
Berlin, 12. Oktober 2025. Der Fall aus Friedrichshain-Kreuzberg hat bundesweit Wellen geschlagen: Eine Vermieterin muss 26.253,50 Euro Bußgeld zahlen und zusätzlich 22.264,08 Euro an überhöhte Miete zurückerstatten. Laut Bezirksverwaltung ist es der erste rechtskräftige Bußgeldbescheid wegen Mietwuchers in Berlin.
Was als Einzelfall begann, hat eine neue Welle der Unsicherheit ausgelöst. Private Eigentümerinnen und Eigentümer – auch solche mit nur wenigen Wohnungen – befürchten, bei jeder Neuvermietung in ein behördliches Prüfverfahren zu geraten.
Im März 2025 nahm die Berliner Mietpreis-Prüfstelle des Senats ihre Arbeit auf. Nach sechs Monaten meldete sie: 190 geprüfte Fälle, in 93 Prozent davon „auffällige Miethöhen“.
Rund 50 Wohnungen lagen über 20 Prozent über dem Mietspiegel, mehr als 100 sogar über 50 Prozent.
Doch die Zahlen sagen wenig über die tatsächliche Rechtslage. Denn das Gesetz unterscheidet klar zwischen Mietpreisüberhöhung (§ 5 Wirtschaftsstrafgesetz – WiStrG) und Mietwucher (§ 291 Strafgesetzbuch – StGB). Eine Ordnungswidrigkeit liegt nur vor, wenn die Miete mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt und der Vermieter eine Mangellage ausnutzt. Eine Straftat liegt erst vor, wenn die Miete mehr als 50 Prozent über dem Mietspiegel liegt und zusätzlich eine Ausbeutungssituation nachgewiesen wird.
Gleichzeitig erlaubt § 556f Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausdrücklich Ausnahmen: Wer eine Wohnung nachweislich „umfassend modernisiert“ hat, ist von der Mietpreisbremse nach § 556d BGB befreit. Diese Differenzierung aber geht im aktuellen Prüfsystem oft verloren.
Ein Eigentümer, der mehrere Wohnungen in Deutschland besitzt – darunter eine im Berliner Prenzlauer Berg –, beschreibt, wie mühsam rechtssicheres Vermieten inzwischen geworden ist. Seine 60 Quadratmeter große Altbauwohnung wurde zwischen 2016 und 2018 vollständig innerhalb des Sondereigentums modernisiert: ein vergrößertes Bad mit niedrig begehbarer Dusche, Fußbodenheizung, neue Elektroinstallation, Schallschutzwände, Echtholzparkett, Einbauküche mit Geräten von Bosch und Neff. Die Gesamtkosten beliefen sich auf rund 92.000 Euro – belegt, steuerlich dokumentiert, juristisch korrekt.
Die Warmmiete liegt bei 1.800 Euro. Sie setzt sich zusammen aus Kaltmiete 1.170 Euro, Möblierungszuschlag 280 Euro, Nebenkosten 260 Euro, Strom 50 Euro und Internet 40 Euro.
Steuerlich relevant sind nur Kaltmiete und Möblierungszuschlag – zusammen 1.450 Euro monatlich. Betriebskosten, Strom und Internet gelten als durchlaufende Posten.
Der Möblierungszuschlag folgt dem sogenannten Berliner Modell, wonach 2 Prozent des Zeitwerts der Möbel pro Monat zulässig sind. Bei einem Zeitwert von 16.600 Euro wären 332 Euro möglich, der Vermieter setzte jedoch bewusst nur 280 Euro an. Nach § 535 BGB umfasst die Miete sowohl die Raumüberlassung als auch die Gebrauchsüberlassung von Einrichtungsgegenständen. Der Zuschlag ist daher Bestandteil der Mieteinnahmen und steuerpflichtig. Allerdings können die Möbel über zehn Jahre abgeschrieben werden (§ 7 EStG), sodass der Zuschlag steuerlich weitgehend neutralisiert wird.
Parallel dazu verändern sich die Prüfmechanismen der Behörden. Der Rechnungshof Berlin empfahl 2024, Online-Portale wie Immobilienscout24, Immonet oder Airbnb automatisiert zu durchsuchen, um Verstöße gegen das Zweckentfremdungsverbot oder Mietpreisgrenzen effizienter zu erkennen. In der Praxis geschieht dies über sogenannte Scraping-Verfahren, die Inserate auslesen, Adressen abgleichen und auffällige Mietverhältnisse kennzeichnen.
Rechtsgrundlage ist die EU-Verordnung 2024/1028, die Plattformen verpflichtet, bestimmte Daten an Behörden weiterzugeben.
Offiziell heißt es, Mietpreisprüfungen erfolgten derzeit noch „manuell und anlassbezogen“. Doch Fachleute gehen davon aus, dass diese Systeme bald auch für Mietdaten genutzt werden. Schon heute landen auffällige Inserate in internen Prüfpools und können zu automatisierten Schreiben oder Nachfragen bei Vermietern führen.
Zusätzlich verschärfen vereinfachte Online-Rechner die Verunsicherung.
Ein prominentes Beispiel ist der „Mietwucher-Check“, den die Fraktion DIE LINKE im Bundestag bewirbt. Das Tool wirbt mit der Aufforderung „Zahlst du Wuchermiete? Mach den Check!“ und liefert nach Eingabe weniger Angaben – Adresse, Wohnungsgröße, Baujahr, Kaltmiete und Lagequalität – ein sofortiges Urteil: „Deine Miete ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit überhöht und verstößt gegen § 5 WiStrG.“
In einer am 12. Oktober 2025 durchgeführten Stichprobe von NETZ-TRENDS.de (belegt durch Screenshots) wurde eine modernisierte 60-Quadratmeter-Wohnung im Berliner Altbau getestet. Nach Eingabe einer Kaltmiete von 1.240 Euro und Baujahr „vor 1918“ ergab der Rechner eine angebliche Überhöhung von 61,7 Prozent.
Das Tool verglich die Miete mit einer pauschalen „ortsüblichen Vergleichsmiete“ von 12,78 Euro pro m², errechnete daraus 20,67 Euro pro m² und verwies auf eine „strafrechtliche Relevanz“.
Unsere Analyse zeigt: Der Online-Rechner fragt keine Modernisierung, keine Sanierungskosten, keinen Kaufzeitpunkt, keinen Ausstattungsstandard und keinen Möblierungszuschlag ab. Ebenso wird nicht erfasst, ob die Wohnung nach § 556f BGB von der Mietpreisbremse befreit ist – also etwa bei umfassender Modernisierung nach 2014. Zudem unterscheidet das Tool nicht zwischen Kalt- und Warmmieten, obwohl Nebenkosten, Strom- und Internetpauschalen rechtlich keine Bestandteile der Vergleichsmiete sind.
Damit arbeitet das Portal mit vereinfachten Annahmen, die bei modernisierten oder möblierten Wohnungen zu systematisch falschen Ergebnissen führen können. Es prüft lediglich prozentuale Abweichungen vom Mietspiegel, ohne die gesetzlich erforderlichen Tatbestandsmerkmale „Ausnutzung einer Mangellage“ (§ 5 WiStrG) oder „Ausbeutungssituation“ (§ 291 StGB)** zu berücksichtigen.
Das Ergebnis: Wohnungen, die nachweislich modernisiert wurden und unter die gesetzlich zulässigen Ausnahmen fallen, erscheinen dort fälschlich als „überhöht“. Wer den automatisch erzeugten Hinweis nutzt und seine Daten direkt an ein Wohnungsamt weiterleitet – wie das Portal empfiehlt – kann so unbeabsichtigt ein Prüfverfahren auf unzutreffender Grundlage auslösen.
Die Fraktion DIE LINKE bewirbt das Angebot als Beitrag zum Mieterschutz. Zur Finanzierung des Projekts macht die Website keine Angaben. Juristisch bleibt das Tool jedoch ein vereinfachter Orientierungstest ohne Beweiskraft, der politische Kommunikation mit algorithmischer Bewertung verknüpft.
Der Gesetzgeber differenziert scharf zwischen Mietpreisüberhöhung (§ 5 WiStrG) und Mietwucher (§ 291 StGB).
Eine Ordnungswidrigkeit liegt nur vor, wenn zwei Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
Die Miete liegt mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete und der Vermieter nutzt eine Mangellage am Wohnungsmarkt aus.
Erst wenn die Miete mehr als 50 Prozent über der Vergleichsmiete liegt und eine Ausbeutungssituation nachweisbar ist, spricht man von Mietwucher.
Beide Tatbestände entfallen, wenn die Wohnung nachgewiesen umfassend modernisiert wurde (§ 556f BGB).
Steuerlich zählen bei möblierten Vermietungen Kaltmiete und Möblierungszuschlag als Einnahmen (§ 21 EStG). Betriebskosten, Strom und Internet werden nicht versteuert, weil sie dem Vermieter wirtschaftlich nicht verbleiben. Die Möbel dürfen über zehn Jahre abgeschrieben werden (§ 7 EStG); bei Anschaffungskosten von circa 26.500 Euro, wie in unserer Beispielwohnung in Berlin Prenzlauer Berg, ergibt sich eine jährliche AfA von 2.650 Euro – rund 220 Euro pro Monat. Der Zuschlag wird also weitgehend durch die Abschreibung neutralisiert.
Berlin wollte Mieterschutz – und hat eine Atmosphäre der Überprüfung geschaffen. Behörden werten automatisiert Online-Anzeigen aus, politische Initiativen veröffentlichen Schnellrechner, die juristische Feinheiten ignorieren, und Vermieter sehen sich mit Paragrafen und Misstrauen konfrontiert.
Ein Vermieter, der seine Modernisierungskosten offenlegt, eine moderate Miete ansetzt und jede Position belegt, wird heute schneller geprüft als mancher, der gar nichts meldet.
Wer rechtssicher vermieten will, muss nicht nur wissen, was im Bürgerlichen Gesetzbuch steht, sondern auch, wie Algorithmen rechnen.
So ist aus dem Versuch, Transparenz zu schaffen, ein System geworden, das selbst gesetzestreue Eigentümer unter Verdacht stellt.
Und Berlin steht vor einer unbequemen Wahrheit:
Wer schützt eigentlich noch jene, die Wohnungen erhalten und vermieten – statt sie leer stehen zu lassen?
Ach ja, Leerstand ist ja inzwischen verboten im sozialistischen Deutschland.
Dabei wird gern vergessen, dass selbst bei Altbauwohnungen, die durch aufwendige Sanierungen technisch und energetisch fast Neubauniveau erreichen, die Investitionskosten so hoch sind, dass sie sich über reguläre Mieteinnahmen in der Regel nicht einmal annähernd refinanzieren lassen.
Das gilt auch für die Wohnung aus unserem Beispiel im Prenzlauer Berg – modernisiert, gesetzestreu, transparent kalkuliert – und dennoch ein Verlustgeschäft.
Gewinn machen in Berlin viele nur mit Schrottwohnungen, in die nie auch nur ein Cent in 50 Jahren investiert worden ist. Würde man die Invesitionskosten für die Kernsanierung auf die Kaufkosten addieren, wäre die Wohnung erst in über 30 Jahren refinanziert. Unterm Strich zahlt der Vermieter also effektiv noch drauf und das trotz einer Kaltmiete von rund 1240 Euro.