Rocket Internet: Monopoly-Spiel der reichen Männer / Zeichnungsfrist 1. Oktober 2014

Was wir möchten, ist: Einen Blick auf den 1,5 Milliarden Euro Börsengang von Rocket Internet der Samwer Brüder zu werfen. Die Brüder - das sind Oliver Samwer, Alexander Samwer und Marc Samwer. Vorab stellen wir eine These in den Raum: Das Berliner Internet-Unternehmen ist einerseits Betreiber oder Projekt-Unterstützter von rund 400 Webseiten. Doch zumindest finanziell betrachtet, ist es vor allem eins: Ein Monopoly-Spiel der reichen Männer:

Oliver Samwer: Co-Gründer von Rocket Internet.

"Goldgräber an der Börse" lautete ein 1-seitiger Artikel in der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) am Samstag den 27. September 2014. Autor Daniel Mohr kam bereits einleitend zu dem Fazit: "Vierzehn Jahre nach dem Niedergang des Neuen Marktes kommen wieder Internetunternehmen an den Aktienmarkt. Bedenkenträger warnen, doch die Chancen sind immens". Netz-Trends möchte an dieser Stelle weder Bedenkenträger sein, noch Halleluja-Sänger:

Die FAZ kommt erstaunlich flapsig zu dem Urteil, wonach in Bezug auf Rocket Internet das Urteil gelte, dass "die Sache noch keinen Gewinn" abwerfe und auch die Umsätze dürftig seien. In Hamburg könnte man das hanseatisches Understatement nennen. Doch in Frankfurt am Main, wo die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren Sitz hat, ist es denn doch etwas zu analyseschwach. Grund: Alleine 10 Rocket Internet-Beteiligungen haben nach Recherchen der Wirtschaftswoche und des ZDF Magazins Frontal 21 rund 431 Millionen Euro Jahresverlust eingefahren.

Die Höhe des Verlustes ist den klassischen Investitionen für den Aufbau von Internet-Unternehmen geschuldet. Dennoch sind 431 Millionen Euro an Verlusten auch für die gut informierte Crème de la Crème der deutschen Internetszene recht neu und in der Höhe durchaus auch überraschend. "Was Rocket da auf den Weltmarkt schmeißt, ist doch im Großen und Ganzen viel Ramsch", urteilt beispielsweise der Geschäftsführer eines starken Münchner Internet-Unternehmens.

In diversen Analysen hatte Netz-Trends versucht etwas Licht ins Dunkel der Black Box Rocket Internet der Samwer Brüder zu bekommen (Verweis: "Rocket Internet Companies: What is worth how much? Samwer brothers' stock market launch").

Doch auch mit großem Respekt vor der unternehmerischen Leistung von Rocket Internet: Fast keines der größeren Projekte von Rocket Internet dürfte in den nächsten 10 Jahren ernsthafte Perspektiven haben, um aus dem Tal der Tränen, den Verlusten wahrscheinlich herauszukommen. Gerade die Shopping-Portale sind einfach ein besonders schwieriges Feld. Ob die Lebensmittel-Auslieferung (Rocket-Projekt "foodpanda") in Schwellenländern oder Dritte-Welt-Ländern greift, das kann man derzeit kaum beurteilen. Nun sagt Rocket-Internet Ober-Guru Oliver Samwer, man müsse eben einige Jahre warten, bis aus Internet-Geschäftsideen profitable Geschäftsfelder würden. Das stimmt.

Was ist was Wert bei Rocket?

Fakt ist aber auch, dass es alleine in Deutschland einige Internet-Unternehmen im E-Commerce gibt, die mit einem Unternehmen wie Zalando vom Umsatz her vergleichbar sind – aber nicht auf einen angeblichen Marktwert von über 5 Milliarden Euro geschätzt oder hoch gejazzt werden.

Doch spielt das alles letztlich auch gar keine entscheidende Rolle: Im Monopoly der reichen Männer, die das Spielzeug Rocket Internet fördern (wie Stephan von Holtzbrinck) ist das Schachbrett im Zentrum, nicht die Frage, ob nun Rocket Internet-Projekte Gewinn abwerfen oder Verlust. Es geht ausschließlich darum, eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die die Samwers vor über 15 Jahren mit der Gründung des E-Bay-Klons Alando begannen und mit der Projekt-Unterstützung von Zalando bislang seinen Höhepunkt fand.

Wie so oft in Geschichten, auch in Märchen, ist nicht die Frage im Zentrum, ob ein Schloss nun real ist oder nicht, sondern ob wir daran glauben. Dieses Prinzip gilt für die zweite Welle der Industrialisierung der Menschheit in den vergangenen 200 Jahren, eben der digitalen Revolution, mehr denn je gerade für Internet-Projekte beispielsweise im E-Commerce. Das heißt nicht, dass es nicht auch heute bereits hoch profitable E-Commerce-Unternehmen gibt. Natürlich gibt es die!

Eines muss man Rocket Internet bescheinigen: Alle, die nun hier üppig schon vor dem Börsengang von Rocket Internet hunderte Millionen Euro Gelder angewiesen haben, glauben an die Geschichte Rocket Internet. Sie glauben an das Spiel Rocket Internet, was da aber vor allem heißt: dass es genug Investoren geben wird, die in Rocket Internet Aktien investieren, die Aktienkurse nach oben klettern und man als Großinvestor dann schnell wieder hohe Aktienpakete abstoßen kann - mit hohem Gewinn.

Unterschied zwischen Börsenwert Gilead und Rocket Internet

Dieses Prinzip gilt zwar für viele Unternehmen, welche an der Börse gelistet sind, aber nicht für alle. Es gibt Aktienwerte, die sehr realitätsnah sind, da das, was die Unternehmen vertreiben, einen uniquen Mehrwert für die Menschen, manchmal sogar die Menschheit hat. Aktuelles Beispiel: Die kalifornische Firma Gilead Sciences, Inc.

Sie ist die einzige, der es gelang, nun ein Mittel gegen die Bluter-Krankheit Hepatitis C zu entwickeln, mit dessen Mittel man die chronische lebenslange Leberentzündung, welche das Virus Hepatitis C hervorruft, innerhalb von 12 Wochen in über 80 Prozent der Patienten zu beenden. Über 50 Jahre Forschung steckt in diesem Durchbruch. Das Medikament von Gilead ist so revolutionär, dass es in der Kombi-Therapie mit über 100.000 Euro pro Patient teuer ist. Doch das treibt den Umsatz an:

Analysten gehen davon aus, dass mit dem neuen Hepatitis C Medikament innerhalb eines Jahres der Umsatz sich verdoppeln könnte – um 12 Milliarden US-Dollar. Doch nicht nur mit Hepatitis ist Gilead in einer Pole-Position, sondern auch mit einem Medikament zur Behandlung einer HIV-Infektion: Seit einem Jahr verkauft der Pharmakonzern sein neues innovatives HIV-Medikament weltweit. Immerhin sind alleine in den USA 1 Millionen Menschen mittlerweile HIV-positiv.

Der Clou am neuen Gilead-Medikament: mit nur noch einer Tablette am Tag, in den meisten Fällen ohne jegliche Nebenwirkungen, kann das HIV-Virus fast wieder aus dem Körper eliminiert werden - aber eben bislang nur fast: Von über 100.000 Viren kann die Virenlast auf unter 20 im Körper reduziert werden. Doch diese letzten 20 verstecken sich und können sich wieder explosionsartig vermehren. Dennoch: eine Ansteckung von anderen Menschen ist bei täglicher konsequenter Behandlung kaum mehr möglich, sagt die Medizin (dennoch wird nach wir vor zu safem Verhalten geraten, vor allem da nicht jeder konsequent die Therapie anwendet und dadurch das Risiko wieder steigt; auch dies erklärt die weiterhin ansteigenden HIV-Infektionen in Deutschland und vielen anderen Ländern der Welt).

Die Forscher von Gilead gelten als so begnadet, dass Gilead zu den Kandidaten zählt, welchen Mediziner derzeit am ehesten zutrauen, möglicherweise in spätestens 10 Jahren doch noch HIV ganz und ein für alle Mal wieder aus dem menschlichen Körper eliminieren zu können - wie es jetzt mit dem Hepatitis C Virus in der neuen Turbo-Therapie gelungen ist (12 Wochen; bislang 1 1/2 Jahre mit teils erheblichen Nebenwirkungen). CNN berichtete kürzlich zudem, Hiv-Medikamente hätten selbst Ebola-Patienten geholfen nun wieder gesund zu werden.

Kein Wunder, dass bei einer solchen Innovationskraft der Biotechnologen von Unternehmen wie Gilead der Aktienkurs seit geraumer Zeit steigt - vor allem auch, seitdem die EU nun auch eine Zulassung für das neue Hepatitis C-Medikament gegeben hat: Innerhalb weniger Wochen stieg der Wert einer Aktie von 67 Euro auf nun 84 Euro.

Doch worin liegt der Unterschied zwischen Rocket Internet und Gilead? Ganz einfach: Gilead - das ist Wirtschaft im hier und jetzt. Die im Jahr 2007 von den Samwer-Brüdern gegründete Rocket Internet stellt mit den meisten dort angesiedelten Internet-Projekten derzeit aber eine Zukunfts-Vision dar, in welche nun einige Reiche und Super-Reiche, die am Spiel der Wirtschaft interessiert sind, investieren.

Es geht bei Rocket Internet nicht primär darum, Gewinn aus der Geschäftstätigkeit zu erwirtschaften...

Doch: Es geht derzeit in diesem Spiel nicht pirmär darum, ob die wichtigsten Rocket Internet Projekte jemals Geld machen, sondern ob die Aktien von Rocket Internet von den Großinvestoren wieder gewinnbringend verkauft werden können. Dabei gilt: Je mehr Großinvestoren Geld in Rocket Internet Aktien stecken, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit. Die Frage ist dann nur: Wer zieht als erstes den Stecker und verkauft auf hohem Niveau? Dieser Kick ist es, den viele derzeit mit Rocket Internet in Verbindung bringen. Die meisten Rocket Internet Portale sind dabei nur Marionetten im Wind. Vielleicht klappts, vielleicht auch nicht.

Darum wird es also gehen: Nicht um eine grüne G+V-Rechnung, also Gewinn- und Verlustrechnung in der Rocket Internet Bilanz, sondern darum, dass die Investoren ausschließlich darauf spekulieren, an der Börse mit dem Handel der Rocket Internet Papiere Gewinne einfahren zu können.

Auch wenn die FAZ schreibt, angeblich hätten sogar Privatanleger sich für Rocket Internet-Aktien entschieden, ist eines klar: Im Monopoly der Reichen Männer haben Kleinanleger nichts zu suchen. Denn sie verfügen weder über komplexe computergesteuerte Banking-Anlagen, die klar berechnen, wann eine Aktie zu kaufen oder zu verkaufen ist, noch verfügen sie über eine Hebelwirkung beim An- oder Verkauf von Aktienpaketen. Kleinanleger, die in Rocket Internet Aktien investieren, müssen Verrückte sein.

Um sich ein Bild zu machen, wie verrückt der Aktienmarkt derzeit agiert, muss man sich vor Augen führen: Nach Angaben der FAZ seien angeblich bereits 90 Minuten nach Bekanntgabe des Börsengangs von Rocket Internet Zeichnungen, also Kaufaufträge von Investoren in Höhe von über 1,5 Milliarden Euro für Rocket Internet Aktien abgegeben worden. Federführend vom IPO von Rocket Internet sind die Banken Berenberg, JP Morgan und Morgan Stanley.

Rocket oder EM.TV: So viel Wert wie Lufthansa?

Mit dem 1,5-Milliarden Euro Börsengang kann sich Rocket Internet rühmen, den größten Börsengang in Deutschland seit 7 Jahren in die Wege zu leiten, sogar den größten Börsengang eines Internet-Unternehmens seit 14 Jahren, also seit dem Platzen der großen Internetblase im Jahr 2000. Damals war das Münchner Unternehmen von Thomas Haffa, EM.TV, der Gigant an der Börse. Doch diese Geschichte endete mit einem gigantischen Knall und verführt zu einer interessanten Parallel-Betrachtung zu Rocket Internet: Schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung doch, wonach der Börsenwert von Rocket Internet "jenseits" von Lufthansa sei. Man erinnere sich:

EM.TV hatte zu Spitzenzeiten einen Börsenwert von 25 Milliarden Mark - das galt damals ebenfalls als mit der Lufthansa ebenbürtig. Wer damals, um 2000, jemals bei EM.TV in einem Münchner Randgebiet war, der wunderte sich, warum Thomas Haffa Gäste in nicht viel mehr als einer schlichten Büroetage empfing und zwar gerne in einem Konferenzraum, der ebenfalls nicht gerade Top-of-The-Vogue war.

Dennoch: Die Nachfrage nach Teilnahme am Rocket Internet Monopoly ist so groß, dass das Berliner Internet-Unternehmen nun das Ende der Zeichnungsfrist für Aktien sogar vom 7. Oktober auf den 1. Oktober vorgezogen hat. Eine Rocket Internet Aktie soll zwischen 35,50 Euro und 42,50 Euro kosten.

Oliver Samwer ist ein genialer Verkäufer

Eines hat sich im jetzigen Prozess des Börsengang von Rocket Internet herausgestellt: Oliver Samwer ist ein genialer Marktschreier und Verkäufer. Er klopft die Sprüche, die Investoren gerne hören möchten. So soll er angeblich gesagt haben, schreibt die FAZ, wonach er wolle, dass "alle Konsumausgaben" über Rocket Internet Plattformen liefen.

Dabei verweist er gerne auf Rocket Internet Plattformen in Brasilien, Nigeria oder Malaysia. Doch wer jemals in Brasilien war, der weiß, sagt ein sehr guter Rocket Internet-Kenner zu netz-trends.de: "Die Rocket Internetplattformen in Brasilien dürften an den täglichen Konsumausgaben noch nicht einmal einen Anteil im Promillebereich haben".

Ebenfalls in diesen Tagen ist das chinesische E-Commerce-Kaufhaus Alibaba von Gründer Jack Ma an die Börse gegangen -und zwar an die New York Stock Exchange. Auch hier gab es einen solchen Run auf die Aktien des durchaus in Fachkreisen umstrittenen Online-Kaufhauses, dass die Nachfrage in den Büchern enorme 15 Mal höher war, als die tatsächlich zur Verfügung gestellten Wertpapiere. Das bedeutet: Alibaba hätte statt der angepeilten 25 Milliarden US-Dollar auf einen Schlag 350 Milliarden US-Dollar einnehmen können.

Vergesst das KGV-Verhältnis bei Internet-Unternehmen

Warum die jetzige Situation, welcher mit üblichen KGV-Berechnungen, also Kurs-Gewinn-Verhältnissen, nicht mehr beizukommen ist? Ganz einfach: Es gibt so viel Geld in den Händen der Elite, dass diese froh ist, wenn es glamouröse Projekte gibt, in welchen man einfach mal - wie auf der Spielbank in Las Vegas - mitspielen möchte. Dennoch gilt auch das, was Daniel Mohr in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt: "Insofern könnten Zalando, Scout24, aber vor allem Rocket Internet sich als Glücksfall für den hiesigen Börsenplatz erweisen".

Gelingt Rocket Internet ein nachhaltiger Börsengang, wäre das tatsächlich ein Glücksfall für die ganze deutsche Internetszene. Denn in einem Land wie Deutschland, in dem viele Banken kaum mehr dem deutschen Mittelstand Kredite einräumen, oder in welchem ein Bundesland wie Sachsen selbst die Firmenzentrale für eine Internetfirma mit über 1000 Mitarbeitern nicht mit staatlichen Fördergeldern unterstützt, mit dem Hinweis, man sei ja nicht in den förderungswürdigen Branchen in Sachsen tätigt (die da wären Braunkohle, Porsche oder BMW), könnte die Börse das zentrale Kapitalsprachrohr für Deutschlands Internetszene werden - zumindest für die größeren Anbieter:

Gelingt dies nicht und wird weiterhin der Aufbau von Internetfirmen nicht von der gesamten deutschen Wirtschaft, den Banken oder der Politik als zentral zu förderndes Projekt begriffen, wird es irgendwann heißen: Alles im Internet, das Marktmacht hat, kommt aus den USA. Denn dort sind Investoren bereit, selbst für ein Whatsapp 19 Milliarden Dollar zu bezahlen, nur um sich eine Pole-Position in der post-industriellen digitalen Revolution zu sichern. Primär deshalb gelang der kometenhafte und kaum mehr aufholbare Aufstieg von Google, Facebook, Amazon (macht seit 20 Jahren Verluste), Ebay oder Priceline (weltgrößter milliardenschwerer Online-Reisekonzern).

Der Rocket Internet Börsengang wird jedoch auch zeigen, ob Internet-Investoren in Deutschland ernsthaftes strategisches Interesse zeigen, den Aufbau von Internet-Projekten zu fördern, oder ob es nicht nur wieder darum geht, über Kurstreiberei ("Die Samwer-Show") schnell über den An- und Verkauf von Aktienpaketen den eigenen Reichtum zu erweitern.

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