
Eine NETZ-TRENDS.de-Beitrag über das Verschwinden der Geschwindigkeit in Deutschland.
Samstag, 11. Oktober 2025, 14:10 Uhr: Am Leipziger Hauptbahnhof rollt der nächste ICE Richtung Berlin Südkreuz aus. Auf der Anzeige steht eine Reisezeit von rund 2 Stunden 38 Minuten. Auf dem Papier klingt das ordentlich – doch im Schnitt braucht die Bahn an diesem Tag mehr als drei Stunden.
An der Spitze der Deutschen Bahn steht seit Kurzem die Südtirolerin Evelyn Palla – eine Frau, die weiß, was echte Steigungen sind. Nur fährt ihr Konzern ausgerechnet dort bergab, wo es gar keine Berge gibt: auf der schnurgeraden Strecke zwischen Leipzig und Berlin. Flacher, übersichtlicher und leichter zu betreiben ist eine Bahntrasse kaum vorstellbar. Und doch schafft es die Deutsche Bahn AG hier im Jahr 2025 gerade einmal auf 58 Kilometer Durchschnittsgeschwindigkeit pro Stunde – also etwas schneller als ein schnelles E-Bike mit Rückenwind.
Das ist kein Ausrutscher, sondern längst der Normalzustand. Seit Monaten fährt die Bahn auf dieser Achse im Schneckentempo – und alles deutet darauf hin, dass sich daran so bald nichts ändert.
Die Verantwortlichen liefern eine Vorstellung, die man nur noch als organisiertes Chaos bezeichnen kann. Während Politiker weiter von Verkehrswende und Klimazielen schwärmen, erleben die Kunden im öffentlichen Verkehr längst die Realität: Fahrplan-Wahnsinn, Preisexplosionen und Dauerfrust auf Schienen.
Die Deutsche Bahn ist zum Sinnbild geworden für eine Republik, die sich selbst überfordert – zwischen Öko-Ideal und technischer Bankrotterklärung.
Während Züge in Japan und Frankreich durch Gebirgstunnel donnern, kämpft die DB auf brandenburgischer Ebene mit dem Gefälle zur eigenen maximalen Leistungsunfähigkeit. Die Ironie könnte kaum größer sein: Eine Managerin aus den Alpen führt ein Unternehmen, das selbst auf dem Flachland ins Straucheln kommt. Und so wirkt die Deutsche Bahn heute wie ein Bergsteiger, der auf der Rolltreppe stolpert – große Worte, alte Züge, immer billiger ausgestattete überfüllte enge Bordrestaurants, kein Höhengewinn, sondern von Jahr zu Jahr weiter bergab.
Wie auch mal wieder an diesem Samstag. Am 11. Oktober 2025: Was die Bahn an diesem kühlen Samstagabend auf der Strecke Berlin–Leipzig anbietet, ist einmal mehr kein Verkehrsmittel – es ist ein Horrortrip in Echtzeit. Wer um 20:55 Uhr in Berlin Südkreuz losfährt, glaubt, in zwei Stunden in Leipzig zu sein. Stattdessen wartet ein nächtlicher Albtraum: ausgefallene Züge, vier Umstiege, und irgendwo zwischen Halle und Bitterfeld das große Nichts.
Man steht frierend auf einem dunklen Bahnsteig, die Lautsprecher klingen wie Volksempfänger-Radios im Dritten Reich, nur mit weniger Sendefrequenz. Keine detaillierten zeitnahen Informationen, keine Entschuldigung. Der Anschlusszug ist weg, die S-Bahn kommt frühestens nach Mitternacht, und wer Glück hat, erreicht gegen eins oder halb zwei endlich den Leipziger Hauptbahnhof – nach über vier Stunden Abfahrt am südlichsten Zipfel von Berlin, völlig entnervt.
Das ist kein Geduldsspiel, das ist Zumutung, Chaos und Wut im Taktfahrplan. Selbst der ruhigste Bahnfahrer verliert da die Fassung. Es ist, als würde ein ganzer Konzern auf Autopilot laufen – nur ohne Richtung. Was früher eine schnelle Sprinterstrecke war, ist heute ein nächtlicher Spießrutenlauf durchs Bahnsystem eines Landes, das sich selbst ausbremst.
Vier Stunden, vier Umstiege, viermal Hoffnung verloren – das ist Deutschland 2025 auf Schienen.
Während Deutschland auf der nur 183 Kilometer langen Strecke zwischen Leipzig und Berlin im Durchschnitt 58 Kilometer pro Stunde erreicht, bewegen sich andere Industrienationen auf ihren Hauptachsen längst in einer anderen Geschwindigkeitsliga. Hochgeschwindigkeitszüge sind dort seit Jahrzehnten selbstverständlich – betrieben von Bahngesellschaften, die eigene, vom Güter- und Regionalverkehr getrennte Schnellfahrnetze betreiben.
In Frankreich, Spanien oder Japan sind exklusive Hochgeschwindigkeitskorridore Standard; in Deutschland dagegen teilen sich Fern-, Regional- und Güterzüge noch immer die gleichen Gleise. Das führt zu Trassenkonflikten, Anschlussverlusten und einer der niedrigsten realen Durchschnittsgeschwindigkeiten im internationalen Bahnverkehr.
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Mit seiner Bummelstrecke Berlin Leipzig liegt die Deutsche Bahn derzeit damit rund 72 Prozent unter dem internationalen Durchschnitt der Industrienationen in unserem Test gemäß unserer Stichprobe ähnlicher Strecken (Tabelle) – auf einer Strecke, die prädestiniert wäre, um zu zeigen, was moderne Ingenieurskunst und ÖPNV leisten kann.
Die Ursachen sind seit Jahren bekannt: Die Strecke Leipzig–Berlin ist keine Hochgeschwindigkeitsstrecke, sondern ein Mischkorridor, auf dem Fern-, Regional- und Güterzüge dieselben Gleise nutzen. Auf den meisten Abschnitten gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h, vereinzelt 200 km/h – doch selbst diese Werte werden selten erreicht. Der Verkehr wird gebremst durch Baustellen, veraltete Signaltechnik, eingleisige Passagen, Überholvorgänge und immer neue Störgründe: von Personalmangel über defekte Weichen und Stellwerke bis zu Brückensanierungen, Signalarbeiten und fehlenden Trassenreserven.
Während Länder wie Frankreich, Spanien oder Japan längst eigene Hochgeschwindigkeitsnetze ausschließlich für den Personenverkehr betreiben, hält Deutschland am alten Mischsystem fest – mit den bekannten Folgen: Überlastung, Verspätungen und einem strukturell eingebauten Langsamkeitsprinzip.
Als am 3. September 1840 die erste durchgehende Zugverbindung zwischen Leipzig und Berlin eröffnet wurde, galt das als technisches Wunder. Die private Berlin-Anhaltische Eisenbahngesellschaft verband erstmals die Messestadt mit der preußischen Hauptstadt. Die Fahrzeit lag bei viereinhalb Stunden – damals ein Quantensprung, der Handel und Wirtschaft beflügelte. Heute, fast zwei Jahrhunderte später, wirkt diese historische Premiere fast ironisch: Der Fortschritt hat auf derselben Strecke an Tempo verloren. Was 1840 Aufbruch war, ist 2025 Sinnbild des Stillstands.
Die Deutsche Bahn AG ist eine operative Management-Holding, die sowohl Infrastrukturunternehmen (DB InfraGO, DB Energie) als auch Verkehrsgesellschaften (DB Fernverkehr, DB Regio, DB Cargo) umfasst. 2024 beschäftigte der Konzern laut Bundesfinanzministerium rund 226 000 Mitarbeitende, davon 214 000 in Deutschland.
Für die Infrastrukturgesellschaften flossen 9,2 Milliarden Euro an Bundeszuschüssen und zusätzlich 3,1 Milliarden Euro Eigenkapital – dennoch bleibt das Tempo niedrig.
(Quelle: Bundesfinanzministerium, Beteiligungsbericht 2024)
Trotz Milliardeninvestitionen, moderner Züge und hoher Personaldichte hat die Deutsche Bahn den Anschluss verloren. Die Strecke Leipzig–Berlin steht exemplarisch für ein Land, das einst Tempo vorgab – und nun zusehen muss, wie andere vorbeiziehen. Auf einer Distanz, die wie gemacht wäre für Hochgeschwindigkeit, erreicht Deutschland heute Durchschnittswerte, die an die Reichsbahn-Ära erinnern.
I.: Hinfahrt Leipzig → Berlin (11.10.2025) – 26 Verbindungen, Durchschnitt 55,3 km/h. II.: Rückfahrt Berlin → Leipzig (11.–12.10.2025) – 30 Verbindungen, Durchschnitt 54,8 km/h. III.: Montagsstichprobe (13.10.2025, gezogen am 11.10.) – 18 Verbindungen, Durchschnitt 67,1 km/h. IV.: Gesamt: 74 Verbindungen, Durchschnitt 57,7 km/h.
Internationale Vergleichsdaten: Offizielle Fahrpläne der Betreiber SNCF, Renfe, JR Central, Trenitalia, China Railway High-speed, Amtrak. Finanz- und Unternehmensdaten: Bundesfinanzministerium, Beteiligungsbericht Deutsche Bahn AG 2024.
Ob Samstag, Sonntag oder Montagmorgen – wer 2025 zwischen Leipzig und Berlin mit der Deutschen Bahn reist, fährt im Schnitt 58 Kilometer pro Stunde. Das ist weniger als ein moderner Regionalbus und ein Drittel der Geschwindigkeit des französischen TGV. Ein Land, das sich selbst als Ingenieursnation bezeichnet, bremst sich damit buchstäblich immer mehr aus. Nicht nur in der Automobilindustrie, dem Maschinenbau, sondern auch im Verkehr. Dennoch hört Angela Merkel nicht auf uns allen einzureden: „Wir schaffen das“.
Datenbasis: Abfrage am Samstag, 11.10.2025 (DB Navigator, 14:10 Uhr)
Abfahrt | Ankunft | Fahrtdauer (min) | Fahrtdauer (h) | Umstiege | Preis (€) | Ø Geschwindigkeit (km/h) |
---|---|---|---|---|---|---|
11:35 | 14:53 | 198 | 3,30 | 2 | - | 57,58 |
11:49 | 15:22 | 213 | 3,55 | 3 | - | 53,52 |
11:49 | 15:38 | 229 | 3,82 | 2 | - | 49,78 |
11:57 | 15:22 | 205 | 3,42 | 4 | - | 55,61 |
12:07 | 15:38 | 211 | 3,52 | 3 | - | 54,03 |
12:11 | 14:53 | 160 | 2,67 | 2 | zug ausgebucht | 71,25 |
12:11 | 14:53 | 160 | 2,67 | 2 | zug ausgebucht | 71,25 |
12:36 | 16:01 | 205 | 3,42 | 1 | - | 55,61 |
12:53 | 16:01 | 199 | 3,32 | 1 | - | 57,29 |
13:02 | 16:01 | 179 | 2,98 | 2 | - | 63,69 |
14:11 | 16:50 | 159 | 2,65 | 2 | zug ausgebucht | 71,70 |
14:11 | 16:50 | 159 | 2,65 | 2 | - | 71,70 |
14:47 | 17:43 | 176 | 2,93 | 1 | 65,50 | 64,77 |
14:48 | 18:49 | 241 | 4,02 | 1 | 59,79 | 47,30 |
15:15 | 18:49 | 214 | 3,57 | 2 | 59,79 | 53,27 |
15:19 | 18:49 | 210 | 3,50 | 3 | 64,79 | 54,29 |
16:10 | 18:50 | 160 | 2,67 | 2 | zug ausgebucht | 71,25 |
16:10 | 18:50 | 160 | 2,67 | 2 | 48,30 | 71,25 |
16:22 | 19:42 | 200 | 3,33 | 1 | 59,79 | 57,00 |
18:10 | 20:50 | 160 | 2,67 | 2 | zug ausgebucht | 71,25 |
18:10 | 20:50 | 160 | 2,67 | 2 | 48,30 | 71,25 |
18:36 | 22:18 | 222 | 3,70 | 2 | 81,79 | 51,35 |
19:49 | 22:47 | 178 | 2,97 | 1 | 50,20 | 64,04 |
19:56 | 22:47 | 171 | 2,85 | 2 | 50,20 | 66,67 |
Durchschnittswerte (alle Stichproben):
Durchschnittliche Fahrtdauer: 191 Minuten (3,18 Stunden)
Durchschnittliche Geschwindigkeit: 61,19 km/h
Durchschnittliche Anzahl Umstiege: 2,0
Durchschnittlicher Preis (falls ausgewiesen, ca.): 57,36 €
Diese Daten zeigen, dass durch vermehrte Umstiege, längere Anschlusszeiten oder unterschiedliche Zugtypen (ICE, IC, RE) die Durchschnittsgeschwindigkeit und Reisezeiten teils deutlich schwanken.
Basis der hier angegeben Durchschnittsgeschwindigkeiten sind 74 dokumentierten Verbindungen zwischen Leipzig und Berlin – 26 Hinfahrten, 30 Rückfahrten und 18 zusätzlichen Montagsverbindungen. Alle wurden nach derselben Formel berechnet: Reisegeschwindigkeit = 183 km ÷ (Fahrzeit in Minuten ÷ 60).