60 Euro! Simplytel von 1&1 Drillisch und United Internet: Abzocke bei Roaminggebühren im Ausland

Würde man den Schlagzeilen von Simplytel auf diversen einschlägigen Portalen glauben, könnte man fast meinen, die United Internet-Tochter glänze heller, als die meisten anderen Sterne am Preisschlager-Firmament. Das ist die eine Seite. Die andere ist: Simplytel glänzt ebenso durch massiv schlechte Kundenbewertungen und Abzockvorwürfe beim Roaming.

Auf Trustpilot vergeben rund 80 Prozent von 154 Kundenmeinungen die schlechtesten Noten 5 bis 6 (mangelhaft, ungenügend) für Simplytel von 1&1 Drillisch . Das kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf anderen Portalen wie trustedshops.de mit Tausenden positiven Bewertungen geworben wird. Zumal Unternehmen für den Siegel-Vergeber Trusted Shops bezahlen. Ein Netz-trends-Blick auf den Billiganbieter Simplytel.

Simplytel ist eine Marke der Drillisch Online GmbH aus Maintal, ein Unternehmen, das wiederum zu United Internet gehört. Geschäftsführer von Drillisch Online sind laut Homepage gleich sechs Personen: Cretièn Brandsma, Robin Harries, Thomas Henkel, Markus Huhn, Alessandro Nava und Martin Witt.

Eine kurze Presseschau zeigt, dass Simplytel vor allem mit günstigen Handytarifen auffällt: „Simplytel und ‚handyvertrag‘ starten neue Allnet-Flat-Tarife“ jubelt am 25. August mobiFlip.de. „Für kurze Zeit : Simplytel Allnet-Flat mit 12 GB LTE zum Aktionspreis“, lautet die werbliche Schlagzeile von „onlinekosten.de“ am 4. August. Und Springers Business Insider jubelt „Bei diesem Handytarif bekommt ihr gerade 10 Gigabyte Datenvolumen für 13 Euro im Monat“ (2. August).

Kundenfang mit Billigtarifen

Mag ja alles stimmen: Simplytel ist ein günstiger Anbieter, der sogar auf die üblichen „Einrichtungsgebühren“ oder „Bereitstellungsgebühren“ für Neukunden beispielsweise im Rahmen eines Tarifes, der monatlich nur 12,99 Euro bei 10 GB Datenmenge kostet, verzichtet.

Dennoch verwundert, dass 79 Prozent von 154 Verbraucherbewertungen, welche auf einem der weltgrößten Bewertungsportale abgegeben wurden (Stand: 29. August 2020), auf dem dennoch nicht unumstrittenen „Trustpilot“-Portal, Simplytel in der überwältigenden Mehrzahl ungenügend oder mangelhaft vergeben. Viel schlechter geht es nicht mehr.

Eine Carmen beschwert sich beispielsweise Ende August 2020: „Habe dauerhaft Gesprächsstörungen und Abbrüche, laut dem Servicetechniker ist mein Handy dran schuld, aber bei dem anderen Handy dasselbe jetzt soll ich für 25 Euro eine neue Sim-Karte bekommen, so machen die ihr Geld! Nie wieder ein Tarif bei Drillisch!“.

Trustpilot-Bewertung: "Sehr undurchsichtige Rechnungstellung"

Und ein AK, der nur einen Stern vergibt, schreibt: „Schlechter Kundenservice. Intransparente Kostenabrechnung. Schlechte Netzabdeckung: Ohne Ankündigung wurde das gratis Roaming in der Schweiz aufgehoben, was in einer 100€ Rechnung endete. Schlechter und sehr unfreundlicher Kundenservice. Sehr undurchsichtige Rechnungstellung. Bei einer Mahnung werden unnötig viele Gebühren aufgeschlagen. Kündigung wurde kurz vor der Kündigungsfrist wieder aufgehoben, sodass noch 3 Weitere Monate bezahlt werden mussten. Allem in allem die Gründe warum ich damals zu Simply gegangen bin, der günstige Preis und die Schweiz Flat mit gutem Internet, existieren nicht mehr. Sehr schade und der unfreundliche Umgang mit dem Kunden hat ihnen den Gnadenstoß gegeben. Nicht zu empfehlen.“

Ein Stefan führte am 30. Juli aus. „Versteckte Gebühren ohne Ende!! SUCHT EUCH EINEN ANDEREN ANBIETER!!! Richtig dreiste Abzocke!!!“. Ein „Oldie“ wiederum beschwerte sich am 15. August:

„Und ewig grüßt das Murmeltier. Zur Probe eingerichteten Vertrag (simplyclever.postpaid) gekündigt, da ich wegen der unzähligen negativen Bewertungen im Netz das Gerät vorsichtshalber nicht genutzt hatte bzw. nicht auf einen eigentlich geplanten Flattarif umgestellt hatte. So fielen für mich während der Monate keine Kosten an. Davon kann natürlich kein Unternehmen leben. Schließlich wurde die Kündigung auch bestätigt, aber als kleine ‚Belohnung‘ wurden mir mit der Endrechnung für den Monat Juli noch GPSR-Verbindungen (GPS-Satellitenverbindungen) für einen Zeitraum, an dem ich das Telefon wie immer garantiert nicht genutzt hatte, und im übrigen auch keine Veranlassung hatte, mich damit ins Internet einzuwählen, in Höhe von 35 Euro angekündigt. Kein Auslandsaufenthalt, keine Grenznähe oder ähnliches. Roaming und Datenverkehr, G4 usw. deaktiviert. Das Gerät lag immer zu Hause im Schrank…. Bleibt nur, Simplytel/ Drillisch künftig zu meiden.“

Wie Tom zu einer 60-Euro Rechnung kam, ohne groß im Ausland im Internet gewesen zu waren

Einen ähnlichen Fall erfuhr Netz-trends.de von Tom aus München: Er war bei einem Freund in der Schweiz für ein verlängertes Wochenende zu Besuch. Von Freitag bis Montag früh im August 2020. Er hatte extra auf seinem Smartphone den bei Auslandsreisen gefährlichen Punkt „Mobile Daten an“ deaktiviert. Mit der Funktion mobile Daten lässt man auf dem Handy zu, dass im Internet gesurft werden oder eine Google Maps, beziehungsweise andere Navigationsdienste genutzt werden können. Auch Tom sagt, seine App-Aktualisierungen seien so eingestellt, dass sie nur im Wifi-Modus sich aktualisieren.

Am Samstagabend fiel Tom mit dem Freund in Zürich ein, man könne sich aus Fun einen der Hunderten dort herumstehenden Elektroroller ausleihen. Er schaltete also „Mobile Daten“ auf seinem Samsung Smartphone ein. In letzter Sekunde fiel ihm ein, dass er von Simplytel vor zwei Jahren schon einmal bei einem kurzen Städtetrip in die Schweiz eine Sonderrechnung über rund 60 Euro erhalten hatte. Das war damals schon ein Schock, da er kaum im Internet unterwegs war.

Er war extra vorsichtig gewesen

Zudem konnte er sich in der Wohnung des Schweizer Freundes sowieso in das Wifi kostenlos einwählen. Das heißt: Faktisch habe er auch dieses Mal keine Webseite aufgerufen, sagt er, und mietete folglich auch nicht über ein Datenvolumen von Simplytel den Elektroroller. Dennoch bekam er dann nach seiner Rückkehr aus der Schweiz in seiner Heimatstadt München schon wieder einen Kosten-Schock: Der Tarifanbieter Simplytel wollte schon wieder saftige 59,50 Euro an Roaminggebühren kassieren. Und das, wo er extra besonders vorsichtig gewesen sei, wie schon beim letzten Besuch in der Schweiz auch, einem Nicht-EU-Land, mit dem aber in vielen Wirtschaftsbereichen zahlreiche bilateriale EU-Wirtschaftsabkommen bestehen.

Netz-trends.de wollten deshalb von der Simplytel-Pressestelle wissen, warum diese Kostenhämmer, die nach Abzocke riechen? Die Antworten von Pressesprecherin Karin Kaufmann sind allerdings unbefriedigend. Wir wollten nämlich genau wissen, welche Webseiten angeblich solch gigantische Datenmengen gefressen hätten, dass es eine solch hohe Rechnung rechtfertigen könnte. Immerhin wirbt Simplytel auch damit, man biete 10 GB (die eh kaum jemand im Monat nutzt) beispielsweise für nur rund 13 Euro im Monat. Die Pressestelle schrieb uns jedenfalls:

„Die Internetseiten, die Herr S. während seines Aufenthaltes in der Schweiz besuchte, werden von unseren Systemen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gespeichert. Gleiches gilt für genutzte Dienste und Services. Es werden ausschließlich Daten gespeichert, die für die Abrechnung notwendig sind, also das Datum, die Uhrzeit, das Volumen bzw. die Dauer der Datenverbindung und der Zugangspunkt (APN). Die einzelnen Datenverbindungen werden mit der SIM-Karten- und der IMEI-Nummer des Mobilfunkgerätes erfasst und dann nach gültigem Tarif abgerechnet.“

Herr S. hatte gar keine Webseiten groß aufgerufen, bekam trotzdem 60 Euro auf die Rechnung

Nur: Herr S., ein Akademiker, habe gar keine Webseiten bewusst aufgerufen, berichtet er Netz-trends. Wir hakten bei Simplytel erneut nach und wollten erneut wissen, was konkret Basis für diese massiven Kostenexplosion sei? Das einzige was er aktiv genutzt habe, sagt er, sei am Tag seiner Abreise für wenige Minuten Google Maps gewesen. "Ich hatte aber extra vorher noch die Offlinekarten heruntergeladen und genutzt", sagt er.

Ausreden, es liefen im Hintergrund angeblich mögliche Updates über den Google Playstore, Samsungs Galaxy Store oder Apples App Store, ließen wir nicht gelten. Das sind meist Updates mit wenigen Megabyte. Außerdem aktualisieren diese sich in der Regel nicht automatisch. Vielmehr müssen sie in der Regel aktiv ausgelöst werden.

Aktuell finden wir beispielsweise auf unserem Smartphone Samsung Galaxy S10 ein Update für WhatsApp (7,5 MB), eines für YouTube (26 MB) oder eines für die beliebte Öffi-Fahauskunft (849 KB), ebenso für „Eigene Dateien“ mit einem Datenvolumen von 4,4 MB.

Die Pressestelle von Simplytel gab jedenfalls zur Preis-Explosion keine transparente Stellungnahme ab und schwadronierte nur davon, wonach der Kunde „die Dokumentation der Daten nach der Anmeldung in seiner persönlichen Servicewelt unter dem Menüpunkt ‚Vertrag/Rechnungsübersicht‘“ finden könne. Dort könne er „jeden gebuchten Einzelverbindungsnachweis für die Dauer von 80 Tagen nach Rechnungserstellung aufrufen und einsehen“.

Kommentar Netz-trends

Unser Leser wird diese Abfrage nach Rechnungserhalt natürlich vornehmen und uns berichten. Zudem werden wir mit dem Fall zu einer Verbraucherzentrale gehen und uns dort aufklären lassen, ob das, was Simplytel bei Auslandsreisen an scheinbar sehr hohen Roaming-Gebühren erhebt, mit dieser Intransparenz überhaupt vereinbar ist.

Denn es wäre schon im Sinne des Verbraucherrechts, dass die Telekommunikationsanbieter klar belegen müssen, welche Webseiten im Ausland angeblich solch hohe Datenmengen produziert habe und wie viel je Webseite dort dann berechnet wurde.

Im Kaufhaus kann der Verkäufer uns schließlich auch nicht nur eine Pauschalrechnung hinknallen, ohne dass klar wird, für welches konkrete Produkt was berechnet wird. Schließlich sind 60 Euro kein Pappenstiel. Damit kann ein Single-Haushalt in der Regel seinen Wocheneinkauf für Lebensmittel bei ALDI oder LIDL bezahlen.

Nicht wirklich zufrieden sind wir ebenso mit der weiteren Ausführung des Telefonanbieters von United Internet, in der erklärt wird, dass die 59,50 Euro, welche man unserem Leser Tom in Rechnung stellen wollte, noch die unterste Kostenkante sei. Denn das sei der Kostenstopp, der ab einem bestimmten Auslands-Datenvolumen automatisch greife (außer bei Verbindungen in Flugzeugen und auf See).

Abzocke, so die Pressestelle von Simplytel, sehe man bei den hohen intransparenten Roaminggebühren in die Schweiz nicht. Schließlich sei „der Service von 1&1 Drillisch bereits mehrfach von unabhängigen Testern ausgezeichnet“ worden.

Hintergrund

Wikipedia führt zum Unternehmen das Folgende aus: „1&1 Drillisch Aktiengesellschaft. Gründung 1997. Leitung Ralph Dommermuth (Vorstandssprecher), Markus Huhn, Alessandro Nava, Michael Scheeren (Aufsichtsratsvorsitzender). Die Mitarbeiterzahl bewege sich bei 3.250. Der Umsatz habe 2019 bei 3,76 Milliarden Euro gelegen:

„Die 1&1 Drillisch Aktiengesellschaft ist ein deutscher Telekommunikationsanbieter mit Sitz in Maintal. Das Unternehmen gehört seit 2017 mehrheitlich zu United Internet und bietet Mobilfunk- sowie Festnetzdienstleistungen an…. Zum 31. Dezember 2019 hatte 1&1 Drillisch rund 14,3 Mio. Kundenverträge. Davon entfielen rund 10 Mio. auf Mobilfunk sowie 4,3 Mio. auf Festnetz… Bei Mobilfunk greift das Unternehmen auf die Netzinfrastruktur von Telefónica Deutschland (alle Marken) sowie Vodafone (Marke 1&1) zurück. Durch eine Auflage der Kartellbehörden hinsichtlich der Fusion zwischen E-Plus und Telefónica konnte Drillisch sich hierbei bis zu 30 Prozent der Netzkapazitäten von Telefónica sichern.“

Bei unserer Presseanfrage wurde die Pressestelle von TELEFONICA cc gesetzt. Immerhin: Unserem Leser erließ Drillisch die rund 60 Euro Sondergebühren für seinen Aufenthalt in der Schweiz aus Kulanzgründen.

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