
Zwang zur Kontoerstellung: Ein Stolperstein für Neukunden
Wer heute bei der Otto Group einkaufen möchte, steht sofort vor einer Hürde: Ohne ein vollständiges Kundenkonto geht nichts. Gastbestellungen, die bei modernen Online-Händlern längst Standard sind, sind bei Otto nicht möglich. Dabei erwarten Kunden heutzutage einen schnellen, unkomplizierten Kaufprozess – zum Beispiel über „Zahlen mit PayPal“, bei dem Versandadressen automatisch übernommen werden.
Stattdessen zwingt Otto jeden Neukunden dazu, sich zu registrieren, Adressdaten manuell einzutragen und die E-Mail-Adresse zu bestätigen. Dieser zusätzliche Aufwand wirkt nicht nur antiquiert, sondern schreckt viele potenzielle Käufer ab. Besonders ärgerlich: Andere Anbieter wie Lidl, Kaufland oder Billiger.de setzen auf schlanke Checkout-Prozesse – Otto hingegen wirkt, als sei es im Jahr 2005 stehengeblieben.
Befürworter der Otto-Strategie verweisen darauf, dass auch Amazon ein Kundenkonto voraussetzt. Doch der Vergleich greift zu kurz. Amazon ist faktisch Monopolist – wer dort nicht bestellt, verzichtet oft auf eine unschlagbare Auswahl und Bestpreise. Otto hingegen steht im direkten Wettbewerb mit unzähligen flexibleren Anbietern. Hier entscheidet Geschwindigkeit und Einfachheit – und jede unnötige Hürde kostet Umsatz.
Während Amazon seine Marktmacht nutzen kann, müsste Otto umso mehr darauf achten, seinen Kunden den Einkauf so leicht wie möglich zu machen. Der Zwang zur Kontoerstellung ist ein hausgemachtes Problem, das in einem immer härteren Wettbewerb vermeidbar wäre.
Dass Otto nicht nur Neukunden verärgert, zeigen Erfahrungen langjähriger Kunden. Ein Fall ist besonders bezeichnend: Ein Kunde, der früher gerne beim deutschen Versandhändler Otto bestellte, zumal er die Marke noch aus seiner Kindheit und dem Otto Katalog kannte, wurde nach einer einzigen als verdächtig eingestuften Buchung aus der Schweiz de facto vom Onlinehandel ausgeschlossen. Keine Entschuldigung, keine transparente Aufklärung – nur die schleichende Sperrung. Die Sperrung gilt seit Jahren.
Die Folge: tiefer Frust und ein endgültiger Bruch. Statt durch Service und Kulanz Vertrauen zurückzugewinnen, scheint Otto lieber stur auf starre Prozesse zu setzen – ein Vorgehen, das in Zeiten von immer anspruchsvolleren Kunden kaum zukunftsfähig ist.
Ein Blick auf Trustpilot zeigt, dass Otto in Deutschland weiterhin präsent ist – aber keineswegs über alle Zweifel erhaben. Mit über 107.000 Bewertungen gehört Otto zu den sichtbarsten Marken auf der Plattform. Doch der TrustScore liegt nur bei 3,7 von 5 Punkten – eine Bewertung, die Trustpilot selbst lediglich als „akzeptabel“ einstuft.
Zwar finden sich auch zahlreiche zufriedene Stimmen: Viele loben die unkomplizierte Retoure, den persönlichen Kundenservice und die Zahlungsoptionen. Doch ebenso oft werden Probleme mit Drittanbietern, Garantiefällen oder mangelhafter Kommunikation bemängelt.
Interessant ist der Vergleich innerhalb der Branche, schaut man sich die Onlinebewertungen von Kunden auf einem der weltgrößten Bewertungsportale, auf Trustpilot an. Deutlich wird, Otto ist nicht alleine mit seinen Problemen. Otto.de erreicht auf Trustpilot gerade mal 3,7 Punkte von 5 möglichen unter 107.552 Bewertungen. Baur.de (eine Otto-Tochter) erreicht 3,9 Punkte (13.432 Bewertungen), Otto.nl (niederländischer Ableger) nur 2,7 Punkte (5.064 Bewertungen), Amazon.de fällt mit nur 1,6 Punkten (20.520 Bewertungen) deutlich ab, Hermes Germany, ebenfalls eine Otto-Tochter, liegt mit katastrophalen 1,2 Punkten am Ende unserer kurzen NETZ-TRENDS.de-Stichprobe.
Klar ist natürlich auch: Eine Bewertung geben halt doch gerne jende ab, bei denen etwas schief gelaufen ist. Das verzerrt immer etwas das Bild. Doch aus Kundenfeedback kann ein Konzern immer gut lernen, wo Prozesse möglicherweise nicht rund laufen.
Trotzdem: Mit einer Bewertung im Bereich "akzeptabel" kann eine Otto Group im Bereich Einkaufserlebnis nicht gerade zufrieden sein..
Dass Otto in Deutschland noch gut verankert ist, liegt vor allem an seiner langen Geschichte und der hohen Markenbekanntheit. Generationen sind mit dem „dicken Otto-Katalog“ aufgewachsen, viele verbinden mit dem Namen Verlässlichkeit und Seriosität.
Doch Markenstärke allein wird in Zukunft nicht reichen. Der Onlinehandel wird immer schneller, internationaler und kundenfokussierter. Wenn Otto weiterhin auf Bürokratie, Registrierungszwang und rigide Systeme setzt, könnte der Konzern seine verbliebene Stammkundschaft zunehmend verlieren.
Die Otto Group steht exemplarisch für ein verbreitetes Problem ehemaliger Marktführer: Statt die eigene Tradition als Ausgangspunkt für echte Erneuerung zu nutzen, verharrt das Unternehmen in veralteten Prozessen. Nutzerfreundlichkeit bleibt zweitrangig, während starre Strukturen wie die Pflicht zur Kontoerstellung neue Kunden abschrecken.
Auch im Jahr 2025 reicht es längst nicht mehr aus, auf Markenbekanntheit und Reputation zu vertrauen – die digitale Kundschaft erwartet Flexibilität, Schnelligkeit und echte Kundenorientierung. Wer heute im E-Commerce bestehen will, darf den Bestellprozess nicht durch unnötige Hürden verkomplizieren.
Gleichzeitig wäre es zu kurz gegriffen, Ottos Vorgehen ausschließlich als Rückständigkeit zu kritisieren. Die Bedrohung durch Onlinebetrug ist real – und sie wächst.
Im Vereinigten Königreich summierten sich die Schäden durch Online-Shopping-Betrug im Finanzjahr 2023/24 auf über 56,3 Millionen Pfund (etwa 66 Millionen Euro). Allein während der Weihnachtszeit 2023 verloren britische Verbraucher über 11,5 Millionen Pfund (rund 13,5 Millionen Euro) durch Betrugsfälle beim Online-Shopping. Insgesamt werden die jährlichen Schäden durch Betrugsdelikte im Vereinigten Königreich auf mehr als 11,4 Milliarden Pfund (rund 13,4 Milliarden Euro) geschätzt.
Auch global verschärft sich die Lage: Visa blockierte im Jahr 2024 weltweit 200 % mehr potenziell betrügerische Transaktionen als im Vorjahr.
Die Höhe der Betrugsschäden variiert dabei stark je nach Branche und Produktkategorie. Besonders betroffen sind hochpreisige und volumenstarke Bereiche wie Flugbuchungen oder Elektronikhandel.
Ein eindrückliches Beispiel ist das französische Flugbuchungsportal vol24.fr, eine frühere Tochter des deutschen Start-Up-Stars, von Unister, einem Leipziger Internet-Selfmade-Konzern mit in der Spitze 2100 Mitarbeitern. Nur auf vol24.fr beliefen sich die Betrugsbuchungen innerhalb eines Jahres auf bis zu 11 Millionen Euro - zahlreiche Betrugsbuchungen gingen von Afrika aus. Diese Größenordnung zeigt, wie massiv die Risiken sein können – und erklärt, warum Unternehmen wie Otto in sensiblen Segmenten auf strenge Kontrollen setzen.
Trotz aller berechtigten Sicherheitsbedenken darf der Schutz vor Betrugsbestellungen nicht als Vorwand dienen, kundenunfreundliche Strukturen dauerhaft beizubehalten.
Wer im E-Commerce erfolgreich bleiben will, muss Sicherheit und Nutzererlebnis intelligent miteinander verzahnen – nicht das eine auf Kosten des anderen priorisieren. Otto steht heute vor der entscheidenden Aufgabe, Sicherheitsanforderungen ernst zu nehmen, ohne dabei die Grundprinzipien eines schnellen, flexiblen und kundenfreundlichen Onlinehandels aus den Augen zu verlieren.