
Braunschweig/Berlin - Es ist ein Vorgang, der ein Schlaglicht auf institutionelle Versäumnisse und digitale Sorglosigkeit wirft: Auf einer offiziellen Website der Technischen Universität Braunschweig erschien bis Mitte Mai 2025 ein Beitrag, der in Aufbau und Tonalität einem klassischen Sponsored Post gleicht – inklusive Markenlogo, Werbeslogan und unverhohlener Produktempfehlung für den Anbieter Raumtextilienshop.
Die Seite war bei Google unter dem Unternehmensnamen auf Seite 1 gelistet, unterstützt durch die besonders vertrauenswürdige .edu-Domain der Universität.
Am 8. Mai 2025 erreichte die Redaktion von NETZ-TRENDS.de der Hinweis eines Lesers. Darin wurde auf die Seite
https://www.tu-braunschweig.de/itl/studentische-vereinigungen/lions-racing-team/blog-detailansicht/raumtextilienshop
verwiesen – ein Blogeintrag des Lions Racing Teams, einer studentischen Gruppe der Fakultät für Maschinenbau an der TU Braunschweig.
In dem am 13. Januar 2025 veröffentlichten Text heißt es wörtlich:
„Um einen Weltklasse Formula Student Rennwagen zu bauen, muss man einen kühlen Kopf bewahren – dank der passgenauen Plissees von Raumtextilienshop ist das möglich. Und das Beste, es gibt das Plissee in verschiedensten Farben und Formen, sodass nicht nur für jedes Fenster was dabei ist, sondern auch, dass wir unsere Fenster in unseren Teamfarben haben können.“
Darüber prangte das offizielle Markenlogo von Raumtextilienshop mit dem Claim:
„Wohnideen aus deutscher Herstellung in Ihrem Onlineshop“ – vollständig eingebettet in die Infrastruktur einer staatlichen Hochschule.
Noch am 8. Mai wandte sich die NETZ-TRENDS-Redaktion mit einer formellen Presseanfrage an die Stabsstelle Kommunikation der TU Braunschweig sowie an Präsidentin Prof. Dr. Angela Ittel persönlich. Darin wurden u. a. folgende Punkte adressiert: Ob die Veröffentlichung redaktionell geprüft wurde? Ob ein Sponsoring oder eine Gegenleistung erfolgt ist? Ob eine Entfernung, Korrektur oder Kennzeichnung geplant ist?
Am 9. Mai um 09:40 Uhr antwortete die Universität zunächst knapp:
„Der von Ihnen genannte Inhalt lag auf einer dezentralen Institutswebseite der TU Braunschweig und wurde inzwischen gelöscht.“
Diese knappe Reaktion veranlasste die Redaktion zu einer zweiten Nachfrage am selben Tag (9. Mai) – diesmal mit detaillierten Fragen zum Verantwortungsbereich, zu internen Kontrollmechanismen und zur Zukunftssicherung. Schließlich erklärte die Universität am 13. Mai 2025 in einer ausführlicheren Stellungnahme:
„Die konkreten Inhalte wurden von der Studierendenvereinigung erstellt. Es erfolgte weder Sponsoring noch eine Spende – und es existiert kein Kauf- oder Schenkungsvertrag.“
Zudem teilte Ulrike Rolf, Koordinatorin Corporate Design im Presse und Kommunikations-Team der TU Braunchweig am 13. Mai 2025 NETZ-TRENDS weiter mit:
Die NETZ-TRENDS-Nachfrage habe man "zum Anlass genommen, die Umsetzung der bestehenden internen Richtlinien nachzujustieren". Die Schreibrechte seien nun "neu geordnet, ein zusätzlicher Freigabeprozess auf Leitungsebene implementiert und eine erneute Einweisung in die Compliance-Richtlinien der TU Braunschweig vorgenommen" worden.
Brisant ist der Vorfall auch deshalb, weil NETZ-TRENDS.de kürzlich kritisch unter anderem über Raumtextilienshop berichtete ("Wenn Standardmaß zum teuren Maß wird: Plissee.de, Jalousiescout.de und Raumtextilienshop.de im Test mit 50 x 110 cm"). Dass nun einer der drei getesten Anbieter auf einer .edu-Webseite im Stil eines bezahlten Werbeeintrags auftauchte, verschärft die Fragwürdigkeit der Veröffentlichung erheblich.
Die Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig, Prof. Dr. Angela Ittel, ist seit 2021 im Amt. Als frühere Vizepräsidentin der TU Berlin steht sie für strategische Führung, Digitalisierung und Internationalisierung. Doch auch sie trägt die Letztverantwortung für die Außendarstellung der Universität – insbesondere für Verstöße gegen die Neutralität öffentlicher Kommunikation.
Die Technische Universität Braunschweig ist mit ihrer Gründung im Jahr 1745 eine der ältesten technischen Hochschulen Deutschlands. Heute zählt sie rund 20.000 Studierende, gehört dem Verbund der TU9 an und kooperiert mit globalen Spitzenforschungseinrichtungen. Ihr Hauptsitz ist am Universitätsplatz 2, 38106 Braunschweig. Finanziert wird sie maßgeblich durch öffentliche Mittel.
Fazit: Öffentliche Glaubwürdigkeit darf nicht zum Preis für digitale Nachlässigkeit werden
Der Fall der Plissee-Werbung auf der TU-Website ist kein Einzelfall, sondern ein strukturelles Warnsignal. Wenn kommerzielle Inhalte ohne Prüfung in öffentliche Institutionen einsickern, wenn Logos, Marken und Lobhudelei auf .edu-Domains erscheinen, dann wird die Grenze zwischen Information und Werbung systematisch untergraben.
Die Reaktion der Universität erfolgte nicht aus interner Kontrolle heraus, sondern auf öffentlichen Druck nach einer journalistischen Anfrage. Hochschulen, die sich Reputation über Jahrhunderte aufgebaut haben, sollten ihre digitale Kommunikation nicht zur Angriffsfläche für SEO-gesteuerte Unternehmensinteressen machen. Was hier passiert ist, war keine Bagatelle – sondern ein Verstoß gegen alles, was wissenschaftliche Unabhängigkeit und Öffentlichkeitsverantwortung ausmacht.