Unister greift Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen massiv an / zweite Anklage erwartet

Mehr als drei Jahre nach dem spektakulären Auftakt der Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen Mitarbeiter und Gesellschafter der Unister Group (1300 Mitarbeiter) gehe das zähe Verfahren nun vermutlich in eine entscheidende Phase. Dies teilte die Unister Holding in einer Stellungnahme am Donnerstagnachmittag mit.

Quelle: FVW Reisefachzeitschrift
Bereits 2012 gehörte Unister zu den größten Online-Reisebüros Deutschlands (Grafik).

Unister gehe davon aus, heißt es, wonach "sehr zeitnah" - möglicherweise noch vor Beginn der weltgrößten Reisemesse ITB in Berlin am 9. März - mit der bereits 2013 angedrohten zweiten Anklage gegen Unister zu rechnen sei. Dies belegten Informationen aus Justizkreisen, teilte das Internetunternehmen, welches zu den größten in Deutschland gehört, mit. Die Ermittlungen gegen Unister laufen über die in Dresden ansässige Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen und wurden dort von Oberstaatsanwalt und Gruppenleiter Andreas Günthel maßgeblich verfolgt und zwar in Zusammenarbeit mit einem Staatsanwalt Dr. Dirk Reuter, 42, der schon den Wasserwerk-Skandal in Leipzig vor Gericht staatsanwaltlich vertreten hatte und in der Justizszene als knallhart bis verbissen gilt. Günthel wiederum war unter anderem nach Angaben der Sächsischen Zeitung einer der zentralen Staatsanwälte in einem Mammutprozess gegen einen Prostituierten-Ring mit 250 Betroffenen.

In der Pressemeldung von Unister wird Thomas Wagner, 37, der 2002 als BWL-Student in Leipzig mit Freunden Unister gründete und mit bescheidensten Mitteln als Garagen-Start-Up groß machte, mit den Worten zitiert:

"Wir freuen uns, endlich die Ergebnisse der umfangreichen Ermittlungen der Sonderkommission INES gegen unser Unternehmen bewerten und kommentieren zu können". Des Weiteren wird der Leiter Kommunikation von Unister, Dirk Rogl, der vorher als Redakteur und dann Stellvertretender Chefredakteur der führenden deutschen Reisefachzeitschrift FVW arbeitete, welche zum Frankfurter Deutschen Fachverlag (DFV; seit 2014 "dfv Mediengruppe") gehört, in welcher auch die Marketingfachzeitschrift HORIZONT erscheint, in der Pressemeldung mit den Worten zitiert:

"Unister hatte mit Respekt vor der Justiz mehr als drei Jahre lang weitgehend darauf verzichtet, die in die Öffentlichkeit gelangten Anschuldigungen der Staatsanwälte gegen unsere Unternehmensgruppe zu kommentieren. Dies wird sich künftig ändern."

Wegen Ines musste Unister fast 1000 Mitarbeiter in Sachsen entlassen

Unister hatte mit Beginn Razziawellen durch die Ines im Dezember 2012 - insgesamt sollen es drei bis vier Razzien gewesen sein - rund 2.200 Mitarbeiter. Jedoch musste Unister In den vergangenen drei Jahren der Ines-Ermittlungen hinnehmen, dass das Unternehmen auf Grund der Ermittlungen faktisch von den Finanzmärkten abgeschnitten war. Infolgedessen musste Unister fast 1000 Mitarbeiter entlassen. Heute sollen noch rund 1300 Mitarbeiter für Unister in Sachsen - vor allem in Leipzig, aber auch in Dresden oder Chemnitz - arbeiten.

Wir zitieren auf Grund der Komplexität des Vorgangs die Unister Stellungnahme ungekürzt und folgt:

„UNISTER-Gründer Thomas Wagner hatte erst jüngst unter Bezug auf Spekulationen über die bereits Anfang 2014 eingereichte erste Anklage deutlich gemacht, dass für ihn ein Freispruch in allen Punkten zentrales Ziel ist. Entgegen anders lautender Spekulationen des Manager Magazins und des MDR hat das Landgericht Leipzig noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens in der sogenannten ersten Anklagewelle entschieden.

Sächsisches Finanzgericht äußert ‚ernsthafte Zweifel‘

So hatte erst im Februar 2016 das Sächsische Finanzgericht den Vollzug mehrerer Umsatzsteuerbescheide aufgehoben, die Annahmen der Generalstaatsanwaltschaft zur Besteuerung von Serviceleistungen wiedergaben. UNISTER ist dem Fiskus bis auf Weiteres keine zusätzliche Umsatzsteuer schuldig, weil ‚ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte bestehen‘, wie die Richter urteilten (AZ 6 FV 1742/15).

UNISTER wiederum macht ernsthafte Zweifel am Vorgehen der Ermittlungseinheit ‚INES‘ deutlich. Die Staatsanwälte hätten bis heute wichtige Elemente der komplexen Geschäftstätigkeit der UNISTER Group weder erkannt, noch korrekt eingeordnet. UNISTER wird spätestens vor Gericht seinen Standpunkt in zentralen Punkten deutlich machen können, so dies nötig ist.

Für die nun erwartete zweite Anklage gegen eine noch nicht bekannte Anzahl von Vertretern des Unternehmens wird UNISTER ebenfalls klar Position beziehen. Aktuell geht UNISTER davon aus, dass der Vorwurf des sogenannten 'Runterbuchens' ein zentraler Bestandteil der Anklage ist. Gemeint ist hiermit die branchenübliche Methodik der Ticketoptimierung. Der Staatsanwaltschaft ist möglicherweise bis heute nicht bekannt, dass es für die Optimierung der Einkaufskonditionen innerhalb der von den Airlines vorgegebenen Ausstellungsfristen sogar standardisierte Technologien von IT-Anbietern gibt. Die absolute Gängigkeit dieses Prozesses will UNISTER vor Gericht belegen.

Keinem Kunden ist ein Schaden entstanden

‚Noch kennen wir die Vorwürfe der Staatsanwälte nicht im Detail. Allerdings können wir schon jetzt sagen, dass jeder Kunde sein Ticket exakt zu dem Preis bekommen hat, zu dem er es gebucht hat‘, erklärt UNISTER-Sprecher Rogl. Aus Sicht des Unternehmens sind weder ein finanzieller Schaden geschweige denn ein Betrugsvorsatz ersichtlich.

Nach Prüfung der Anklage, die UNISTER bislang nicht vorliegt, wird das Unternehmen – falls nötig – ausführlich Stellung zu etwaigen Vorwürfen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden nehmen. Zudem macht das Unternehmen seine Bedenken gegen das massive öffentliche Vorgehen der Ermittler gerade in früheren Jahren deutlich. Dazu zählen unter anderem die Durchsuchungen von UNISTER-Büros vor laufenden Kameras und publik gemachte Vorwürfe des sogenannten ‚Computer-Betrugs‘, der der gerichtlichen Prüfung nach Einschätzung UNISTERs nicht standhalten wird.

Nach vorläufigen Berechnungen ist UNISTER durch die Arbeit der Sonderkommission ein Schaden in Höhe von mindestens 43,5 Mio. Euro entstanden. Bislang nicht messbar ist der dabei erlittene Reputationsverlust, den UNISTER nun beginnend umfassend heilen kann. UNISTER sieht der zweiten Anklage deshalb mit großem Interesse entgegen. Im Vergleich dazu ist, selbst unter den Annahmen der Justiz, der angeblich entstandene öffentliche Schaden eher gering. Denn selbst wenn frühere Service-Dienstleistungen der UNISTER Group als Versicherung hätten versteuert werden müssen, würde die Steuerschuld allenfalls im sechsstelligen Bereich liegen.“

Zum Ermittlungsverfahren stellt Unister zudem das folgende Summary der Öffentlichkeit zur Verfügung:

„Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen UNISTER / Der Stand der Dinge

Seit Dezember 2012 ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen rund 80 Personen aus dem Umfeld der UNISTER Group.

UNISTER setzt als Verfahrensbeteiligte auf vollständige und vorverurteilungsfreie Aufklärung. Insbesondere stellt UNISTER dem Gericht und der Generalstaatsanwaltschaft alle erforderlichen Informationen, eigene Stellungnahmen sowie Gutachten unabhängiger Experten zur Verfügung. Die vom Unternehmen angestrengten Ermittlungen widerlegen die Auffassung der Staatsanwaltschaft in vielfältiger Art und Weise. Aus diesem Grund ist es dem Unternehmen ein Anliegen, dass die Unschuldsvermutung zu Gunsten unserer Mitarbeiter und Geschäftsführer Beachtung findet.

Die Ermittlungen sind in bislang zwei Wellen aufgeteilt.

Die erste Welle: Im Januar 2014 wurde Anklage gegen fünf Personen aus dem Umfeld der UNISTER Group eingereicht. Über die Zulassung entscheidet das Landgericht Leipzig. Die Prüfung ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Die Anklage umfasst folgende Punkte.

1. Der Vorwurf des angeblich ungenehmigten Betreibens von "Versicherungsgeschäften"

UNISTER hat seinen Kunden bei der Flugbuchung die Möglichkeit gegeben, beim Kauf eines Tickets gegen ein zusätzliches Entgelt Flüge kostengünstiger umbuchen (‘Flexifly’) zu können. Der Kunde konnte frei entscheiden, ob er mit ‘Flexifly’ eine Option auf ein kostengünstigeres Umbuchen erwirbt. Es handelte sich hierbei um ein Service-Produkt, das direkt an die Flugvermittlungsleistung gekoppelt ist. Vergleichbares gilt für das Produkt ‘Stornoschutz’ im Hotel-Bereich, das in dieser Form bereits 2002 von der heutigen UNISTER-Tochter Kurz-Mal-Weg.de etabliert wurde - mit Zustimmung des Bundesaufsichtsamts für Versicherungswesen, dem Vorgänger der heutigen BaFin.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hält ‘Flexifly’ für ein Versicherungsgeschäft.

Versicherungsgeschäfte dürfen nur mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde (BaFin) betrieben werden. Wer ohne Genehmigung ein Versicherungsgeschäft betreibt, macht sich strafbar.

Die Bundesfinanzaufsicht hat den Vertrieb von ‘Flexifly’ bis heute nicht untersagt, obwohl UNISTER im Dialog mit dieser Behörde stand.

Im Gegenteil: Noch immer sind ähnliche Produkte am Markt. Die BaFin äußerte inzwischen erhebliche Zweifel, dass es sich bei dem Nachfolger von ‘Flexifly’, welchen wir aufgrund der Beanstandungen der Generalstaatsanwaltschaft nunmehr in Kooperation mit unserem Versicherungspartner BD24 als Versicherung vertreiben, um ein Versicherungsprodukt handelt. Wir nehmen daher an, dass die BaFin eine andere Auffassung als die Generalstaatsanwaltschaft vertritt. Für ein Versicherungsgeschäft ist Voraussetzung, dass der Eintritt des Versicherungsfalls von äußeren Faktoren abhängt, also aus Sicht des Kunden unfreiwillig erfolgt (bspw. Krankheit). Dementsprechend entbindet §81 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) den Versicherer von der Leistung, wenn der Versicherte den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführt. Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls ist nicht versicherbar. Genau eine solche vorsätzliche Herbeiführung des vermeintlichen Versicherungsfalls ist aber zentraler Gegenstand von ‘Flexifly’.

Bereits aus diesem Grund vertritt UNISTER eine andere Rechtsauffassung als die Staatsanwaltschaft. Zudem unterliegen Versicherungsprodukte anderen finanzkalkulatorischen Berechnungsgrundlagen als derartige Serviceprodukte. Üblicherweise werden solche Fachfragen bei verbleibenden Zweifeln durch das zuständige Bundesverwaltungsgericht geklärt. Dies ist im konkreten Fall auch zwingend erforderlich, da es zu vergleichbaren Produkten bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung gibt. Eine derartige Entscheidung hat die Generalstaatsanwaltschaft jedoch im Sommer 2012 gezielt verhindert.

2. Steuerhinterziehungs-Vorwurf

Auch Service-Produkte wie ‘Flexifly’ unterliegen selbstverständlich der Steuerpflicht. UNISTER hat die Einnahmen, die mit ‘Flexifly’ erzielt wurden, der Umsatzsteuer unterworfen. Dabei ist UNISTER entsprechend der Besteuerung der Flugentgelte streckenabhängig vorgegangen, denn es ist im komplizierten deutschen Steuerrecht ein Unterschied, ob ein Flug innerdeutsch oder innereuropäisch oder zwischen Deutschland und einem Land außerhalb Europas stattfindet.

Die Staatsanwaltschaft wirft UNISTER erstens vor, keine Versicherungssteuer abgeführt zu haben. Hilfsweise reklamiert sie zweitens, dass die Umsatzsteuer flugstreckenabhängig abgeführt wurde.

Das Sächsische Finanzgericht hat erst im Februar 2016 den Vollzug entsprechender Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2010 und 2014 gegen UNISTER ausgesetzt. Es bestünden ‘ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte’, heißt es in dem Beschluss (AZ: 6 V 1742/15). Strittig war die Besteuerung von Flexifly entsprechender Serviceleistungen.

Sowohl für die Versicherungs- als auch für die Umsatzsteuer gilt ein Steuersatz von 19 Prozent. Da ‘Flexifly’ aus Sicht von UNISTER eben kein Versicherungsgeschäft ist, fällt auch keine Versicherungssteuer an. Die Umsatzsteuer wurde streckenabhängig abgeführt, da das Service-Produkt ‘Flexifly’ direkt an die Flugvermittlung gekoppelt und damit eine unselbstständige Nebenabrede ist. Meinungsverschiedenheiten hierüber wären von den Finanzgerichten zu klären gewesen.

3. Streichpreise-Vorwurf

Nahezu jedes Handels- und Dienstleistungsunternehmen wirbt mit Sonderangeboten und Aktionspreisen, so auch UNISTER. Dabei wurde dem Angebotspreis, zu dem ein Produkt oder eine Dienstleistung angeboten wurde, ein höherer Preis gegenübergestellt. UNISTER hat für die grafische und werbliche Darstellung durchgestrichene Preise verwendet (sog. ‘Streichpreise’).

Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass UNISTER mit dem Verwenden von Streichpreisen den Tatbestand der strafbaren Werbung nach §16 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) erfüllt hat.

UNISTER ist dieser Auffassung stets entgegengetreten. Insbesondere stellten die Streichpreise keine unwahren Angaben im Sinne des §16 UWG dar. Da zahlreiche andere Staatsanwaltschaften nachweislich vergleichbare Praktiken anderer Händler und Dienstleister jeweils als nicht strafbar bewerten und entsprechenden Strafanzeigen nicht weiter nachgehen, fühlt sich UNISTER in dieser Meinung bestätigt.

Die zweite Welle: Im Dezember 2013 gab die Generalstaatsanwaltschaft Dresden eine Ausweitung der Ermittlungen bekannt, die nun offenbar zur Anklage gebracht werden soll. Dementsprechend ist bislang nicht abschließend bekannt, welche Vorwürfe des umfangreichen Ermittlungsvorgangs tatsächlich zur Anklage gebracht werden sollen.

UNISTER geht aktuell davon aus, dass es sich primär um dieses Thema handelt.

Der sogenannte ‘Runterbuchen’-Vorwurf

Bestellt ein Kunde ein Flugticket, gibt er nach der Auswahl des genauen Fluges zunächst seine persönlichen Bestelldaten auf der Online-Seite ein und versendet die Buchungsanfrage. Durch externe Ticketgroßhändler und Reservierungssysteme wird der georderte Flug anschließend bei der Fluggesellschaft abgefragt und die Buchungsanfrage somit geprüft. Da Ticketpreise aufgrund vielfältigster Parameter ständig schwanken, ergibt sich bei dieser konkreten Abfrage der Flugverbindung möglicherweise ein niedrigerer Preis für das Ticket, als der Kunde es in seiner Buchungsanfrage geordert hat.

Reisemittler versuchen diese Preisschwankungen zwischen Buchungsanfrage und Ticketausstellung und die im Markt verfügbare Vielfalt von Tarifklassen und unterschiedlichen Buchungssystemen optimal zu nutzen. Ziel ist es, im Rahmen der von den Airlines vorgegebenen Ausstellungsfristen das von dem Kunden georderte Ticket für sich selbst zum bestmöglichen Preis zu erwerben. Diese Praxis ist in der gesamten Reisebranche seit Jahrzehnten üblich und wird bei UNISTER durch eigens entwickelte technische Systeme zur Ticketoptimierung gestützt.

Für UNISTER-Kunden gilt: Jeder Kunde erhält sein Flugticket zu exakt dem Preis, zu dem er es gebucht hat. Ob und in welchem Umfang weitere Themen durch die Staatsanwaltschaft verfolgt oder gar zur Anklage gebracht werden, ist noch nicht abschließend bekannt.’"

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