Unister Prozess: "Generalstaatsanwaltschaft Sachsen zog Unternehmen in Abwärtsstrudel" sagt Anwalt

Mehrere Stunden brauchte der sächsische Staatsanwalt Dr. Dirk Reuter von der "Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen", kurz INES, aus Dresden.

Da war die Welt noch in Ordnung: Das Foto zeigt die Unister-Gründer in den Jahren 2004 oder 2005 in Leipzig mit Dr. Wolfang Tiefensee, damals Oberbürgermeister von Leipzig. Links neben ihm Thomas Wagner, davor kniend seine Jugendfreunde Oliver Schilling (links; ebenfalls im Flugzeugabsturz ums Leben gekommen), sowie Christian Schilling (arbeitet noch bei Unister). Der zweite von rechts ist Daniel Kirchhof. (Bild: Presse)

Er brauchte Stunden, um die Vorwürfe gegen Unister während des am Mittwoch den 11. Januar 2016 begonnenen Mammutprozesses vor der 15. Strafkammer des Landgericht Leipzig vorzutragen. Ist ja auch kein Wunder: Das Verfahren läuft mittlerweile eine kleine Ewigkeit: Viereinhalb Jahre. Begonnen hatte alles im Sommer 2012.

Das lässt sich einer Kleinen Anfrage vom 6. März 2013 entnehmen, welche im Landtag Sachsen Leipzigs damaliger LINKEN-Chef Dr. Volker Külow von der Fraktion DIE LINKE im Landtag Sachsen an den damaligen Justizminister Dr. Jürgen Martens eingebracht hatte. Der Kleinen Anfrage entnimmt netz-trends.de:

Quelle. 03_Integrierte_Ermittlungseinheit_Sachsen_Ines_Unister_Kleine_Anfrage_Landtag_Razzia_2012---Kopie.pdf

Wir zitieren: "Die Staatsanwaltschaft Leipzig übersandte im Zusammenhang mit der Vorlage der Akten an die Generalstaatsanwaltschaft Dresden am 31. August 2012 vorab eine bei ihr eingegangen anonyme Anzeige. Durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wurden daraufhin Vorermittlungen zur Prüfung der erhobenen Tatvorwürfe und der Übernahme des Verfahrens von der Staatsanwaltschaft Leipzig eingeleitet. Die Übernahme des Verfahrens wurde der Staatsanwaltschaft Leipzig am 3. September 2012 zugesagt. Die förmliche Übernahme aller Ermittlungen gemäß § 145 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) durch den Generalstaatsanwalt erfolgte mit Verfügung vom 1. Oktober 2012. Mit der Durchführung der Ermittlungen wurde die Abteilung III - INES beauftragt."

Seitdem ziehen sich die Ermittlungen der Sachsen hin wie zäher Kaugummi. Zum Abschluss des Verfahrens im Sommer 2017 sind es dann voraussichtlich gut 5 Jahre. Genug Zeit, um Unister in der Zeit in den Bankrott getrieben zu haben.

Denn auch der Banktrott ist ein Effekt der langen Ermittlungen, sind sich Beobachter und Unister-Kenner einig. 1000 bis 1350 Jobs musste Unister seit Bekanntwerden der Ermittlungen abbauen. Hunderte waren es alleine in den vergangenen eineinhalb Jahren.

Vor dem Landgericht Leipzig hielten jedenfalls Staatsanwalt Dirk Reuter gemeinsam mit Staatsanwalt Marcus Leder am Mittwoch vor den Richtern und der anwesenden Öffentlichkeit einen ellenlangen Anklage-Vortrag gegen Unister. Viele Details sind allerdings seit Jahren bekannt. Grund: Ein Teil der Anklageschrift kursiert recht breit.

Was auch wieder kein Wunder ist, bei den exzessiven juristischen Bemühungen in Sachsen, Unister Fehlverhalten nachzuweisen. Selbst Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sagte einmal zu einem Unister-Manager: auf Grund der auch in der Öffentlichkeit mit breitem Hall begleiteten Ermittlungsverfahren müssten die Unister-Leute "jetzt Nerven behalten".

Nerven benötigten am Mittwoch auch zahlreiche der anwesenden Journalisten im Landgericht Leipzig, sicherlich ebenso die Richter.

Unister habe auf seinen Reiseportalen angeblich mit einem Stornoschutz und einer Reiserücktritt-Option in Wirklichkeit Versicherungen angeboten, lautet einer der Vorwürfe von Staatsanwalt Dirk Reuter.

Dafür sei aber keine Versicherungssteuer an die Bundesrepublik Deutschland bezahlt worden, also den Bund, sondern eine andere Steuer in fast gleicher Höhe an das Land Sachsen, sagte die Generalstaatsanwaltschaft schon vor Jahren. Ein weiterer Vorwurf:

Zwar soll Unister im Laufe der Jahre für schätzungsweise über 8 Milliarden Euro Reisen vermittelt haben, doch in 87.000 Fällen der Vermittlung von Flugtickets habe das Unternehmen angeblich getrickst. Das behauptet ebenfalls zumindest die INES-Staatsanwaltschaft, welche wiederum an der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen dran hängt.

Die Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen ist dabei eine seit gut 15 Jahren agierende durchaus umstrittenen Sonderermittlungseinheit. Sie sollte schon mehrmals von der Politik gekippt werden, da sie als zu teuer und zu wenig effizient gilt. Aber auch als zu brachial im Umgang mit der Wirtschaft. Zuletzt gab es 2011 eine größere INES-Reform.

In der Anklageschrift vor dem Landgericht Leipzig hieß es jedenfalls am Mittwoch:

Unister habe vorwiegend über Portale wie fluege.de Flugtickets verkauft. Das sei zunächst kein Problem. Kunden hätten ganz normal ein Ticket erworben und zwar zum auf der Webseite ausgewiesenen Preis.

Ein Problem habe die INES-Staatsanwaltschaft aber mit dem folgenden Vorgang: Denn zwischen einer Flugbuchung und Flugticketausstellung hätten Callcenter-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Unister schnell nochmal online recherchiert, ob sie nicht während der Zeitspanne von Flugbuchung bis Ticketausstellung den Flug zum gewünschten Ziel nicht billiger finden würden.

Hintergrund dabei: Es kann in der Regel bis zu einigen Stunden dauern, ehe ein im Internet gebuchtes Flugticket dann tatsächlich von der Fluglinie bestätigt ausgestellt wird und dem Kunden über das Flugticketverkaufsportal zugeschickt wird. Diese Zeitdifferenz hatte also Unister ausgenutzt.

Konnte während der Wartezeit bis zur Ticketausstellung das gewünschte Flugziel durch Unister-Mitarbeiterinnen oder Unister-Mitarbeiter im Callcenter günstiger gefunden werden, behielt Unister die so erwirtschaftete Differenz ein. Das waren mal 10 Euro, mal 20, in eher seltenen Fällen aber wohl auch mal bis zu 90 Euro. Im Fachjargon spricht man von "Runterbuchen".

Die Reisefachzeitschrift FVW hatte mit Bekanntwerden der Runterbuchungs-Vorwürfe 2013 geschrieben, dass das ein branchenübliches Verhalten sei.

Zu Unister gehörten damals direkt oder über Beteiligungen oder Fulfillment-Verträge Flugportale wie fluege.de, vuelo24.es, volo24.it, vol24.fr, vlucht24.nl, billigfluege.de, flug24.de, fluy24.co.uk, flights24.ie, flug24.at, fluchten24.nl, voli24.it, vols24.fr oder vuelos24.es.

Alles Portale, die 2011 oder 2012 ins Netz geschoben worden waren und Unister immer größer und mächtiger im Online-Reisevertrieb machten. Dabei sind noch nicht einmal die Pauschalreise-Angebote von Unister berücksichtig, wie ab-in-den-urlaub.de, reisen.de, kurz-mal-weg.de und viele andere.

Je mehr Unister seine Muskeln spannte und wuchs, desto mehr wuchs die Hasskappe der traditionellen Reisebüros an der Straßenecke auf Unister. Sie warfen Wagner vor, ihre Existenz kaputt zu machen.

Fakt war in der Tat: Während Unisters Wachstumsphase gingen über 1000 Reisebüros kaputt. Doch Schuld hatte sicherlich nicht nur Unister. Aber sicherlich auch. Gleichzeitig befürchteten die großen Reiseveranstalter wie TUI, Thomas Cook, aber auch Airlines wie Air Berlin oder Air France, eine zu große Marktmacht von Unister. Gegenmaßnahmen wurden überlegt.

Einmal habe Thomas Wagner sogar den Gang nach Canossa antreten müssen und nach Paris reisen. Der Air France-Vorstand war stinksauer auf Unisters erfolgreiches französisches Reiseportal vol24.fr, welches zur Travel24.com AG gehört, berichtet ein Insider. In nur ein bis zwei Jahren hatte Unister über vol24 in Frankreich den Flugmarkt aufgerollt - auch mit Hilfe von dortiger TV-Werbung und einem prominenten französischen Fußball-Trainer: Guy Roux.

Roux war in Frankreich für Unister das Gegenstück zu seinen jahrelangen deutschen Fußball-Testimonials Reiner Calmund für fluege.de oder Michael Ballack, Ex-Kapitän der deutschen Fußballnationalmannschaft, der für ab-in-den-urlaub.de Werbung machte. Doch auch RTL-Moderatorin Sonja Zietlow machte mal für Unister Werbung (für holidaytest.de) und zwar gemeinsam mit RTL-Star Dirk Bach (verstorben). Ebenfalls bei Unister unter Vertrag stand Sonya Kraus als Werbegesicht für Yupri oder Travel24.com.

Die Maßnahmen, welche sich Unister-Gegner überlegt hatten, waren vielfältig: Mal hieß es, Unister dürfe keine Flugtickets von einer bestimmten Airline mehr vermitteln. Dann wieder drohte ein großer Reiseveranstalter mit Kündigung. Hinzu kamen Anschwärzereien bei Staatsanwaltschaften und Verbraucherzentralen. On Top feuerten einige Medien regelrechte Hetzkampagnen gegen Unister an. Kräftig gefüttert wurden sie von Unister-Gegnern, aber auch Kunden, die mal auf ihr Flugticket warteten, dann wieder auf Begleichung ihres Reisegutscheins.

Das Problem bei Unister war: Der Servicelevel in den Servicecentern, also Callcentern, war über die Jahre mit dem Wachstum nicht schritt gegangen. Unister-Mitarbeiter erzählen, teils sei die Annahmequote im Callcenter von Unister bei um die 50 Prozent herumgekrebst. Die Mindestquote von 85 Prozent zu erreichen war über Jahre ein Problem. Die bis zu zwei Millionen Reisekunden von Unister im Jahr forderten ihren administrativen Tribut, den Unister oft nicht schaffte perfekt nachzukommen. Das heizte die Stimmung weiter an.

Und ließ die Emotionen immer höher Kochen. Unister war eingekesselt von Konkurrenten, Kunden und zunehmend kritischen Medien, die sich auf jedes noch so kleine Anti-Unister-Gerücht stürzten und losrecherchierten, lossendeten und losschrieben. Vieles davon war falsch. Doch manche Kritik auch berechtigt. Unister musste Monat für Monat Hunderte Artikel, Radiobeiträge oder TV-Beiträge mit Hilfe einer Anwaltskanzlei überprüfen lassen und ließ unzählige Medien entweder kostenlos oder kostenpflichtig abmahmen. Je nach empfundener Schwere der Vorgänge. Doch es war ein Kampf gegen Windmühlen. Unister-Bashing war "in" geworden.

Plötzlich kursierte selbst bei RTL oder SAT.1 das Gerücht, Unister wasche russisches Schwarzgeld in Milliardenhöhe. Im Juni 2012 blies dann schließlich STERN TV zum Kampf gegen Unister. Die Vorhaltungen hielten zwar später Unister-Überprüfungen nicht komplett stand, doch der Imageschaden war gigantisch.

Zwei Wochen später legte Computer Bild von Axel Springer nach. Zusammengetragen worden war das vermeintliche Material gegen Unister unter anderem vom damaligen Chef vom Dienst der Computer Bild, von Alexander Krug. Der soll wiederum ein Spezl von STERN TV-Moderator Steffen Hallaschka sein, lauten Medien-Gerüchte.

Kein Wunder, dass in der STERN-TV-Sendung gegen Unister auch Krug saß. RTL ruderte später zurück und soll Unister "auf Grund der massiven STERN-TV-Hetze", berichtet ein TV-Mann, Wiedergutmachungen versprochen haben. Immerhin soll Unister bis zu 20 Millionen Euro netto jährlich für Werbung auf RTL oder Vox ausgegeben haben.

Früher warb Unister mit seinen Portalen in einer nach Marktschätzungen ähnlichen Größenordnung auch auf Sat.1, Kabel.1 oder Pro7. Vor allem zu Sat.1 oder Pro7 gab es über Jahre sehr gute Kontakte und man arbeitete sehr gut zusammen.

Auch wenn die zunehmend kritischen Medienberichte bei Unister-Managern nervliche Spuren hinterließen, so ließ sich dennoch Unister-Gründer Thomas Wagner davon nicht beirren.

Zwar überarbeitet er die Unister-Portale massiv und gelobte, alles verbraucherfreundlicher zu machen.

Doch nach wie vor kam die Spielernatur in ihm durch. Thomas Wagner konnte nicht nur auf dem Reißbrett seine Macht ausspielen. Er tat es auch. Zimperlichkeit im Umgang mit Geschäftspartnern, die ihm nicht die Provisionen gaben, die er gerne hätte, war nicht gerade eine Schwäche des Reise-Königs. Genauso konnte er aber auch ein Menschenverführer sein, der durchaus großen Rückhalt in der Reisebranche hatte und zwar auch bei zahlreichen Top-Leuten. "Wir sind ihm ja nicht gefolgt, weil er ein Idiot oder Arsch war", mein ein enger Wagner-Freund. "Wir sind ihm gefolgt, weil er top, ein Genie war".

Die zunehmend kritisierten Flugportale waren jedoch nicht nur der Unister GmbH angeschlossen, sondern auch Unister-Töchtern wie der "Kurz Mal Weg GmbH" aus Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern, der "RMK Billigflüge GmbH" aus Dresden (Unister unterhielt in Dresden zeitweise ein Büro mit bis zu 100 Mitarbeitern), oder der "travel24.com AG" aus Leipzig. Unister hatte die travel24.com AG 2009 übernommen und am Primestandard an der Börse Frankfurt gelistet.

Um die Kritik der Staatsanwaltschaft Sachsen an Unisters Flugpraxis zu verstehen, muss man wissen: Der durchschnittliche Preis eines Flugtickets, welches über Unister-Portale gebucht wird, liege nach Angaben der Unister-Broschüre "Unister GmbH. Porträt. Wir Verbinden Menschen. 10 Jahre erfolgreich und innovativ am Markt" bei rund 300 Euro (Quelle: Unister-Broschüre vom 15. Mai 2013, S. 19).

Unister hatte 2013 nach Angaben der Broschüre, welche von der Unternehmenskommunikation von Unister herausgegeben wurde (unter Leitung des damaligen Konzernsprechers und Bereichsleiters Kommunikation, Dr. Konstantin Korosides), um die 1900 Mitarbeiter.

Dass aber Unister bei Flügen mit der Runterbuchen-Praxis überhaupt begonnen hatte, war die Antwort darauf, dass Fluglinien wie Lufthansa an Flugvermittlungsportale in der Regel keine Vermittlungsprovision bezahlen. Was wiederum daran liegt:

Dass Lufthansa und andere Fluglinien überhaupt nicht scharf darauf sind, dass ihre Flugpreise plötzlich transparent neben Etihad Airways, Ryanair oder Thai Airways auf Flugvermittlungsportalen wie fluege.de für den Verbraucher transparent im Konkurrenzumfeld gelistet werden.

Vor allem auf Grund der Tatsache, dass sich der Verkauf von Flugtickets ohne Provision kaum lohnt, wurden Reisebüros - online wie stationär - kreativ, um die Serviceleistung gegenüber dem Kunden refinanzieren zu können. Eben mit Runterbuchen. Oder dem Zusatzverkauf von Stornoschutz und Reiserücktritt. Oder einer Servicegebühr. Sie bewegt sich leicht zwischen 20 und 25 Euro je Flugstrecke.

Geld, das auch Unister dringend für sein Wachstum brauchte, auch für sein Servicecenter. Um der Kundennachfrage gerecht zu werden. Immerhin hatte Unister nach Schätzungen in den vergangenen Jahren gut eine Milliarde Euro an Google für Reise-Werbeanzeigen in der Suchmaschine ausgegeben, um Kunden auf Portale wie fluege.de zu lotsen.

Je mehr Google-Werbeplätze mit Unister-Anzeigen belegt waren, desto geiler fand man das bei Unister. Desto mehr ärgerte sich darüber aber auch die Konkurrenz, die Unister immer um Nasenlängen hinterherhinkte. Während diese ihre neuesten Compliance Richtlinien auswendig lernten, eroberte Unister Schlachtfeld um Schlachtfeld im Internet. Kein Wunder, dass auch Google-Leute bei Unister in Leipzig ein und ausgingen.

Was im Wirtschaftsleben in Deutschland und weltweit eigentlich nicht unüblich ist, eben das permanente Suchen nach einem Preisvorteil, stieß aber bei Sachsens Justiz auf Unmut. Man vermutet beim Runterbuchen bis heute die ganz große Mafia-Masche, die man glaubt, aufgedeckt zu haben.

Deshalb marschierte die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen aus Dresden am 12. Dezember 2012 bei Unister und in Privatwohnungen von Unister-Managern in Leipzig, Dresden, Frankfurt oder Berlin mit rund 130 Ermittlern ein.

Dabei nahmen sie den Unister-Gründer Thomas Wagner, damals 33, gegen 9 Uhr in seiner Privatwohnung in Leipzig Gohlis fest. Die U-Haft soll ihm Dresdens Staatsanwalt Andreas Günthel mitgeteilt haben und zwar mit den Worten, Wagner könne jetzt mal Urlaub auf Staatskosten machen. Das zumindest erzählte Wagner Vertrauten. Dann habe man ihn von Gefängnis zu Gefängnis verlegt, um ihn mürbe zu machen.

Als Wagner nach quälenden Tagen in U-Haft aus der Haft in Dresden entlassen wurde, stand er mit Tränen Freunden gegenüber. Er war geschockt. Geschockt, dass man seine Aufbauleistung - gut 2000 Jobs, die Mehrheit davon in Leipzig - Null in Sachsen goutierte. "Thomas lief nach der U-Haft für mindestens drei Wochen wie ein Gespenst bei Unister herum, getraute sich nicht mehr in sein Büro. Er schlug sein Lager immer wieder in anderen Unister-Gebäuden auf. Er war leichenblass. Er war total neben der Spur. Irgendwas ist in ihm damals gebrochen", sagt ein sehr enger Wagner-Freund.

Hinzu kam der Verdacht auf Manipulationen an seinem geliebten weißen Porsche Boxter: "Er getraute sich nicht mehr einzusteigen, hatte Angst, dass er damit in die Luft fliegt, dass man ihn umbringen wollte", sagt der Freund weiter. Zwei Wochen sei Wagner nur noch zu Fuß in seine Mietwohnung in Leipzig Gohlis gelaufen.

Ebenfalls für Tage in U-Haft kamen kurz vor Weihnachten 2012 zusätzlich Unister-Co-Gründer Daniel Kirchhof, sowie Travel24-Finanzchef Thomas G. Für seine Freilassung musste Wagner kurz vor Heilig Abend 2012 insgesamt 500.000 privates Geld in bar nach Dresden bringen. Als Kaution. Eine Überweisung war nicht gestattet.

Da Wagner kaum Geld auf seinem Konto hatte, wäre er um ein Haar nicht mehr freigekommen. Schon damals hätte das für Unister den Ruin bedeuten können, da Wagner als Geschäftsführer nicht mehr handlungsfähig gewesen wäre. Das hatte eine Amtsrichterin am Amtsgericht Dresden erkannt und ihn dann nach rund einer Woche U-Haft freigelassen. Verteidigt hatte ihn Dresdens Strafrechtsanwalt Peter Manthey.

Zu den Ermittlern, welche die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen unter den beiden federführenden Staatsanwälten Andreas Günthel und Dirk Reuter für die erste Razzia bei Unister zusammengetrommelt hatten, waren mindestens 104 Personen (einige Quellen sprechen auch von 127 Ermittlern). Bekannt sind jedenfalls:

- 45 BeamteInnen des Landeskriminalamts Sachsen

- 3 Polizeibeamte aus Mecklenburg-Vorpommern

- 9 Polizeibeamte aus Hessen

- 38 FinanzbeamtInnen des Finanzamts Leipzig II Steuerfahndungsstelle

- 1 Bedienstete sächsische Stadtverwaltung

- 3 Bedienstete hessischer Stadtverwaltungen

- 2 Mitarbeiter einer externen Gutachterfirma im IT-Bereich

- 3 Mitarbeiter/innen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht

Hätte Unister - lautet der Vorwurf von INES in der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen - in seinen AGBs, also den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das Runtermachen von Flugtickets als Reiseveranstalter gemacht, wäre es wohl rechtens gewesen.

Da Unister aber in seinen AGBs lediglich geschrieben habe, dass man Flüge vermittle und nicht mit Flügen handele, sehe man eben ein rechtliches Problem. Deshalb liege also ein Betrug an Kunden in 87.000 Fällen vor (was Unister seit Jahren abstreitet und zurückweist).

Dass die sächsische Staatsanwaltschaft zu einem solch massiven Vorwurf kommt, stößt selbst bei hohen Juristen auf Verwunderung und Kritik.

Denn selbst wenn sich eine Fluglinie an der Praxis des Runterbuchens anstößig gezeigt hätte: Dann wäre es immer noch ein Zivilrechtsverfahren gegen Unister gewesen. Das hätte dann aber die betroffene Airline, beispielsweise Lufthansa, anstrengen müssen. Hatte sie aber über Jahre nicht. Wie Air Berlin über Jahre auch nicht. Im Gegenteil:

Es soll Aussagen von Airline-Managern geben, wonach das sogenannte Runterbuchen branchenüblich wäre und bekannt sei.

Auch der unter dubiosen Umständen über Slowenien am 14. Juli 2016 in einem Privatflugzeug abgestürzte Unister-Gründer Thomas Wagner, 38, hatte immer gesagt, er könne am Runterbuchen nichts problematisches oder gar illegales sehen.

Wagner gilt als Star in Deutschlands Internetszene und wurde selbst in den USA als Wunderkind gehandelt. Noch bis wenige Tage vor seinem Tod hatte er mit seinem Anwalt, Dr. Ingmar Werner, intensiv an einer Verteidigungsstrategie gearbeitet (welche netz-trends.de vorliegt).

Wer verstehen will, wie Unister überhaupt so groß werden konnte, wie es war, muss Wagner verstehen: Wagner hatte mit 22 Jahren als überaus talentierter und begnadeter und geradezu verbissen fleißiger BWL-Student der Universität Leipzig sich das Programmieren selbst beigebracht. Dazu nutzte er Tag und Nacht Programmierbücher.

Dieser schier übermenschliche Ehrgeiz und Fleiß galt auch Wagners Willen, ein großes Unternehmen in Leipzig, in Ostdeutschland, aufzubauen. Es dem Westen zu zeigen. Es den alten Kapitalisten zu zeigen. Das war durchaus eine Antriebsfeder für den eher kleinen Mann, den viele noch als Jungen ansahen, gerne zudem als kleinen ostdeutschen Napoleon der Internet-Nerds.

Auch deshalb stapelte Wagner Tonnen an Management-Büchern am Boden, im Regal, in seinem Büro. Dabei war sein Schreibtisch, der an ein Messi-Chaos erinnerte, legendär.

Doch wer glaubte, Wagner sei ein Chaot, irrte. Er hatte ein Gedächtnis, sprichwörtlich wie ein Elefant. Hinzu kam seine äußerst hohe Auffassungsgabe und seine Fähigkeit parallel komplizierteste Zusammenhänge zu erkennen, zu analysieren und in geordnete Bahnen zu lenken, um das Unternehmens-Wachstum voranzutreiben. Immer an seiner Seite: Seine Jungs, seine Führungskräfte.

Im Zentrum: Thomas, der König. Er entschied, wer einen Bonus über 50.000 Euro oder 2000 Euro im Jahr erhielt, oder eben gar keinen. Er entschied, wer 300.000 Euro im Jahr verdiente, oder nur 20.000. Er entschied, wer einen monatlichen Etat als Bereichsleiter von 200 Euro, 2000 Euro oder Null hatte. Er entschied, wer zehn studentische Hilfskräfte zusätzlich zu den fest Angestellten beschäftigen durfte, oder gar keine. Ob Praktikanten von den Unis im Office in Hamburg, Düsseldorf, Jena, Dresden oder Leipzig eingestellt werden durften, oder nicht.

Während er es verstand, so manche Führungskraft emotional stark zu binden, führte er andere durch seine schiere intellektuelle Brillanz und seinen schier unerschöpflichen Siegeswillen und nie endenden Optimismus. Mitgehangen, mitgefangen, war bei Thomas Wagner für viele das Motto, das sie aber auch liebten. Oder hassten.

Gegründet hatte Thomas Wagner das Unternehmen als Unister GmbH am 22. Juli 2002 beim Leipziger Notar Dr. Carsten Ritter. Eingetragen wurde die Unister GmbH schließlich am 22. August 2002 unter dem Zeichen HRB 19056 beim Amtsgericht Leipzig.

Als Startkapital waren die geforderten 25.000 Euro hinterlegt worden. 10.000 Euro hatte Thomas Wagner sich mühevoll zusammengespart, weitere 10.000 Euro kamen von seinem Uni-Freund Mathias Krasselt.

Je 2.500 Euro steuerten damals zudem die Oberstufenfreunde von Thomas Wagner aus Dessau, Oliver Schilling und Christian Schilling, bei. Sie hatten bis dahin als Bundesgrenzschutzpolizisten an der polnischen Grenze fleißig gearbeitet und Schmuggler aufgespürt.

Die Schillinge waren als Zwillinge von Anfang an bei Unister unzertrennlich. Sie waren überall beliebt. Thomas hatte Oliver kurz vor dem Abi kennengelernt "und festgestellt, dass man mit den Schillingen gut abends noch einen Saufen gehen konnte und Party machen", erzählt ein enger Wagner-Freund.

Als Krasselt als Gesellschafter bei der Unister GmbH 2004 ausschied, wurden die Anteile leicht verändert. Damals stieß dann Daniel Kirchhof hinzu, ein äußert talentierter und von vielen als blitzgescheit geschilderter Elitestudent an der HHL Leipzig Graduate School of Management.

Kirchhof übernahm zum 21. Januar 2004 Anteile an Unister. Zudem erhöhte Thomas Wagner seine Anteile, ebenso seine Jugendfreunde, die Schillinge.

Während Wagner seine Stammeinlage um weitere 10.500 Euro erhöhte, steuerte Daniel Kirchhof 4500 Euro bei. Die gleiche Summe legte Sebastian Gantzckow (heute in Berlin) in die GmbH. Allerdings schied auch Gantzckow wenige Jahre später, 2010, wieder als aktiv im Unternehmen Arbeitender bei Unister aus.

Neben Schilling, Kirchhof und Gantzckow investierten in die Unister GmbH noch einmal Oliver Schilling und sein Zwillingsbruder Christian Schilling. Beide schossen in die GmbH jeweils weitere 2750 Euro.

40.000 Euro Startkapital reichten also aus, um letztlich zum Marktführer im unabhängigen Onlinereisevertrieb für Pauschalreisen und Flugtickets in Deutschland zu werden. Um sich solche Top-Domains wie auto.de, kredit.de, schuelerprofile.de, partnersuche.de, fluege.de, shopping.de oder versicherungen.de mit Millioneninvestments in kürzester Zeit zusammenzukaufen. Ganz ohne großen Investor im Rücken. Ganz ohne Superkonzern als Partner.

Ein Märchen, von welchem jedes Start-Up weltweit träumt. Als Wagner 32 war, hatte er bereits über 1000 Mitarbeiter.

Der Aufstieg wurde auch durch eisernes Sparen ermöglicht. So zahlten sich die Unister-Gründer in den ersten Jahren monatlich gerade einmal nur rund 500 Euro Gehalt und wohnten teils in WGs. Statussymbole waren ihnen genauso fremd, wie wichtiges Herumstehen auf Empfängen in Leipzig, Berlin oder sonstwo.

Doch das war auch Wagners Schwäche: Er kam nicht aus seinem Kabuff im Barfußgässchen oder später aus seiner 70-Quadratmeter-Mietwohnung heraus.

Wagner selber verabschiedete sich erst 2010 aus seiner geliebten Leipziger WG. Sein Zimmer war gerade einmal rund 20-Quadratmeter groß. Wäre es nach Thomas gegangen, sagt ein enger Wagner-Freund, "wären seine engsten Freunde wohl mit ihm zusammengezogen in einer einzigen WG". Da wäre natürlich nicht nur Fußball gespielt worden, ergänzt der Freund. Die Arbeit habe bei Thomas immer im Mittelpunkt gestanden.

Kein wunder, dass Thomas Wagners WG-Zimmer in zentraler Leipziger City-Lage war. Das war für das Arbeitstier Thomas wichtig: So konnte er schneller in sein Büro im Barfußgässchen 11 im dritten Stock gelangen und am Aufbau von Unister arbeiten.

Schon 2011 raunte man bei Unister: Thomas sei auf dem Weg zum Milliardär. Das könne man erkennen, wenn man sich anschaue, wie effektiv Unister Geld im Onlinereisevertrieb aber auch auf Portalen wie preisvergleich.de, das damals noch als Lizenz zum Gelddrucken galt, einsammele. Doch auch das hörte man:

Er sei ein fast irrer Geizhals, der niemandem so recht etwas gönne. Auch lasse er die Mit-Gesellschafter und engsten Freunde, die halfen, das Unternehmen aufzubauen, am langen Arm verhungern. Mehrmals sollen die Schillinge damit gedroht haben, alles hinzuschmeißen. Erstmals auf der Weihnachtsfeier 2011 schon.

Gerüchte machten die Runde, der Gewinn von Unister habe damals zwischen 40 und 70 Millionen Euro im Jahr betragen. Geld, das Wagner aber nahm, um faktisch über Nacht weitere 1000 Mitarbeiter einstellen zu lassen.

Bereichsleiter und Teamleiter, die 2010 und 2011, auch 2012, nicht kräftig Personal aufstockten, galten schnell intern als Lahmärsche, welche für den Aufbau von Unister zu einem global Player nicht geeignet seien. Direktoren-Positionen kannte man damals noch kaum bei Unister.

Keine Handvoll an Direktoren-Posten hatte Wagner damals vergeben. Doch die meisten Unisterianer wollten das auch gar nicht. Sie liebten Unister, so wie es war: Etwas chaotisch, lustig und selbstwillig geführt von Thomas eben und seinen Vertrauten.

Mehr Direktoren-Posten und Hierarchien lernte man bei Unister erst mit dem Einstieg des ehemaligen Thüringer und sächsischen Regierungssprechers Peter Zimmermann kennen. Er hatte ab Mitte 2013 bis Frühjahr 2015 als CEO bei Unister angeheuert. Vermittelt worden sei dies angeblich von einem von Leipzigs Immobilien-Haien: Von Steffen Göpel und zwar über Daniel Kirchhof, sagt ein Unister-Insider. Erstmals sei Göpel in größerem Rahmen auf der ITB am Stand von Unister als Gast gesichtet worden. Das sei so um das Jahr 2010 oder 2011 gewesen, erinnert sich ein Unister-Manager.

Zimmermanns Ziel: Unister aus der Krise führen, um Thomas Wagner einen Schutzwall bauen. Denn die Krise hing seit den nicht mehr aufhörenden INES-Ermittlungsverfahren Tag für Tag wie eine Dunstglocke über Unister.

Jeden Morgen aufs neue hatte man Angst, dass es eine neue INES-Razzia geben würde. Eine zweite hatte es bereits zwei Monate nach der ersten, und zwar am 30. Januar 2013 gegeben. An dieser zweiten Razzia nahmen mindestens 39 Staatsdiener teil:

Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Abteilung III INES:

- 5 Mitarbeiter/innen, darunter 4 Staatsanwälte - Landeskriminalamt Sachsen, Dezernat 25 - INES:

- 12 Polizeibeamt/innen

- 15 Beamte/innen und Angestellte des Landeskriminalamtes Sachsen

- 2 Polizeibeamtinnen aus Brandenburg

- 2 Polizeibeamte aus Bayern

- 1 Bedienstete einer bayerischen Stadtverwaltung

- 2 Mitarbeiter einer externen Gutachterfirma im IT-Bereich

- Hinzu kamen wieder Mitarbeiter des Finanzamtes II Leipzig

Doch damit nicht genug: Am 12. Dezember 2013 gab es eine dritte Razzia bei Unister. Selbst eine vierte Razzia soll noch angerollt sein. Sie soll Unister nur dadurch abgebogen haben, indem man alles nach Dresden sendete, was die aggressiv ermittelnde Staatsanwälte forderten. Und das war viel.

So viel, dass es von Monat zu Monat an die Substanz von Unister ging. Auch, da immer mehr Mitarbeiter den Ermittlungsdruck psychisch nicht mehr aushielten und kündigten. Auch Geschäftspartner wurden nervös. Das rote Telefon zum Chef war Alltag geworden. Der Alltag wurde mürbe. Das spaßige und spielerische Lachen auf Unisters Fluren wurde weniger.

"Wir hatten sehr früh das Gefühl, dass die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen, beziehungsweise die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Unister nicht nur auseinandernehmen wollte, um mögliches Fehlverhalten aufzudecken, sondern dass die zuständigen Staatsanwälte Unister kaputt machen wollten", sagt ein Unister-Manager.

Dennoch stand nach wie vor die Türe von "Thomas" faktisch für die Unister-Mitarbeiter fast rund um die Uhr offen. Oft an sechs Tagen die Woche von morgens 9.30 Uhr bis Nachts um 23 Uhr.

Für seinen immerwährenden Einsatz für Unister und damit für die Arbeitsplätze von Hunderten Mitarbeiter, liebten diese ihren nur 1,72 Meter großen Chef, den alle eben nur Thomas nannten.

Doch zurück zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft Sachsen:

Damit das Runterbuchen in Sachsen plötzlich zu einer angeblichen "Straftat" werden konnte, griffen die Staatsanwälte Dirk Reuter und Andreas Günthel in eine juristisch besonders perfide und in Deutschland eher einmalige Trickkiste:

Flugs machten sie aus 20-Jährigen Callcenter-Mitarbeiterinnen "Mitglieder einer kriminellen Computerbunde". Oberster Kopf dieser "kriminellen Vereinigung" sei Unister-CEO Thomas Wagner.

Dutzende kleine Unister-Mitarbeiterinnen aus den Reise-Callcentern sahen sich auf Grund der staatsanwaltlichen Vorwürfe, die 2013 und in der Folgezeit aufkamen, in ihrer Existenz gefährdet. Bis zu 70 sollen auf der INES-Liste gestanden haben. Heute seien es nach Gerüchten noch um die 50.

Jede noch so kleine Unister-Mitarbeiterin musste sich plötzlich um einen Strafverteidiger kümmern. Für die Betroffenen oft sehr jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Katastrophe: menschlich, wie finanziell. Niemand hatte in diesem Alter Erfahrungen mit Staatsanwaltschaften und Gerichten. Angst machte sich breit.

Akribisch, wenn auch im Schreibstil etwas platt, reiht Staatsanwalt Günthel in seiner Anklageschrift vom 8. Dezember 2013, die er fett mit "Haft" überschrieb, die Namen unzähliger Unister-Mitarbeiterinnen und Unister-Mitarbeiter auf.

Verwundert und sauer reagierte nun zum Prozessauftakt in Leipzig der Frankfurter Wirtschaftsanwalt Thomas Filler. Er verteidigt Unisters langjährigen Flugchef Holger Friedrich. Friedrich war 2011 nach dem Ausscheiden von Tom Meyer, der heute für Verivox arbeitet, Meyers Nachfolger geworden.

Jedenfalls schreibt die Leipziger Volkszeitung (LVZ), wonach Thomas Filler vor dem Landgericht Leipzig am Mittwoch "kein gutes Haar" an der im Unister-Prozess auftretenden sächsischen Staatsanwaltschaft gelassen haben soll:

"Das Runterbuchen wird seit 30 Jahren in Deutschland praktiziert, bisher gab es deshalb nie Ermittlungen". Er halte auch deshalb die Vorwürfe gegen seinen Mandanten und die Anklage für "aufgeblasen". Er sehe diese auf "tönernen Füßen". Die Staatsanwaltschaft habe zudem großen Anteil daran, dass Unister in den Abwärtsstrudel geraten sei.

In den anstehenden weiteren 17 Verhandlungstagen bis Sommer 2017 dürfte auch die Rolle der Bafin noch für einige Fragen und auch Stirnrunzeln sorgen. Denn die Bafin hatte von Unisters Stornoschutz und dem Reiserücktritt-Angebot auf den Reiseportalen des Leipziger Internetunternehmens gewusst, diese jedoch nicht verboten. Doch nicht nur das:

Die Bafin hatte scheinbar aktiv Staatsanwalt Dirk Reuter geholfen, dass dieser am Ende eine angebliche Steuerschuld von Unister in Höhe von über 1 Millionen Euro in seine Anklageschrift und den 2012 ausgestellten Haftantrag gegen Unister-Gründer Thomas Wagner schreiben konnte. Denn erst ab 1 Millionen Euro angeblicher Steuerhinterziehung droht eine Gefängnishaft.

Dabei glaubt Unisters langjähriger Ex-Sprecher Dr. Konstantin Korosides sich zu erinnern, dass er von einer Computerzeitschrift (Computer Bild) bereits im frühen September 2012 den Hinweis erhalten habe, dass die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen Thomas Wagner und Daniel Kirchhof in U-Haft nehmen wolle und bei Unister im Dezember 2012 eine Razzia plane.

Als Grund nannte die Computerzeitschrift "eine Steuersache auf fluege.de". Die Antwort von Wagner soll damals etwas lachend gelautet haben: "Sollen sie doch kommen. Wir haben nichts zu verstecken. Auch nicht in Steuersachen.“ Er hatte sich niemals vorstellen können, dass die Staatsanwaltschaft tatsächlich käme, um einen der größten privaten Arbeitgeber Leipzigs, ja Ostdeutschlands, so massiv anzugehen.

Deshalb macht bereits das Wort von einem Justizskandal in Sachsen die Runde. So hatte ebenfalls die Leipziger Volkszeitung den Leipziger Jura-Professor Prof. Dr. Marc Desens mit den Worten zitiert, wonach das Vorgehen gegen Unister mit Blick auf die angeblichen "Versicherungen" ein "Justizskandal" sei (Artikelempfehlung: "Dr. Dirk Reuter und Unister: Es wäre ein Justizskandal‘, sagt Jura-Professor“).

Die LVZ hatte zum Bafin-Skandal und der Tatsache, dass die Bafin Unister den Stornoschutz oder Reiserücktritt nicht verboten hatte, ausgeführt:

"Bei unterschiedlichen Ansichten hätte ein Finanzgericht entscheiden können. Doch das Dokument wurde auf Bitten der Generalstaatsanwaltschaft zurückgehalten, um die Ermittlungen nicht zu gefährden, wie es offiziell hieß. Eine Bafin-Mitarbeiterin machte darüber einen Aktenvermerk, der LVZ.de vorliegt: 'nicht abgesandt auf Wunsch der GenStA, Dr. Reuter. Telefonat vom 5.9.', heißt es dort. Etwa dreieinhalb Monate lang ließen die Behörden Unister im Dunkeln darüber, ob ihre Leistungen rechtswidrig sind und, dass statt Umsatzsteuer eigentlich Versicherungssteuer hätte gezahlt werden müssen. Der angebliche Steuerschaden summierte sich so weiter.“

Beobachter sind sich mittlerweile einig: Das Vorgehen der sächsischen Justiz, vor allem der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, beziehungsweise der Integrierten Ermittlungseinheit Sachsen, hat Unister in dem viereinhalb Jahre dauernden Ermittlungsverfahren massiv geschadet. Letztlich ist Unister damit von den Finanzmärkten abgeschnitten worden, welche das stark wachsende Unternehmen dringend für übliche Refinanzierungsrunden gebraucht hätte.

Am Ende musste Thomas Wagner eine dubiose Reise nach Venedig antreten, um in größter Not einen Kredit in Höhe von 10 Millionen Euro aufzunehmen. Diesen sollte er mit 1,5 Millionen Euro anbezahlen. Doch statt des Kredits hatten ihm Mafiosi in Venedig im Rahmen eines Rip-Deals Falschgeld untergejubelt.

Auf dem Rückweg stürzten er mit seinem Jugendfreund Oliver Schilling in einem gecharterten Privatflugzeug unter bis heute nicht geklärten Umständen ab. Vor wenigen Monaten fand das slowenische Militär mit einer Hundertschaft von Helfern des zivilen Katastrophenschutzes das Höhenruder der Piper 32, welche Wagner in den Tod gerissen hatte und Unister vier Tage später in den Ruin.

Die 1,5 Millionen Euro sollen tags zuvor zwei Mitarbeiter (ein Mann und eine Frau) des Finanzmanagements von Unister bei der Commerzbank abgehoben haben. Wagner soll hierfür angeblich einen Privatkredit beim eigenen Unternehmen aufgenommen haben und als Sicherheit sein eigenes Gehalt verpfändet haben.

Als Absturzursache stehen in Slowenien bislang sowohl Vereisung im Raum, als auch "Fremdeinwirkungen von außen". Bis zum Abschlussbericht könnten noch ein bis zwei Jahre ins Land gehen.

Doch in der Zwischenzeit werden vorm Landgericht Leipzig sicherlich noch einige pikante Details ausgerollt. Thomas Wagner kann dabei leider nicht mehr anwesend sein. Er hatte ebenfalls bis kurz vor seinem Tod mit seinem Anwalt Dr. Ingmar Werner noch eine Klage aufsetzen lassen, mit welcher er den Freistaat Sachsen auf 43 Millionen Euro verklagen wollte.

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