Amerika diskutiert über Google-Urteil Recht auf Vergessen

Viel Speilraum für Gerichte künftig also. Es gilt aber auch: Wenn das öffentliche Interesse an einer Person oder einer Sache Vorrang hat, bleibt auch künftig der Link wohl eher online, sind sich Rechtsanwälte der Medienwelt einig. Jedenfalls stärkt der Europäische Gerichtshof mit seinem wegweisenden Urteil zunächst einmal fundamental die Rechte von 500 Millionen Bürgern gegenüber dem amerikanischen Mega-Internet-Konglomerat Google. Die Washington Post schreibt beispielsweise, wonach das Gerichtsurteil auch für die Industrie weitreichende Konsequenzen haben könne, welche "Milliarden von Dollar Gewinn durch das Sammeln, Sortieren und Umverteilen von Daten" erwirtschaften würde.

Große Aufregung in den USA: Von der Washington Post bis zur New York Times diskutieren hunderte Medien in den USA das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH; European Court of Justice), wonach jeder Bürger ein Recht auf Vergessen in Google habe - das "right to privacy", beziehungsweise das "right to Be Forgotten". Konkret heißt das: Google muss in der EU künftig Link-Verweise löschen, wenn eine unverhältnismäßig dauerhafte Prangerwirkung gegenüber einer Person oder einer Unternehmung ein dauerhaftes öffentliches Interesse an einem Bericht überwiegt.

Der Europäische Gerichtshof möchte mit dem Urteil gegen Google den 500 Millionen EU-Bürgern helfen, dass Google Links löschen muss, die beispielsweise auf Seiten führen, die für die Betroffenen bereits Bestandteil von gerichtlichen Auseinandersetzungen waren. Hierzu gehören beispielsweise angebliche Rotlicht-Milieus, in welchen man sich aufgehalten haben soll oder irgendwelche presserechtlich bereits untersagten Veröffentlichungen.

Besonders freuen dürfte das Urteil gegen Google beispielsweise den ehemaligen Formel-1-Chef Max Mosley. Er hatte mehrmals gegen Google geklagt in der Search-Trefferliste, nicht mehr auf Links zu verweisen, welche Content verbreiten, der eigentlich gerichtlich bereits untersagt worden ist.

Bislang hat sich Google mit dem Verweis auf die angebliche Netzneutralität geweigert, Verweise auf solche Links auch nach Gerichtsurteilen zu unterbinden.

Wie sich allerdings der hohe Richterspruch in der Europäischen Union auch auf die USA auswirkt, das ist noch nicht klar und das schreiben entsprechend auch die amerikanischen Medien. So schreibt beispielsweise die Washington Post, wonach "der Einfluss auf amerikanische Internet-Nutzer nicht sofort klar" sei. Gleichzeitig verweist die Zeitung darauf, wonach nicht nur Google von der neuen EU-Rechtsprechung betroffen sein könnte, sondern auch andere amerikanische Internet-Giganten wie Facebook, Twitter, Microsoft oder Yahoo. Denn auch diese Dienste verweisen oder verlinken teils auf Inhalte, welche gerichtlich untersagt worden sind.

"Als besonders schweren Fall erweist sich bislang auch Twitter", sagt eine Rechtsanwältin gegenüber netz-trends.de. So sei es im Falle von Twitter besonders schwer, Links auf Inhalte zu unterbinden, die eigentlich bereits gerichtlich untersagt seien, sagt die Rechtsanwältin.

Derweil sagte Tim Wu, Juraprofessor an der amerikanischen Columbia University, wonach sich die Amerikaner damit abfinden müssten, dass sie zwar das Internet erfunden hätten, aber deshalb sicherlich kein Veto gegen Gesetze in anderen Ländern hätten.

Eine Tageszeitung darf online berichten, aber Google darf nicht bis in alle Ewigkeit auf Seite Eins eine Art anklagende BILD-ZEITUNG werden mit dem immer gleichen Vorwurf

Angefangen hatte das umfangreiche Verfahren des Europäischen Gerichtshofes mit einem Fall eines Spaniers, der sich bei Google darüber beschwert hatte, dass Geschichten zu einem Immobilienfall aus dem Jahr vor 1998 in Google noch so deutlich auffindbar gewesen seien, dass es sein gegenwärtiges Leben erheblich nachhaltig und negativ und unverhältnismäßig beeinflusse. Das Verfahren, welches er gegen Google in den Folgejahren anstrengte, gilt als markantester Punkt im Hinblick auf das im Laufe der vergangenen Jahre immer stärker beschworene " right to be forgotten".

Konkret sagte jetzt der Europäische Gerichtshof, wonach eine spanische Tageszeitung das Recht habe, über einen alten Fall zu berichten, dass aber Google nicht das Recht habe, jahrelang oder gar jahrzehntelang auf Links zu solchem Content zu verweisen.

Was das konkret jetzt und künftig für Google bedeutet, darüber dürften sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten hunderte europäische Richter von Fall zu Fall Gedanken machen und für Google dürfte das vor allem eines bedeuten: Die Rechtsabteilung wird sich mit Tausenden weiteren Verfahren herumschlagen müssen, in welchen sie juristisch darlegen muss, warum sie glaube, dass Google auf eine bestimmte Sache unbedingt verweisen müsse.... Allerdings ist Google mit 60 Milliarden US-Dollar reich genug, um sich solche langwierigen Gerichtsprozesse leisten zu können.

Eines ist aber auch klar: Der Europäische Gerichtshof meint sicherlich nicht, dass jegliche kritische Berichte über Bürger, Unternehmen oder Personen des Öffentlichen Interesses oder sonstigen Institutionen zu unterbleiben haben und dass Suchmaschinen wie Google oder Bing grundsätzlich nicht mehr darauf verweisen dürften. Eine solche drastische Auslegung würde an Zensur grenzen, die wiederum mit einem demokratischen Verständnis unvereinbar wären. Deshalb wird es wohl in den nächsten Jahren immer wieder auf den konkreten Fall und eine Güterabwägung ankommen.

Während die einen das neue Urteil gegen Google feiern, befürchten vor allem britische und US-amerikanische Medien, die Pressefreiheit könne darunter leiden. So titelt die britische Tageszeitung "The Times" beispielsweise am 14. Mai: "Freedom of speech ‘at risk’ as right to be forgotten is enshrined in law". Übersetzt bedeutet dies: "Die Pressefreiheit ist gefährdet, wenn das Recht vergessen zu werden im Gesetz verankert wird".

Konkret sagte jedenfalls der EuGH wonach eine Tageszeitung, im konkreten Fall handelte es sich um die spanische Zeitung La Vanguardia, das Recht habe, aus journalistischem Selbstverständnis heraus, über Dinge zu berichten, dass aber das für Google nicht zwangsläufig bedeuten dürfte jahrelang oder jahrzehntelang auf solchen Content prominent zu verweisen. Dies würde, so die hohen Richter, das Recht auf Privatheit erheblich missachten.

Google soll die Pranger-Wirkung auf Ewigkeit mit dem Urteil entzogen werden

Damit macht sich der Europäische Gerichtshof ein wenig die deutsche Rechtsprechung zu Eigen, wonach nicht alles Private Öffentlich werden darf. Beispiel: Eine Hausarbeit an einer Universität gilt als privat und darf von der Universität nicht einfach in der Bücherei für alle Ewigkeit ausgestellt werden. Sie darf aber sehr wohl in einem Seminarraum des Hochschullehrers aufbewahrt werden.

Weiteres Beispiel: Wenn ein Unternehmen von einer staatsanwaltlichen Razzia betroffen ist und der Geschäftsführer beispielsweise vorübergehend in U-Haft genommen wird, dann werden Berichte auf Onlinemedien in aller Regel in Google sehr weit vorne gerankt - so weit vorne, dass es dem Unternehmen schaden kann, wenn das nicht im Laufe der Zeit auch wieder in Google nach hinten wandert oder ganz verschwindet. Denn auch hier gilt:

Eine Razzia darf nicht dazu führen, dass über Jahre hinweg ein Unternehmen in Google permanent mit einer Art BILD-Zeitungs-Schlagzeile konfrontiert wird, indem gleich auf Seite Eins in Google zum Beispiel steht: "Geschäftsführer des Unternehmens XY in U-Haft". Hier wird Google möglicherweise auch freiwillig nun nachjustieren, dass negative Berichte, die sich möglicherweise irgendwann auch überholen, nicht bis in alle Ewigkeit das Image über eine Person oder ein Unternehmen prägen und zwar in solchem Ausmaß prägen, dass es eine Prangerwirkung in alle Ewigkeit hat und keine Chance mehr besteht, sich von einem begangenen Fehler auch einmal wieder publizistisch in Google zu erholen.

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