Reiner Engelmann Stadtrat Leipzig:"Investition in Bildung ist Stärkung nachfolgender Generationen"

Neben der Europawahl spielen auch lokale Wahlen, wie Stadtratswahlen, eine wichtige Rolle in einer Demokratie. netz-trends.de hat sich angesichts einer anstehenden Stadtratswahl in Leipzig mit dem bekannten und langjährigen Stadtrat der LINKEN Leipzig, Reiner Engelmann, in einem Interview unterhalten. Dabei sind Onlinethemen auch dem Stadtrat kein unbekanntes Thema: In Leipzig startet das papierlose Rathaus nun durch. Weitere Wichtige Themen im Interview sind: Warum Bildung für jeden kostenlos sein muss, aber auch der Skandal um die Leipziger Wasserwerke, über den derzeit ein Londoner Gericht verhandelt. Im Feuer: 400 Millionen Euro. Weiteres Thema: Die Bedeutung von Leipziger Arbeitgebern wie das Internetunternehmen Unister für die Stadt. Frage an Reiner Engelmann, Stadtrat Leipzig: In Leipzig steht am Sonntag die Stadtratswahl an. Bereits seit Jahren kümmern Sie sich als Stadtrat und Entsandter der in Sachsen relativ starken Partei der LINKEN in der ostdeutschen Metropole Leipzig um Datenschutz-Belange, auch im Internet. Welche Bedeutung hat das Thema derzeit für Sie?

Ist seit Jahren Kämpfer für das papierlose Rathaus: Leipzigs Linke-Stadtrat Reiner Engelmann. Am Sonntag ist Stadtratswahl.

Reiner Engelmann Stadtrat Leipzig: Datenschutz ist auch für mich sehr wichtig, ob offline oder online. Ich halte es für eminent, dass jeder Mensch selber entscheiden kann, welche Daten er preisgibt und welche er lieber für sich behalten möchte. Es ist gut und richtig, dass in Deutschland alle Personen, die automatisiert personenbezogene Daten verarbeiten, auf das Datengeheimnis verpflichtet werden. Datenschutz muss sein.

Das zu gewährleisten ist Aufgabe einer jeden deutschen Bundesregierung, aber auch der Regionalparlamente oder eben von Stadträten wie uns in Leipzig. Auf lokaler Ebene steht besonders im Fokus auch die Computer- und Internetkompetenz der gesamten Bevölkerung ständig auszubauen. Denn das größte Einfallstor für Datenklau oder die Missachtung oder Versuche der Umgehung von Datenschutz sind digitale Zugänge, vor allem das Internet.

Die Stadtratsfraktion Linke Leipzig.

Nicht-Wissen im Umgang mit Datenschutz führt zu Leichtsinn und Schaden. Deshalb versuchen wir seit Jahren hier die Kompetenz im Umgang auch mit digitalen Medien an allen möglichen lokalen Einrichtungen zu erhöhen.

Der Verbraucherschutz agiert lokal, regional und zunehmend auf europäischer Ebene. Gibt es auch in Ihrer Wahlstadt Leipzig lokale Projekte, welche sich gezielt um die Themen Verbraucherschutz kümmern?

Reiner Engelmann: Oh, das ist Teil meiner Tätigkeit an der Universität. Wir bilden Studenten beispielsweise in den Bereichen Wirtschaft, Technik Hauswirtschaft oder Soziales aus. Hier spielt der Verbraucherschutz in der Vielfalt von Rechten und Pflichten eine erhebliche Rolle.

Da es seit geraumer Zeit auch eine stärkere Transparenz von Verstößen gegen das Lebensmittelhygienegesetz online gibt – sprich Verbraucherschutz-Seiten - muss aus meiner Sicht eine Stadt wie Leipzig Ämter wie das Veterinäramt auch finanziell stärken, damit die erforderlichen Kontrollen in der notwendigen Frequenz durchgeführt werden können.

Deutschland geht gefährlich auf Grund der Ukraine-Krise auf Kollisionskurs mit Russland. Was bedeutet das für die seit vielen Jahren gepflegten Beziehungen zwischen Leipzig und Russland?

Reiner Engelmann: Was in der Ukraine passiert, ist eine Tragödie für dieses Land. Die Ukraine erlebe ich wie das Kind im Kaukasischen Kreidekreis, nur dass die vermeintlichen Mütter nicht loslassen können und weiter zerren. Wahre Freundschaft sieht anders aus.

Es scheint mir wichtig, die freundschaftlichen Beziehungen von Leipzig zu Moskau (und Kiew) weiter zu stärken. Wir haben mit Verbundnetz Gas eine Firma, die auf Gedeih und Verderb auf den Frieden zwischen der Ukraine und Russland angewiesen ist.

Ich glaube nicht, dass es gut ist für die Weltgemeinschaft, wenn ein Krieg zwischen zwei europäischen Staaten nur deshalb angezettelt wird, damit die USA ihr Fracking-Gas teuer in Europa an den Mann bringen können. Die Zeche zahlen die Völker Europas.

Sie waren bereits vor über 25 Jahren Schulleiter in Leipzig. Die Kritik an den Bildungsinstitutionen nimmt in Deutschland zu, was könnte Ihrer Meinung nach weiter verbessert werden?

Reiner Engelmann: Wissen ist Macht. Die Investition in Bildung ist eine notwendige Stärkung der nachfolgenden Generationen, von der auch wir selbst profitieren können. Bildung beginnt nicht erst in der Schule. Hier muss Leipzig dringend die Situation der Kitas bereinigen. Schließlich pflegt die Stadt das Bild von der familienfreundlichen Stadt Leipzig. Zur Bildung gehört schließlich auch der interkulturelle Austausch, die Pflege der Beziehungen mit unseren direkten Nachbarn und darüber hinaus.

Was die Schule betrifft, nach der Sie ja im Besonderen gefragt haben, stelle ich fest, dass immer mehr wohl Situierte den Weg in die privaten Schulen suchen. Damit besteht die Gefahr, dass die staatliche Schule zur Restschule verkommt.

Viele haben vergessen oder damals vor 25 Jahren gar nicht wahrgenommen, dass die Einheitsschule alle Kinder des Volkes bis zur 10. Klasse ohne wesentliche Probleme ausgebildet hat. Und im Anschluss haben die, welche für das Abitur angenommen wurden, ohne jedes Problem das Abitur in weiteren zwei Jahren erreicht. Wenn wir uns heute die Statistiken anschauen, wie viele das Abitur nicht mehr schaffen, auch in Leipzig oder Sachsen nicht, so ist das ein Trauerspiel.

Erst kürzlich hat die Linke, unter anderem mit dem sächsischen Landtagsabgeordneten Dr. Volker Külow, in einer Demonstration mit Leipziger Studenten sich öffentlich gegen den Plan der sächsischen Regierung gestellt, an den Hochschulen Sachsens über 1000 Stellen abzubauen. Sie arbeiten selbst an der Uni Leipzig, wie stehen Sie dazu?

Reiner Engelmann: Mit den Vorgaben aus Dresden kann man nicht wirklich einverstanden sein. Es ist der völlig falsche Weg. Die in den Osten kommenden Studenten, welche mittlerweile fast in allen Uni-Seminaren die Mehrheit stellen, bleiben sehr häufig in unserer schönen Stadt. Sie sind ausgestattet mit sehr viel Wissen, aber auch mit erheblichem kulturellem Kapital. Dies ist der Nährboden für Innovation und Entwicklung. Kappen wir hier einfach die Entwicklung, dann stoppt dieser Prozess. Dümmer kann man nicht handeln.

Die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen, Ines, hat in den vergangenen zwei Jahren mehrmals mit Razzien beispielsweise das Leipziger Internetunternehmen Unister, in welchem über 1000 Mitarbeiter beschäftigt sind, überzogen. Wie stehen Sie als Leipziger Stadtrat hierzu?

Reiner Engelmann: Ich sehe es kritisch, dass bis heute keine überzeugenden Ergebnisse vorgelegt werden und habe auch die Razzien für völlig überzogen angesehen. Man hatte schon den Eindruck, als wolle man hier ein erfolgreiches Leipziger Unternehmen mit staatlicher Gewalt beschädigen. Die bekannt gewordenen Begründungen für die Razzien sind auch für Fachleute nur schwer nachzuvollziehen.

Unister beschäftigt über 1000 vorwiegend junge Menschen in Leipzig und ist deshalb für Leipzig ein wichtiges Unternehmen. Ich wünsche Unister, dass die Vorwürfe beigelegt werden und Unister auch in Zukunft zur Attraktivität von Leipzig beiträgt.

Was würden Sie sagen: Wie viel Prozent der Stadtratsmitglieder in Leipzig sind nach wie vor nicht regelmäßig online aktiv?

Reiner Engelmann: Ich glaube nicht, dass wir noch Stadtratsmitglieder in Leipzig haben, die nicht im Internet agieren. In meinem Verteiler habe ich von jedem Stadtrat eine Internetadresse. Außerdem müssen wir uns viele unserer Informationen aus dem Ratsinformationssystem holen. Darüber hinaus gehört schon seit langem das Recherchieren im Internet zu den notwendigen Aufgaben eines Stadtrates.

In der nächsten Wahlzeit wird auf jedem Fall jeder Stadtrat gezwungen noch kreativer und kompetenter mit dem Internet zu arbeiten, weil wir das papierlose Ratssystem einführen.

In Leipzig leben rund 25 Prozent der Menschen von HartzIV oder anderen Sozialleistungen. Deshalb gilt Leipzig nicht umsonst als Armutshochburg Sachsens.

Reiner Engelmann: Das ist leider wohl so. Es ist eine Aufgabe der Stadt, die vorhandenen Arbeitgeber nach Möglichkeit zu fördern und auch neue Investoren zu finden. Allerdings ist auch unser schönes Leipzig von anderen Faktoren abhängig. Ich verweise beispielhaft auf Plauen.

Hier hat der Freistaat Sachsen viel Geld in die Hand genommen und muss nun zuschauen, dass MAN Roland vollständig ins Ausland verlegt wird. Grundaufgabe staatlicher Institutionen ist es die Wirtschaft zu fördern.

Denn Freiheit und auch soziale Hilfe des Staates für Menschen, die nicht so viel Glück im Leben hatten, kann es nur geben, wenn es auch Wohlstand gibt und wenn der Staat und die Stadt Steuereinnahmen haben, mit denen das finanziert werden kann. Diese Leitlinie gilt für alle Ebenen eines Staates.

Wie stehen Sie zu dem Skandal rund um die Leipziger Wasserwerke und dem derzeitigen Prozess in London gegen die Wasserwerke der Stadt Leipzig. Immerhin geht es um einen Betrag von über 400 Millionen Euro, welchen Leipzig bezahlen müsste, wenn die Stadt den Prozess verliert.

Reiner Engelmann: Zu dem laufenden Verfahren möchte ich mich nicht äußern, da ich im Aufsichtsrat kommunaler Unternehmen sitze. Allgemein betrachtet beobachten wir jedoch seit vielen Jahren die Angriffe von Finanzjongleuren auf kommunales Eigentum. Auch dabei spielt das Internet eine große Rolle, denn nur über das Internet erhalten die plötzlich zahlreiche auch lokale Informationen, an die sie früher gar nicht so ohne weiteres herangekommen wären.

Es ist wichtig, Angriffe von Finanzhaien frühzeitig zu erkennen und abzuwehren. Es heißt in Artikel 14 GG, Eigentum verpflichtet. Das gilt erst recht für kommunales Eigentum. Eine Verwendung kommunalen Eigentums außerhalb der jeweiligen Zweckbindung muss ganz entschieden bekämpft und auch verhindert werden.

Ein aktueller Gerichtsentscheid verurteilte die Schweizer Bank Credit Suisse auf 2,6 Milliarden Dollar Schadenersatz mit der Begründung, wonach die Credit Suisse geholfen habe, dass Amerikaner Geld in die Schweiz transferiert hätten, um die USA um Steuern zu betrügen. Was denken Sie sich als lokaler Stadtrat, wenn Sie solche Schlagzeilen lesen?

Reiner Engelmann: Angesichts dieser Nachricht frage ich mich, warum die deutsche Bundesregierung die Verhandlungen mit der Schweiz nicht zu Ende geführt hat. Wenn es darum geht, die sozial Benachteiligten zu drangsalieren , zu gängeln oder Forderungen einzutreiben, dann ist der Staat voller Phantasie und in der Lage, Behörden zusammenarbeiten zu lassen in einem Ausmaß, dass der Staat selbst hart an der Grenze der Verfassungsrechtlichkeit arbeitet.

Wenn es aber darum geht, Organisationen wie den Schweizer Banken, das Handwerk zu legen, weil diese tausendfachen Steuerbetrug anleiten, begünstigen und decken, dann fehlt der politischen herrschenden Kaste gerade auf Bundesebene in Deutschland plötzlich jede Idee. So etwas schürt in der Bevölkerung Misstrauen und Missgunst und ist einer Demokratie nicht würdig.

Sie sind seit Jahren auch in der Energiebranche zum Beispiel als Aufsichtsrat in den Stadtwerken Leipzig oder der LVV aktiv. Energie wird immer teurer und ist in Ostdeutschland auch teurer als in Westdeutschland. Woran liegt es, was kann dagegen getan werden?

Reiner Engelmann: Hohe Energiepreise sind für Haushalte, die nicht viel haben, eine große Belastung. Hier ist die Politik aufgefordert, dafür zu sorgen, dass Strom, Gas, Öl, bezahlbar bleiben! Auch das macht einen sozialen Rechtsstaat aus. Viele in Ostdeutschland getrauen sich im Winter schon gar nicht mehr, ihre Heizung anzustellen, aus Angst dafür, dass sie wieder 1000 Euro Nachzahlungen von ihrem Vermieter auf den Tisch gelegt bekommen. Diese Auswüchse gehören gestoppt!
Auf der anderen Seite könnte man zumindest sagen, dass der Preis für Energie zeigt, dass wir es mit einer kostbaren Ressource zu tun haben, mit der man umweltfreundlich und nachhaltig umgehen muss.

Das Problem in Deutschland ist aber, dass die, die viel Energie verbrauchen, steuerlich günstiger gestellt werden, als diejenigen, die wenig Energie verbrauchen. Damit wird die angestrebte Energiewende asozial. Die Kosten der Wende tragen die Verbraucher; wenn die Preise ungerecht sind, trifft es im Besonderen die sozial Schwachen. Das ist ein Skandal! Doch nicht nur das:

"Nicht-Wählen stärkt immer die, die man nicht an der Macht sehen möchte"

Warum die Stadtwerke in Deutschland in der Regel nicht im besonders niedrigen Preissektor für Energie zu finden sind, liegt daran, dass auf Grund der expansiven Erweiterung der Braunkohleverstromung die wirkliche Übergangstechnologie „Gas in Strom und Wärme“ nicht mehr aufgeht. Für eine Stadt wie Leipzig heißt das zum Beispiel: Die macht alles kaputt und wir können das Kraftwerk in der Eutritzscher Straße nicht vollständig auslasten. Hinzu kommt:

Der Gesellschafter der Stadtwerke, nämlich die Stadt Leipzig, benötigt einen planbaren Gewinn, damit die übrigen sozialen Aufgaben der Stadt erfüllt werden können. Das heißt aber auch: Nur wer auch zu Wahlen, wie der jetzigen in Leipzig für den Stadtrat geht, kann sein eigenes Leben sozial mitgestalten. Der Stadtrat hat hier für das Leben eines jeden einzelnen durchaus trotz EU immer noch großen Einfluss. Den sollte man stärken durch eine Wahlbeteiligung. Nicht wählen stärkt immer die, die man nicht an der Macht haben möchte.

Homepage Reiner Engelmann, Stadtrat Leipzig: engelmann.biz

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