen", ist sich Peter sicher. Doch aufgeben möchte er nicht: "Ich schaffe es, noch einmal auf die Beine zu kommen." Doch bis dahin geht er noch täglich Mittags zur sogenannten "Tafel" - also dorthin, wo Bedürftige täglich kostenlos ein Mittagessen erhalten. "Manchmal ist es schon etwas eklig mit Pennern um eine Suppe anzustehen", so Peter. Er legt Wert darauf, kein Ex-Banker zu sein, sondern ein Kleinanleger - und für die gibt es bekanntlich keinen staatlichen Rettungsschirm.

Gefällt mir
0