Deutsche Adipositas Gesellschaft schrillt wieder: Fettleibigkeit unter Jugendlichen steige

Seit bald zwölf Jahren wird das Thema Fettleibigkeits-Epidemie unter Erwachsenen und Jugendlichen mit regelmäßigem Abstand von interessierten Kreisen teils hysterisch, teils unseriös (mangelnde Faktenlage, zu wenige repräsentative Studien), durch die Medien getrieben. Vorneweg trabt gerne die selbsternannte Deutschen Adipositas Gesellschaft- ein Zusammenschluss von rund 400 unterschiedlichster Ernährungswissenschaftlern, Mediziner und Interessenvertreter. "Insgesamt ist fast ein Viertel der deutschen Bevölkerung adipös", soll nach Medienberichten - beispielsweise des Hamburger Abendblattes - die Kongresspräsidentin der Deutschen Adipositas Gesellschaft, Prof. Martina de Zwaan, am Freitag in Hannover verlautbart haben. Die Gesellschaft tagt noch bis Samstag auf ihrem Jahreskongress.

Foto: Netz-Trends
Fettleibigkeit, die krankhaft wird, sollte auch als Krankheit anerkannt werden, fordern Wissenschaftler.

Es ist mal wieder so weit: Die Fettleibigkeits-Alarm-Fraktion Deutschlands schmeißt mal wieder mit Zahlen um sich: Angeblich sei, heißt es auf einem Kongress der Deutschen Adipositas Gesellschaft, rund ein Viertel der Deutschen - also gut 25 Prozent - "extrem übergewichtig". Gar 200.000 deutsche Jugendliche seien zudem sehr stark übergewichtig. Doch es gibt berechtigte Gründe solchen Zahlen nicht immer gleich zu glauben und diese auch einmal zu hinterfragen: Denn es gibt zu wenig bevölkerungsrepräsentative Studien und zu viel missionarischen Eifer.

Nur: Adipös wäre krankhaft übergewichtig. Statistiken, die behaupten, wie viele Menschen in Deutschland wirklich krankhaft fettleibig, also adipös seien, sind aber nach wie vor häufig und in der Regel wenig seriös, da es bis heute niemand geschafft hat, alle 80 Millionen Deutsche auf die Wage zu bringen. Das weiß auch die Deutsche Adipositas Gesellschaft. Bis 1998 gab es noch nicht einmal eine einzige deutschlandweit durchgeführte einigermaßen repräsentative Studie zur Volksgesundheit in Deutschland.

Damals initiierte die Regierung aus SPD und Grünen erstmals einen sogenannten "Gesundheitssurvey" - eine Studie für die immerhin gut 20.000 Bürger nach ihrem gesundheitlichen Wohlbefinden befragt wurden. Seither erscheint diese Studie im Abstand von vier Jahren. Doch bis heute lassen sich selbst aus dieser staatlich getragenen und forcierten Studie nicht überzeugende Erkenntnisse ziehen, dass tatsächlich 20 Millionen Deutsche krankhaft übergewichtig oder auch nur normal übergewichtig wären. Wer will denn allen Ernstes von 20.000 Menschen und ihren subjektiven Angaben auf 80 Mio. Menschen statistisch hochrechnen? Wir haben es ja nicht mit TV-Einschaltquoten zu tun oder allgemeinen Stimmungslagen.

Nahrungsmittelindustrie oder Gene?

Renate Künast, ehemalige Bundesverbraucherministerin von den Grünen, machte um die Jahrtausendwende gemeinsam mit einem damals stark engagierten EU-Kommissar eine Megakampagne gegen die Lebensmittelindustrie. Sie sei maßgeblich für Fettleibigkeit unter Jugendlichen und Erwachsenen in der Europäischen Union verantwortlich, sagte sie. Dass Fettleibigkeit zu einem dominierenden Grad genetisch dominiert ist, wurde schon damals unter den Tisch fallen gelassen und es wird auch heute gerne ignoriert.

Das soll die Verantwortung der Nahrungsmittelindustrie und der mit ihr verbundenen Institutionen wie beispielsweise des einflussreichen und als moderierendes Mittel der Industrie wichtigen Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) keinesfalls kleinreden. Doch es ist ja viel geschehen in den vergangenen Jahren: Selbst REWE packt seine diätfördernde Wassermilch, die 1,8-prozentig fetthaltige Milch, direkt neben die schmackhaftere 3,8-prozentige Milch.

Wir werden von der Lebensmittelindustrie geradezu mit Diätprodukten verfolgt - ob fettschonender Joghurt, fettschonende Salami oder fettschonender Käse: Es ist ja alles da. Hinzu kommt die wesentlich bessere Nahrungsmittelkennzeichnung, die Nestle, Kraft Foods, Unilever oder auch Retail-Eigenmarken wie Ja etc. auf die Verpackungen drucken müssen. Zwar ist die Ampel - rot, gelb grüne Kennzeichnung für die Lebensmittelgesundheit - vom Tisch (viele sagen: zum Glück), doch kann sich jeder auf der Verpackung klar erkundigen, wie viele Kalorien in einem Snickers stecken oder in einer Packung Lindt-Schokolade.

Dass nun mal wieder die Deutsche Adipositas Gesellschaft zum Sturm auf die Dicken und Adipösen ruft, beruht auch auf den unterschiedlichen Messmethoden. So setzen in Anlehnung an anglikanische Länder viele Ernährungswissenschaftler in Deutschland gerne den Body Mass Index (BMI) als Maßeinheit dafür ein, ob jemand Übergewicht hat, normalgewichtigt ist oder untergewichtig. Adipös wäre entsprechend dieser Maßeinheit - die aber durchaus stark umstritten ist – jemand, der oder die bei einer Körpergröße von 1,70 Meter ein Gewichtig von 86,5 Kilogramm hätte.

Nur: Umgekehrt würde entsprechend des Body Mass Index (BMI) auch jemand als untergewichtig gelten, der mit 1,85 Metern nur 69 Kilogramm wiegt. Doch: Gerade bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen bis zum 40. Lebensjahr sind schlanke Typen auch genetisch bedingt nicht unüblich. Dabei wird keiner dieser Personen sich wirklich als krankhaft untergewichtig ansehen. Mit zunehmendem Alter steigt dann auch das Körpergewicht. Da die Deutschen immer älter werden, nimmt ganz natürlich das Gewicht auf der Wage zu.

Sollen Renter Zwangsdiät machen?

Sollen alle Rentner künftig auf eine Zwangsdiät geschickt werden? Und selbst wenn: Baut der Körper Zucker und Fett auf natürlichem Wege nicht mehr so schnell ab, wie bei jüngeren Menschen, hilft auch eine Diät nicht viel. Ganz abgesehen davon: Viele, die sich selbst vielleicht als mollig, dicklich oder dick ansehen, haben überhaupt kein Problem damit und möchten auch gar nicht abnehmen.

Sorgen bereitet der Deutschen Adipositas Gesellschaft, in der sich über 400 Experten engagieren, primär aber sowieso das krankhafte Übergewicht. Hier werden seit Jahren - und das ist auch sinnvoll - Wege der Prävention und Therapie gesucht. Dabei ist aber auch klar: Ab einem gewissen Maß an Fettleibigkeit helfen weder Sport noch Diäten oder permanente ausgewogene Ernährung: Da hilft nur noch ein chirurgischer Eingriff.

Es wird also das Fett regelrecht aus dem Körper gesaugt oder geschnitten. Auch eine künstliche chirurgische Magenverkleinerung kann Abhilfe verschaffen. Das sieht man auch in der Adipositas Gesellschaft so: "Wir wissen, dass die Komplikationen in der Adipositas-Chirurgie geringer geworden sind", sagte Prof. Alfred Wirth aus Bad Rothenfelde.
Immerhin betont der Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft, Martin Wabitsch, wonach "Adipositas eine Krankheit des Gehirns ist, nicht ein Lebensstil-Phänomen". Wabitsch ist Professor am Universitätsklinikum Ulm und Koordinator des - leider auch wieder selbstbezeichneten - "Kompetenznetzes Adipositas".

Dennoch macht die Deutschen Adipositas Gesellschaft wahrgenommen in den Medien eine gewisse Kehrtwende. Jahrelang hatte man den Eindruck als schiebe sie primär der Ernährungsindustrie oder den Erziehungsberechtigten die Schuld für Fettleibigkeit gerade bei jungen Menschen in die Schuhe.

Sinnvoll ist die Forderung der Deutschen Adipositas Gesellschaft, dass Fettleibigkeit ab einem bestimmten Grad als Krankheit anerkannt wird. Das würde helfen, dass die Krankenkassen auch ihren Teil dazu beitragen, dass krankhaft Fette wieder dünner werden dürfen - und sei es eben mit chirurgischer Hilfe oder sonstigen massiven und längerfristigen Therapien.

Das Problem ist die Burger-Fress-Fraktion

Doch problematisch wird es bei der Burger-Fress-Fraktion: Familien, die von frühester Kindheit an ihren Kindern Fast Food auf den Teller packen, kiloweise Coca Cola, Fanta, Sprite, Chips, Schokolade den Kindern auf den Nachttisch oder Morgentisch stellen, tragen eine erhebliche Mitschuld an Fettleibigkeit. Deshalb kann man sicherlich auch sagen: Viele sind zwar erblich fettleibig oder adipös, doch nicht wenige sind es auch selbstverschuldet und reichen das dann von Generation zu Generation weiter. Besonders drastisch sind solche Personen in den USA zu beobachten.

Immerhin bietet das Bundesforschungsministerium nun innerhalb eines Fettleibigkeits-Projektes zwei Millionen Euro, um Jugendlichen mit schwerem Übergewicht Hilfsangebote zukommen zu lassen. "Unser Ansatz ist nicht die Gewichtsreduktion, sondern die Verbesserung der psychosozialen Situation", sagte hierzu Adipositas-Mann Wabitsch. Dabei macht er darauf aufmerksam, wonach Mädchen und Jungen, die 150 Kilogramm oder mehr auf die Waage brächten, oft eine schlechtere Lebensqualität als Krebskranke hätten. "Sie finden keinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Sie finden keinen Partner. Sie sind zunehmend isoliert."

Innerhalb des vom Deutschen Bundesforschungsministerium finanzierten Fettleibigkeits-Projektes dürfen krankhaft Fettleibige im Alter zwischen 14 und 21 Jahren teilnehmen. Schon in dieser Altersgruppe litten viele, sagt die Adipositas-Gesellschaft, unter Gelenkproblemen, nächtlichen und durchaus lebensbedrohlichen Atemaussetzern (was normalerweise eher bei älteren Menschen vorkommen kann) sowie unter Altersdiabetes (ebenfalls eher eine Krankheit von älteren Bürgern).

Kongresspräsidentin Martina de Zwaan berichtet auf dem Adipositas-Kongress, wonach in Deutschland bislang 6000 Adipositas-Operationen, wie Magenverkleinerungen, registriert worden seien. Alleine im Jahr 2012 hätten deutsche Kliniken rund 9000 solcher Operationen durchgeführt. Dabei sei die Tendenz stark steigend.

Immerhin teilten die Ernährungsfachleute und Mediziner mit, wonach man tendenziell bei Schuleingangsuntersuchungen weniger übergewichtige Kinder festgestellt habe. Die Aufklärungskampagnen seit Mitte der 90er Jahre zeigten also Erfolge. Doch auch hier sind die Statistiken bislang wenig repräsentativ. Denn noch gibt es - auch aus Datenschutzgründen - kein zentrales Register, das die Ergebnisse aller deutschen Gesundheitsämter von Schuleingangsuntersuchungen bündeln würde.


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