Millionen-Minus? Deutsches "Wall Street Journal" am Ende

So berichten Insider, dass das Wall Street Journal Deutschland letztlich einfach erheblich zu wenige Einnahmen aus Online-Werbung (also primär Google-Werbung in Form von Google Adsense) gehabt habe. Damit habe man aber die Kosten beispielsweise für das Personal nicht decken können. Auch wenn die Zahl von 50 bis 60 betroffenen Personen die Runde machten, legt man bei Dow Dones in einer Mail an netz-trends.de doch Wert darauf, dass diese Anzahl nicht nur das WJS Deutschland betreffe, sondern "this was in relation to a series of closures announced by the company Dow Jones". Ein Insider berichtete netz-trends.de dennoch in Bezug auf das Wall Street Journal Deutschland: "Alleine die Personalkosten beliefen sich hier im Jahr auf über 2 Millionen Euro". Diese Kosten hätten sich aber keinesfalls mit den durch Google-Adsense erzielbaren Werbeeinnahmen decken lassen:

Wird eingestellt: Wall Street Journal Deutschland.

Die Online-Ausgabe des Wall Street Journal (WSJ), welche zum US-Verlag Dow Jones gehört und dem Reich von Medienzar Rupert Murdoch zuzuordnen ist (News Corporation), ist am Ende, soll zum Jahreswechsel 2014/2015 eingestellt werden. Doch dieses Ende ist auch etwas hausgemacht: Dilettantische Einbindung von Google Adsense Werbung gehört hier beispielsweise dazu.

So war unlängst berichtet worden, wonach die Visits der deutschsprachigen Online-Ausgabe des Wall Street Journal sich auf circa eine Million monatlich summiert hätten. Nimmt man Branchenstandards auf Nachrichtenportalen als Grundlage, könnten realistisch also maximal 300.000 Unique User im Monat möglich gewesen sein, eher aber deutlich weniger. Für deutsche Standards wäre aber alleine das schon ein phänomenal guter Erfolg nach drei Jahren.

Zu den Personalkosten kommen aber noch andere klassische Betreiberkosten hinzu – was sich ebenfalls schnell auf einige Hunderttausend Euro im Jahr summieren kann. Alleine ein Jahres-Nachrichtenabo bei einer Nachrichtenagentur wie dpa kann für ein Onlineportal leicht mit 100.000 Euro zu Buche schlagen.

Hinzu kommen häufig noch monatlich einige Tausend, wenn nicht Zehntausende Euro Ausgaben für Onlinewerbung in der Suchmaschine der Google Inc. für ein gutes Nachrichten-Keyword-Ranking im so wichtigen Werbesystem Google AdWords.

Gute Redaktion, zu geringe Einnahmen

AdWords sind jene Anzeigen, die über sowie rechts neben den Google-Suchtreffern ausgespielt werden. Doch ist nicht bekannt, ob das WSJ Deutschland in Google AdWords investierte oder nicht (doch ganz ohne dürfte es nicht gegangen sein).

Immerhin gelang es der deutschsprachigen Online-Ausgabe des Wall Street Journal recht schnell in Google News sich immer wieder gut gegen andere große deutschsprachige Nachrichtenportale durchzusetzen. Auch stach die Redaktion des WSJ Deutschland dadurch von den anderen deutschen Qualitätsmedien im Onlinebereich ab, dass es sich nicht an den klassischen Skandalisierungsthemen exzessiv beteiligte, wie es in Deutschland mittlerweile häufig üblich (Razzia da, Skandal dort). Chefredakteur des deutschsprachigen WSJ-Angebots war Ralf Drescher.

An der redaktionellen Qualität kann das Ende der Online-Ausgabe des Wall Street Journal also nicht gelegen haben. Eher an dem zu ambitionierten Ziel der Redaktion, Qualität liefern zu wollen. Schaut man sich alleine solche Themenspecials an, wie jenes zum Ersten Weltkrieg, lässt sich ablesen: Die gesamte Redaktion war wirklich mit großem Elan und Ehrgeiz dabei, etwas mehr Schwung in die deutsche Nachrichtenlandschaft online bringen zu wollen. Denn solche Themenspecials gibt es kaum auf Online-Nachrichtenportalen.

Gleichzeitig wissen wir nun einmal mehr auch warum: Sie lassen sich online nicht refinanzieren. Gerade historische Themen bieten einfach kein gutes Werbeumfeld für den Monopolisten in der weltweiten Online-Werbung, von dem nahezu jede Zeitung, jedes Portal abhängig ist: Von Google mit seinem gigantischen Werbesystem Google Adsense. Es lebt davon, dass Werbung personalisiert an die Nutzer oder Leser eines Portals ausgeliefert wird, also nach Interessengebieten.

Dabei binden Webseiten Google Adsense Werbung in der Regel in Werbeblöcken ein. Dabei erlaubt es Google, dass jeder Webseiten-Betreiber dieser von Google automatisch ausgespielten Werbeblöcke - also Google Adsense - maximal auf einer Webseite in 4 Werbeblöcken einblenden darf.

Wall Street Journal Deutschland band Google-Werbeblöcke nicht sehr klickfreundlich ein

Doch schauen wir uns die Online-Artikel des Wall Street Journal Deutschland an, hatten zumindest wir jeweils nur zwei solcher Werbeblöcke mit durch Google ausgespielter Fremdwerbung entdeckt. Problem: Diese Werbeblöcke waren obendrein äußert klickfeindlich eingespeist:

Einmal oben direkt unter dem Logo des WSJ Deutschland (äußerst schlechte Platzierung; da extrem klickarm) und einmal rechts ganz unten neben dem Artikel. Die klickintensivsten Google Adsense-Werbeblöcke - jene direkt im Text - fanden wir überhaupt nicht.

Dabei weiß jeder, der einen Blog, eine Nachrichtenseite betreibt, das von Google ausgespielte Google-Werbung - also die fast überall sichtbaren Textteilanzeigen - nur dann dem Publisher etwas Geld bringen, wenn ein Leser auch auf so eine Anzeige klickt. Das reine Einblenden von Textteil-Anzeigen oder Werbebannern bringt in 99 Prozent der Onlinewerbung keine Einnahmen. Pro Klick gibt es zwischen 1 Cent und 50 Cent für den Publisher und der gleiche Share geht an die Google Inc.

Deshalb muss man dem Wall Street Journal auch vorwerfen, mit der äußert miserablen Einbindung der Google Adsense-Werbung sich keinen Gefallen hinsichtlich der Refinanzierungsmöglichkeit getan zu haben. Mag sein, dass diese Vorgaben von der amerikanischen Muttergesellschaft kamen.

Englischsprachige Nachrichtenseiten haben es viel einfacher sich zu refinanzieren

Doch sind anglikanische Nachrichtenportale auf Grund ihres englischsprachigen Stamm-Angebotes weltweit ganz andere Klickraten gewohnt und lassen sich primär deshalb viel einfacher refinanzieren. So verfügen Portale wie jenes vom britischen "The Guardian" leicht mal eben über mehr als 50 Millionen Unique User (Nutzer) im Monat. Zum Vergleich: In Deutschland kommt kaum ein Nachrichtenportal auf deutlich über 1 Millionen Unique User im Monat (AGOF-gemessen) hinaus.

Selbst große regionale Abo-Tageszeitungen in Deutschland nehmen aber kaum über 1 Millionen Euro im Jahr mit Onlinewerbung, was primär Google Adsense-Werbung ist, ein. Das bedeutet: Damit lassen sich maximal 10 bis 20 feste Mitarbeiter finanzieren – in der Redaktion und in der Technik. Der gesetzlich in Deutschland von CDU und SPD festgeschriebene recht hohe Mindestlohn von 8,50 Euro kommt für viele Webportale erschwerend hinzu.

Die mangelnden Werbeeinnahmen machen es für die deutschen Online-Nachrichtenportale so überaus schwer, sich refinanzieren zu können. Dabei gelten die Google Adsense-Anzeigen derzeit noch als die beste Lösung überhaupt Einnahmen mit einer Webseite erzielen zu können. Ohne diese Anzeigen wäre es für Hunderttausende Nachrichtenblogs und Nachrichtenseiten überhaupt nicht möglich, Einnahmen zu erzielen (auch nicht für netz-trends.de).

Doch Google unterscheidet bei seinem Werbemonopol-System nicht danach, aus welchen Ländern ein Angebot kommt, sondern setzt weltweit überall mehr oder weniger die gleichen Standards.

Da die Welt aber zu zwei Dritteln englisch spricht (als Erst- oder Zweit-Sprache), mag ein solches System wie Google Adsense in den USA, Kanada, Australien, Großbritannien und den zahlreichen Ländern, in welchen Englisch als 2. Sprache gesprochen wird, aufgehen. Doch gerade im deutschsprachigen Raum, geht das oftmals nicht.

Über 80 Prozent des Traffics bekommen deutsche Nachrichtenportale über Google

Grund: Es fehlt einfach die Lesermasse, da es kaum eine Markenbindung im Internet gibt – auch nicht in Bezug auf Nachrichtenportale. Geklickt wird, was in Google weit vorne oder eben in Google News prominent eingeblendet wird. Die meisten Onlineportale, auch die Tageszeitungs-Portale, erhalten deshalb oftmals über 80 Prozent der Leser nicht per Direkt-Adress-Eingabe einer Nachrichtenquelle im Browser, sondern durch Suche in Google oder Google News.

Wenn dann noch, wie im Falle des Wall Street Journal, die von Google ausgelieferte Google-Werbung Adsense schlecht in die Texte oder den Webseiten eingebunden wird, bleibt auf Grund der geringen Klickraten auf Werbung fast gar nichts mehr im Verlag und der Redaktion hängen.

Das bedeutet: Das Wall Street Journal war nicht bereit, sein großes Credo schön sein zu wollen, aufzugeben zu Gunsten eines betriebswirtschaftlich machbaren Modells. Und das hätte geheißen: Maximal 20 Redakteure, die Webseite muss mit Google-Adsense-Werbung vollgeknallt werden und zwar auch in die Texte hinein. Zudem hätten Themenspecials gemacht werden müssen, die hochwertige Google-Adsense-Werbung gebracht hätte.

Doch eine solche Werbung wird von Google nur dann automatisiert ausgespielt, wenn auch die Themenfelder stimmen. Das heißt: In Umfelder zu Themenfeldern des Ersten Weltkrieges spielt die Google Inc. vielleicht Anzeigen zum Thema NGOs aus - doch die bringen keinerlei Einnahmen, außer vielleicht 1 Cent, wenn mal jemand drauf klickt.

Geld bringen nur Google-Anzeigen aus den Bereichen Automobil, Finanzen, Versicherungen, Technik, Fashion - also jenen Themen, in welchen es eine große wirtschaftliche Nachfrage sowohl bei den Unternehmen, die diese Produkte vertreiben gibt, als auch bei den Konsumenten, die eventuell bereit sind, auf so eine Anzeige zu klicken.

Bezahlschranke war für Wall Street Journal Deutschland ein Fehler

Ein weiteres Problemfeld beim Wall Street Journal Deutschland war der völlig übersteigerte Ehrgeiz - welcher wahrscheinlich vom Mutterhaus in den USA diktiert worden war – früh mit dem Online-Bezahlmodell für Nachrichten anfangen zu wollen.

Doch nicht umsonst haben selbst solche Online-Giganten wie bild.de erst nach über 10 Jahren exzessivster Artikel-Publizierungen angefangen ein Bezahlmodell in Form von Bild Plus einzuführen. Dabei gehen Schätzungen davon aus, dass ein Portal wie bild.de täglich über 700 Texte online nimmt, darunter unzählige selbst geschriebene. Das ist aber für eine normale Tageszeitungs-Onlineredaktion einfach nicht selbstständig machbar. Allenfalls Portale wie spiegel-online.de dürften da mithalten können.

Das heißt: Eine Bezahlschranke bei Onlineartikeln einzuführen geht erst ab einer sehr großen kritischen Lesermasse - die erheblich über dem liegt, was das Wall Street Journal Deutschland wohl erreichen konnte. Dabei liegt die Schuld nicht an der Redaktion, sondern am System. Es ist einfach nicht machbar in Deutschland in so kurzer Zeit mehr Leser online zu generieren und das angestrebte Wachstum entsprechend aus eigener Kraft zu refinanzieren. Hinzu kommt: Am meisten Einnahmen bringen bei Google jene Texte, die schon länger online sind - also zum Beispiel ältere Themenspecials zu bestimmten Wirtschaftsgebieten.

Google rankt alte Texte besser, was mehr Werbeeinnahmen über das Google-Werbesystem Google Adsense bringt

Grund: Google rankt solche Texte häufig besser, da auch die Historie eines Artikels oder einer Publikation von Google positiv bewertet wird. Da aber die große Mehrzahl der deutschen Nachrichtenseiten zu über 80 Prozent ihre Klicks ausschließlich dadurch erhalten, dass Personen in der Google-Suchmaschine etwas suchen oder in Google News zufällig über einen Text stolpern, steht auch hier das Google-Prinzip etwas der Tagesrealität des Nachrichtenjournalismus entgegen.

Das Wall Street Journal Deutschland könnte sich refinanzieren, wenn die Redaktion erheblich verkleinert wird - auf vielleicht maximal 5 bis 10 Redakteure und die Themenschwerpunkte sich radikal an Google ausrichten würden. Das hieße aber: keine Politik mehr (bringt keine Google Werbe-Einnahmen), keine Historien-Themen mehr (bringt auch keine Google Werbe-Einnahmen), keine Kommentare zu Themen, die nicht ausschließlich mit den Bereichen Banken, Finanzen, Automobile etc. zu tun haben.

Hinzu müsste ein exzessiver Newsletter-Verkauf kommen - denn damit kann man nach wie vor als Online-Medium Geld machen. Doch dem steht wiederum häufig der strenge deutsche Datenschutz entgegen. Denn unter einer Millionen Newsletter-Leser kann man kaum Einnahmen erzielen.

Doch können so viele Newsletter-Abonnenten von jungen Nachrichtenportalen kaum aus eigener Kraft regeneriert werden, weshalb sich eine solche Newsletter-Leserschaft entsprechend der strengen deutschen Datenschutzrichtlinien eigentlich nur dadurch erreichen lässt, indem man sich die E-Mail-Adressen zukauft für weit über 100.000 Euro. Doch auch hier haben es anglikanische Portale erheblich einfacher, da in den USA oder Großbritannien nicht ein solcher teils geradezu hysterischer Datenschutz herrscht wie er Onlineportalen in Deutschland vorgeschrieben wird.

Viele Köche haben Mitschuld am Ende des WSJ Deutschland

Insofern haben viele Köche Mitschuld am Ende des Wall Street Journal: Der Verlag selber, der zu viele Redakteure eingestellt hat, wobei man sagen muss: Ohne die Masse wäre wiederum ein Qualitätsmedium kaum möglich gewesen hoch ziehen. Ein weiterer Schuldiger ist das Marketing (Will Wilkinson ist Vice President für Europa Multimedia Sales), aber auch die Bezahlschranke für das WSJ Deutschland war nicht unbedingt hilfreich:

Als Mitschuldiger des Endes des WSJ Deutschland kann aber auch die Google Inc. mit ihrem Google Adsense-System genannt werden, das zwar einerseits für viele ein Segen ist, andererseits aber eben den Weltmarkt behandelt wie die wesentlich besser performanden englischsprachigen Webseiten.

Das bedeutet, dass die Google-Regel des 50 zu 50 Share auch in Deutschland angewendet wird. Das bedeutet, dass nur rund 50 Prozent der tatsächlich über Google Adsense erzielten Werbeeinnahmen auch beim Nachrichtenportal landen. Den Rest erhält Google. Das ist einer der Gründe, warum Google so unglaublich stark gewachsen ist in den vergangenen zehn Jahren und mittlerweile mehr Gewinn im Jahr macht, als fast alle deutschen Medien zusammen an Umsatz erzielen.

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