
Vorwerk gehört zu den deutschen Marken, wie das Paulaner-Bier in München. Viele verbinden damit Staubsauger, neuerdings auch Thermomix-Geräte. Nach außen gibt sich das Familienunternehmen aus Wuppertal gerne mit einem Saubermannimage. Doch was Tom aus München, ein Selbständiger Psychotherapeut mit dem Schwerpunkt Buddhistisch fundierte Psychotherapie mit Vorwerk und seinem Vorwerk Temial Zahlungsdienstleister, der umstrittenen Berliner RatePAY GmbH erlebte, "ist nur noch schockierend", sagt er. Netz-trends.de ging dem Fall über mehrere Tage nach und tauchte ein in die Problematiken, wenn ein etabliertes Unternehmen Zahlungen outsourct. Ratepay kommt dabei nicht gut weg.
So bekam Tom plötzlich eine Rechnung über 745 Euro. Absender war ein Hamburger Inkassobüro, die EOS Deutscher Inkasso-Dienst GmbH, im Auftrag von Ratepay. Ratepay wollte wiederum für Vorwerk Temial GmbH 599 Euro eintreiben, zuzüglich Mahngebühren und ähnlichem. Für Tom ein Schock. Denn er hatte niemals bei Vorwerk etwas bestellt. Und schon gar nicht zu 599 Euro. Zumal jetzt in Corona-Zeiten, wo viele ihr Geld zusammenhalten. Schnell war klar: Er hatte es mit dem klassischen Kriminalitäts-Vorgang eines Identitätsdiebstahls zu tun. Er war also Betrugs-Opfer und sollte für etwas bezahlen, das er nie bestellt hatte. Doch der Reihe nach.
Für 599 Euro erhält man, schreibt stern.de, bei Vorwerk einen super teuren Teekocher mit dem Namen Temial. Das musste sich Tom erst einmal im Internet zusammenrecherchieren. Denn in der Inkasso-Rechnung über 745 Euro stand noch nicht einmal, wofür die 599 Euro sein sollten. Temial sollte die kleine Schwester des Kult-Gerätes von Vorwerk werden, des Thermomix. So führt Stern-Autor Daniel Bakir in einem Text aus dem Jahr 2018 aus:
"Der Temial ist ein Teekocher. Sein stolzer Preis: 599 Euro. Im Netz sorgt das für Häme. Das Unternehmen hat mit seinem Neuling einen besonderen Markt im Blick. Der unglaubliche Hype um den Thermomix hat Hersteller Vorwerk in den vergangenen Jahren in unerwartete Höhen katapultiert. Dank des aktuellen Modells TM5 setzte der Konzern im Jahr 2016 mehr als drei Milliarden Euro um - absoluter Rekord. Doch als 2017 der Hype nachließ, ging auch der Vorwerk-Umsatz empfindlich zurück, denn der Thermomix ist für rund 40 Prozent des Konzerngeschäfts verantwortlich."
Betrugs-Opfer Tom hatte 1998 mit Freunden die Münchner Studenten-Jobbörse, die heute über jobcafe.de Studenten- und Teilzeitjobs vermittelt (Job-Börse GmbH) gegründet. Vor rund zehn Jahren war er ausgestiegen, um sich zunächst als Karriereberater für Studenten und Berufstätige in München und dann als Therapeut mit einer "Praxis für Buddhistisch fundierte Psychotherapie / Coaching & Achtsamkeitsmeditation" selbständig zu machen. Innerhalb kürzester Zeit hatte er einen festen guten Kundenstamm.
Weshalb nun gerade jemand auf seinen Namen Vorwerk-Ware bestellte, diese aber sich irgendwo anders hin liefern ließ, ist unklar. Wie häufig in solchen Fällen, kann es Zufall sein: Betrüger nehmen willkürlich irgendwelche Namen, bestellen Ware, geben falsche Rechnungsadressen an – wenn Lieferort und Rechnungsempfänger unterschiedlich sind. Sobald die Täter die Ware in den Händen halten, sind sie über alle Berge und ihre Opfer können sich langwierig mit Inkassobüros oder gar Gerichten herumschlagen. Opfer sind dann sowohl die Betroffenen von identitätsdiebstahl als auch die Unternehmen, welche verzweifelt versuchen ihr Geld zu erhalten.
Allerdings sind Unternehmen immer wieder mitschuldig, da sie zu leichtsinnig Ware ausliefern. Der eigentliche Weg müsste sein: Ein Unternehmen überprüft, wohin die Ware geht und gleicht den Rechnungsempfänger mit Security-Tools ab, ob beispielsweise negative Einträge bei der Schufa oder ähnlichen Kreditsicherheits-Dienstleistern vorliegen. Bertelsmann aus Gütersloh ist hier beispielsweise mit seiner Arvato Financial Solutions führend.
Vorsichtige Unternehmen schicken bei teurer Ware auch eine Anfrage an den Rechnungsempfänger, ob dieser wirklich die Lieferung beauftrag hat, was natürlich bei kriminellem Identitätsdiebstahl entsprechend schwierig ist. Aber auch das findet oft nicht statt. Ein Mix aus allen möglichen Verfehlungen scheint auch bei Tom passiert zu sein. Im Zentrum dürfte Chaos beim Berliner Zahlungsabwickler Ratepay stehen, wenn man sich die Puzzleteile anschaut, die Netz-trends.de bislang recherchiert hat. So ganz wundert das nicht.
Denn Ratepay kommt im Netz nicht gerade gut weg bei Verbraucherbewertungen. In den Google-Ratings von "Google My Business" schaffen es die Berliner gerade mal auf desaströse 2,6 Bewertungs-Sterne von 5. Bei immerhin 393 Bewertungen mit Stichtag 11. Oktober 2020. Würde man das deutsche Notensystem zu Grunde legen, wonach 1 die beste Note ist und 6 die schlechteste, heißt dies: Ratepay bewegt sich irgendwo im Mittelfeld bei 3. Für ein Unternehmen also eher schlecht. Klar, Zahlungsdienstleister haben es vielleicht schwerer als andere, zu guten Ratings zu kommen.
Weniger glaubwürdig ist mittlerweile das weltweit mächtige Internet-Bewertungsportal Trustpilot aus Dänemark. Grund: Hier können Unternehmen gegen Geld manuell Kunden zum Bewerten einladen. Ratepay kommt derzeit auf Trustpilot unter 1.852 Bewertungen auf 3,6 Sterne von 5 (beste Note; Stichtag: 14.10.2020). Allerdings hat die RatePAY GmbH nach Angaben von Trustpilot ab Frühjahr 2020 über den Sommer bis jetzt massiv manuell Kunden per Mail eingeladen, Bewertungen abzugeben.
Damit konnte das Unternehmen den Anteil der "mangelhaften" oder "ungenügenden" Bewertungen auf 38% drücken. Das heißt aber, dass immer noch mehr als jeder dritte Kunde, der eine Bewertung schrieb mit Ratepay absolut unzufrieden war. Zuvor sah das Rating aber noch viel schlechter aus. Alleine in den vergangenen 12 Monaten lud Ratepay 1.203 Kunden manuell für eine Bewertungs-Abgabe ein, die in der Mehrzahl positives Feedback gaben. Nur 268 Bewertungen waren organisch, die aber in der Aussagekraft wohl erheblich näher an der Realität sein dürften, da sie natürlich entstanden sind.
Ein Großteil der Unternehmen sucht nämlich in Pre-Selections solche Kunden aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gute Note vergeben. Deshalb sind Trustpilot-Bewertungen, wo Unternehmen gezielt Kunden zum Bewerten "einladen" mit Vorsicht zu genießen.
Schaut man sich die negativen Kunden-Bewertungen im Detail an, wird selbst unter Abzug der Tendenz einiger Bewertungs-Schreiber, ihre Erlebnisse mit Unternehmen negativ zu überhöhen, ein Bild klar: Ratepay scheint nach nicht wenigen Kundenmeinungen immer wieder beim Versenden von Rechnungen und Mahnungen ein Problem zu haben. Und zwar ein strukturelles. Eines, wo man die Frage stellen muss: Wie seriös arbeitet Ratepay und wie gut funktioniert der dortige Service?
Mal monieren Kunden, wie im Falle von Tom, gleich ein Inkasso erhalten zu haben, ohne vorherige Mahnung. Andere beschweren sich wiederum, sofort abgemahnt worden zu sein, ohne Rechnung oder dass innerhalb kurzer Fristen Rechnungen ans Inkassobüro übergeben wurden, was gerade in Urlaubszeiten schwierig ist.
Am 13. Oktober 2020 schrieb beispielsweise ein Norbert Wostbrock auf Trustpilot zu Ratepay: "Seit nunmehr 8 Wochen wird ein Bezahlvorgang geprüft und immer wieder ‚vertröstende‘ E-Mail-Antworten. Kann ich leider nicht empfehlen!" Ein Christian J. führt am 30. Juni 2020 aus: "Vorsicht!! 31 Monate nach Bezahlung der letzten Bestellung kommt nun aus dem Nichts ein Schreiben des hauseigenen Inkasso-Büros. Riecht nach Willkür und schlechter Buchführung. Wird an den Verbraucherschutz und die Rechtsschutz weitergeleitet. Ich kann nur vor diesem Unternehmen warnen."
Auf Google schreibt wiederum ein "Mnemonic2k" im September 2020:
"Achtung! Ich kann vor der RatePAY GmbH nur warnen! Ich habe tatsächlich vergessen eine Rechnung von ABOUT YOU zu bezahlen. Anstatt mir eine Mahnung zu schicken, kam direkt die ‚Letzte Warnung‘ in der stand, dass ich bereits eine Mahnung bekommen hätte. Leider habe ich diese angebliche Mahnung aber nie erhalten. Jetzt fordert diese seriöse Firma direkt 13 Euro Mahngebühren! Gute Masche! Meine Konsequenz ist, dass ich nie wieder bei OTTO und dessen Töchterfirmen einkaufen werde! Hätte OTTO vor drei Jahren die RatePAY GmbH mal lieber nicht aus seinem Konzern lösen sollen!"
Allerdings wäre es zu einfach, das Wuppertaler Direktmarketing-Unternehmen Vorwerk nun freizusprechen von dem Inkasso-Chaos, dem sich Unternehmer Tom ausgesetzt sah. Denn Vorwerk bezahlt Ratepay und ist damit natürlich in der Verantwortung für seine Geschäftspartner, die man seinen Kunden zumutet. Die Zumutung für Tom war groß:
"Ich hatte vor der sehr hohen Inkasso-Forderung durch die EOS Deutscher Inkasso-Dienst keine einzige Rechnung erhalten, auch keine Mahnung. Man versuchte mich sofort mit einer hohen Inkassoforderung zu erschlagen und einzuschüchtern. Ein unglaublicher Akt! Und massiv unseriös. Ein Abzockversuch pur."
Auch wenn Ratepay seit Jahren im Internet aktiv ist, sagt vielen das Unternehmen dennoch nichts. Deshalb lohnt sich hier ein kleiner Blick auf den Zahlungsdienstleister: Die Geschäftsführung der Ratepay GmbH liegt laut Ratepay-Impressum in den Händen von zwei Frauen: Miriam Wohlfarth und Luise Linden. Die zuständige Aufsichtsbehörde für Ratepay ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin.
Für den am 27. Dezember 2019 auf Bundesanzeiger.de veröffentlichten "Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01.01.2018 bis zum 31.12.2018" wurden für die RatePAY GmbH noch Miriam Wohlfarth, Jesper Wahrendorf und Urs Bader als Geschäftsführer genannt. Robert Hoffmann wird als Geschäftsführer Managing Director der Concardis Payment Group GmbH erwähnt. Über einige Jahre gehörte Ratepay zum Otto Konzern, ehe 2017 die Private-Equity-Investoren "Advent" und "Bain Ratepay" die Gruppe übernahmen.
Tom hatte vom Inkassobüro mit Datum 22. September 2020 folgendes Schreiben erhalten: "Bitte zahlen Sie EUR 745,18 aus einer Ratepay-Rechnung vormals Vorwerk Temial GmbH. Guten Tag Herr Sch., Sie haben die Rechnung/en bei der Firma Ratepay GmbH nicht pünktlich bezahlt. Das kann schon mal passieren! Nun hat uns die Ratepay beauftragt, den offenen Betrag einzufordern. Bitte überweisen Sie bis zum 07.10.2020…. 745,18 Euro. .. Bedenken Sie, dass weitere Kosten entstehen können, wenn Sie nicht pünktlich zahlen. Sie haben Fragen oder benötigen weitere Informationen? Wir helfen Ihnen gerne unter 040/2850-430032."
Also rief Tom in Hamburg an. Dort habe man von ihm intime Daten zur Personen-Erkennung haben wollen. Das lehnte Tom aber ab: "Ich wusste ja nicht mal, ob diese EOS seriös ist und ob ich denen überhaupt trauen kann." Als er sich geweigert habe, habe die Dame an der Hotline den Telefonhörer aufgeknallt. Klar, wo hohe Forderungen im Raum stehen, sind die Emotionen beidseitig schnell am Kochen.
Dass die Basisforderung von Vorwerk von 599 Euro auf 745 Euro anwuchs, erklärt das Inkassobüro mit dem Folgenden: Man kassiere 10 Euro Mahngebühren der Auftraggeberin (also von Ratepay). Weitere 130,50 Euro seien "Inkassovergütung (Verzugsschaden gem. §§ 280, 286 BGB). Hinzu kämen "Weiterer Verzugsschaden, insb. Zinsen bis 22.09.2020 in Höhe von 5,68 Euro, abzgl. seit dem 17.08.2020 geleistete Zahlungen in Höhe von 0,00 Euro. Dies mache eine Gesamtforderung von 745,18 Euro.
Es brauchte eine ganze Woche mit unzähligen Mails zwischen der Netz-trends.de-Redaktion, EOS und den Vorwerk-Pressekontakten, ebenso mit Ratepay, bis wir den Fall einigermaßen klären konnten. Ratepay, das Zentrum des skandalösen Bezahl-Inkasso-Terrors, trug jedoch bis zum Schluss nichts Substanzielles zur Aufklärung bei. Obendrein entschuldigte sich das Unternehmen bislang nicht für sein unseriöses katastrophales Rechnungs-Chaos. Ein guter Imageträger für ein Unternehmen sieht jedenfalls anders aus.
Zunächst schickten wir am 2. Oktober, also vor über einer Woche an die EOS Inkasso eine Presseanfrage mit der Bitte um Klärung des Vorgangs. Wir setzten eine Frist bis 5. Oktober 2020. Schließlich erreichte uns am 6. Oktober eine Mail von dem Inkassobüro. Es verteidigte sich damit, wonach "von uns bearbeitete Forderungen" unter anderem über die Hotline erfragt werden könnten. Allerdings müsse man sich dort ausweisen. Also beispielsweise das Geburtsdatum angeben. Werde "die Identifikation seitens des Anrufers verweigert", könne man "keine Auskunft erteilen".
Wir wollten von EOS auch wissen, warum das Inkassobüro Forderungs-Empfänger nicht vorab besser screene, ob eine Forderung tatsächlich an den Richtigen gehe. Dazu schrieb das Hamburger Unternehmen: "EOS zieht nur unbestrittene Forderungen ein. Haben Kunden uns eine Forderung übergeben, die ein Verbraucher dann bestreitet, gehen wir dem natürlich nach und prüfen den Vorgang. Wir geben die Forderung an den Auftraggeber zurück, wenn sie nicht rechtmäßig ist". Schreibt Daniel Schenk von der Corporate Communications & Marketing der EOS Holding GmbH. Geschäftsführer bei EOS Inkasso sind Klaus Engberding, Justus Hecking-Veltman, Andreas Kropp, Marwin Ramcke, Dr. Andreas Witzig. Vorsitzende des Beirates ist Petra Scharner-Wolff.
Nach dem Kontakt mit EOS wendete sich die Netz-trends.de-Redaktion an Vorwerk, beziehungsweise an Wiebke Friedrich und Dr. Sascha Groom von der Vorwerk Temial GmbH aus Wuppertal. Auch hier baten wir, uns bis zum 7. Oktober unsere Fragen zu beantworten. Wir wollten wissen, wie es kommen kann, dass ein Verbraucher von Vorwerk über einen Zahlungsdienstleister, beziehungsweise ein Inkassobüro eine Zahlungsaufforderung erhält, ohne dass dieser vorherige Rechnungen oder Mahnungen erhalten habe und obendrein auch nie bei Vorwerk etwas bestellt habe.
Am Mittwoch den 7. Oktober erreicht uns um 14:54 Uhr die folgende Antwort: "Sehr geehrter Herr Xaver, vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich Ihnen hiermit gerne beantworte. Die Zufriedenheit unserer Kunden hat für uns höchste Priorität. Themen wie Identitätsdiebstahl nehmen wir daher sehr ernst. Aus diesem Grund führen wir über unseren Dienstleister ratePAY bei jedem getätigten Kauf in unserem Online-Shop eine Prüfung der Identität sowie Bonität des Kunden vor. Erst nach Abschluss dieser Prüfung wird die Bestellung weiter bearbeitet und die Korrespondenz erfolgt über die vom Kunden angegebene E-Mailadresse und Telefonnummer." Zudem habe man zwischenzeitlich den Kunden kontaktiert.
Nur: Tom hatte vor der Inkassoforderung über 745 Euro weder per E-Mail noch Telefonnummer vorher Kontakt mit Vorwerk, auch nicht mit Ratepay. Um 20.52 Uhr schreibt das Opfer des Identitätsdiebstahls, Tom, deshalb zurück an Vorwerk:
"Sehr geehrte Vorwerk-Pressestelle, ich habe Ihre Korrespondenz mit der Redaktion Netz-Trends soeben verfolgt, in der Sie schreiben: ‚Selbstverständlich haben wir den von Ihnen geschilderten Fall intern geprüft und konnten gemeinsam mit unserem Dienstleister den Sachverhalt aufklären. Der Kunde wurde diesbezüglich informiert.‘ Diese Aussage ist unwahr. Ich wurde bis dato in keiner Weise informiert - weder über Email noch telefonisch!"
Schließlich erreicht die Redaktion eine Mail von Michael Weber, dem Leiter der Unternehmenskommunikation der Vorwerk Gruppe. In dieser und in weiteren Mails bestätigt er, sich persönlich um die Sache zu kümmern und dass die Vorwerk & Co. KG ebenfalls Interesse an der Aufklärung des Falls habe. Allerdings sei der Vorgang "komplex" und benötige weitere Zeit.
Zwischenzeitlich informierte uns wieder Tom: Er sei zwei Mal zur Polizei in München gegangen und habe den Vorgang dort in mühevoller Kleinarbeit erklärt. Der Zeitaufwand habe bei ungefähr vier Stunden gelegen. Der Polizeibeamte sei so nett gewesen und habe sogar mit ihm zusammen bei dem Hamburger Inkassobüro EOS angerufen, um die Sache zu klären.
Schließlich, am Samstag den 10. Oktober, die gute Nachricht. Ein Brief von EOS Deutscher Inkasso-Dienst GmbH. Darin stand, dass man sich für die Unannehmlichkeiten entschuldige und die Inkassoforderung über 745 Euro als zurückgezogen ansehe.
In München läuft das Verfahren dennoch weiter und zwar über den Paragraphen 263 und dem Stichwort: "Warenbetrug". Für Tom ist die Sache damit aber dennoch nicht vom Tisch:
"Ich hatte super viel Arbeit, Stress und Magenschmerzen wegen dieser Inkassoforderung. Es geht nicht an, dass hier Inkassobüros von Bezahldienstleistern wie Ratepay und die wiederum in diesem Fall für Vorwerk an unbescholtene Bürger solch hohe völlig unberechtigte Forderungen verschicken, die überhaupt keine Grundlage haben". Um Shops die mit Ratepay arbeiteten, wolle er künftig "einen riesigen Bogen" machen.
Die Vorwerk & Co. KG mit der Adresse Mühlenweg 17-37, 42270 Wuppertal, besteht aus unterschiedlichen Einheiten: Vorwerk Kobold, Vorwerk Thermomix, JAFRA Cosmetics, Vorwerk Engineering, Vorwerk Temial, akf-Gruppe sowie Vorwerk Direct Selling Ventures.
In Wikipedia lesen wir den folgenden Hintergrund zu Vorwerk: "Die Vorwerk & Co. KG, kurz Vorwerk, ist ein diversifizierter internationaler Konzern mit Sitz in Wuppertal. Der Direktvertrieb, also der Absatz vom Hersteller an den Verbraucher ohne Vermittlung des Handels, bildet den Geschäftsschwerpunkt. Zum Angebot gehören Haushaltsgeräte, insbesondere die Multifunktions-Küchenmaschine Thermomix und Staubsauger der Marke Kobold, sowie Kosmetika, Teppiche und Bodenbeläge."
Gegründet wurde die heutige Kommanditgesellschaft 1883 durch die gewieften Brüder Carl und Adolf Vorwerk. Heute liegt die Leitung bei Reiner Strecker, dem "Persönlich haftenden Gesellschafter der Vorwerk & Co. KG".
Die Anzahl der festen Mitarbeiterzahl belaufe sich bei Vorwerk laut Wikipedia auf 12.319 im Jahr 2019, wobei ein Heer freischaffender Umsatz-Zuträger im Direktmarketing die Vorwerk-Produkte an die Mann oder Frau bringt. Die Rede ist laut Wikipedia von angeblich über 600.000 solcher selbständiger Handelsvertreter.
Weber, der Leiter Unternehmenskommunikation der Vorwerk Gruppe erläutert weiter:
"Kerngeschäft der Vorwerk Gruppe sind die Produktion und der Vertrieb hochwertiger Haushaltsgeräte. Dabei legen wir Wert auf direkten Kontakt zum Kunden – diese erhalten unsere Produkte ausschließlich über unsere eigenen Kanäle. Das sind der personengestützte Direktvertrieb (Umsatzanteil in Deutschland über diesen Kanal bezogen auf alle Produktgruppen über 80 Prozent), unsere eigenen Online-Shops [Anmerkung Redaktion: https://www.vorwerk.com/de/de/s/shop/produkte/c/products] sowie unsere eigenen Retail-Stores in knapp 60 Innenstädten in Deutschland (unter anderem Berlin, Köln, München, Essen, Wuppertal etc.). Die Platzierungen bzw. Listungen in Preissuchmaschinen [Anmerkung Redaktion: wie auf Billiger.de, Idealo etc.)] sind Teil unserer Omnichannel-Strategie. Ziel ist es in erster Linie, Kontaktpunkte zum Kunden zu schaffen."
Es seien "nicht alle Produkte auf allen Kanälen direkt erhältlich". Beispielsweise könnten Kunden den Thermomix nicht direkt im Online-Shop erwerben, "weil wir hier großen Wert legen auf eine direkte, kompetente Beratung durch unsere Repräsentantinnen". Dies könnte "persönlich, derzeit aber auch telefonisch, beziehungsweise per Mail erfolgen. Die Repräsentantin bleibe auch nach dem Kauf Ansprechpartnerin für die Kunden.
Umsatzgröße
Derzeit macht Vorwerk mit seinem Thermomix in Deutschland 348 Millionen Euro Umsatz, mit Kobold 216 Millionen Euro (jeweils im Geschäftsjahr 2019). Die Umsätze mit dem zwar stylischen aber teuren Temial-Teekocher spielen derzeit kaum eine Rolle: "Als StartUp ist der Umsatz verglichen mit Kobold und Thermomix noch sehr gering", so Weber gegenüber Netz-trends.de.
Vorwerk Temial und sein Zahlungsdienstleister Ratepay
Für Vorwerk Temial gibt es einen Factoring-Vertrag zwischen Vorwerk Temial und dem umstrittenen Zahlungsdienstleister Ratepay. Das bedeutet, dass bei Nutzung einer Ratepay-Zahlungsart im Rahmen eines Kaufs die Zahlungsforderung inklusive Ausfallrisiko an Ratepay abgetreten wird. Dies macht Vorwerk ausschließlich für den neuen Temial. Thermomix und Kobold nutzen diese Option nicht. Dies zeigt sich beim Blick auf den Warenkorb im Online-Shop von Vorwerk im Bereich " Zahlungsoptionen".
Caroline Wahl, Senior Communications Manager bei Ratepay schrieb an Netz-trends:
"Wir als Ratepay GmbH agieren als Zahlungsdienstleister für Vorwerk. Die im Bestellprozess erhobenen Daten werden nach Einwilligung des Käufers vom jeweiligen Händler, in diesem Fall Vorwerk, zur Risikoprüfung und Abwicklung des Zahlungsprozesses an Ratepay übermittelt.
Bei dem von Ihnen beschrieben Fall handelt es sich vermutlich um einen Identitätsbetrug. Dabei werden, soweit uns bekannt, Daten ausgespäht. Dieser Datenmissbrauch entsteht durch Dritte, Betrüger, die Daten von real existierenden Personen nutzen, um Bestellungen zu tätigen und die Ware weiterzuverkaufen. Somit sind nicht nur die real existierenden Personen, deren Daten missbraucht wurden, sondern auch wir als Dienstleister Geschädigte und haben ein Eigeninteresse solche Fälle zu verhindern.
Ratepay hat dazu diverse Prozesse und automatisierte Lösungen, um Betrüger aufzudecken. So nutzen wir sowohl externe Auskunfteien, intern entwickelte moderne Algorithmen und ein großes Team von Mitarbeitern um Betrugsbestellungen zu erkennen und aufzuhalten. In den allermeisten Fällen gelingt uns dies auch. Leider werden auch Betrüger immer raffinierter, sodass wir trotz aller Bemühungen nicht alle Fälle verhindern können.
Sofern Personen Mahnungen für Bestellungen erhalten, die sie selbst nicht getätigt haben, ist von einem Datenmissbrauch auszugehen. Da bei unserer Risikoprüfung Daten auf Plausibilität geprüft werden, bedienen sich Betrüger oftmals real existierender Identitäten. Betroffene sollten sich schnellstmöglich mit uns (Customer-Care@ratepay.com) und/ oder dem jeweiligen Händler in Verbindung setzen. Zusätzlich empfehlen wir den Kunden eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Wir arbeiten in solchen Fällen eng mit den Behörden zusammen und unterstützen diese bei den Ermittlungen mit den uns vorliegenden Informationen. Um sich vor Datenmissbrauch zu schützen, empfehlen wir generell persönliche Daten vertraulich zu behandeln und diese so sparsam wie möglich im Internet einzusetzen…"
Warum Ratepay dem von uns geschilderten Opfer von Identitätsdiebstahl gleich einen Inkassodienst auf den Hals hetzte, obwohl Ratepay noch nicht einmal eine Rechnung oder Mahnung an das Opfer schickte, darauf ging Ratepay bislang nicht näher ein. Das Opfer wartet immer noch auf eine Entschuldigung und Aufklärung. Seriöse Unternehmensarbeit ist das alles nicht. Selbst auf unsere erneute Nachfrage an Ratepay, ob wir chinesisch redeten, oder warum man nicht endlich den Fall aufkläre, kam bis Redaktionsschluss 19 Uhr Mittwochabend keine Antwort.