Tatzen und Grasdackel „Meine Lehrerin nannte mich Specksäckle am Gymnasium in Baden-Württemberg

Andere Zeiten, andere Methoden. Eine Stuttgarterin erzählt uns, wie sie in den 1940er und 1950er Jahren ihre Schulzeit in Baden-Württemberg verbrachte. Gänzlich anders, als es die Kids heute erleben.

Doris, rechts, erzählt aus ihrer Schulzeit in Grötzingen und Nürtingen ab 1943 und bis in die 1950er Jahre hinein in Stuttgart am Mörike Gymnasium.

Netz-trends.de: Du bist in Grötzingen bei Stuttgart, der heutigen Stadt Aichtal vom fünften bis 13. Lebensjahr aufgewachsen und zur Schule gegangen. Erst in die Grundschule Grötzingen, dann aufs Gymnasium. Einige Erlebnisse da waren für dich traumatisch.

Doris: Stimmt. Wir sind 1943 oder 1944 aus Stuttgart evakuiert worden, da die Stadt fast komplett zerbombt war. Wir hatten in der Kanzleistraße gewohnt am Stadtgarten, die gibt es aber nicht mehr. Die heißt irgendwie anders. Die Gebäude da sind aber wieder aufgebaut worden.

Netz-trends: Deine Schulzeit in Grötzingen war ja nicht ganz einfach.

Doris: Doch die war eigentlich einfach. Bis auf eine Lehrerin.

Was war mit der?

Doris ist bis heute lebenslustig und spielt besonders gerne Scrabble.

Doris: Die war ziemlich streng und hat Tatzen verteilt.

Was sind denn Tatzen?

Man musste die Hand nahstrecke und dann wird mit der Gerte drübergschlage. Also mit nem Stöckle.

Klingt, als ob es weh tut.

Doris: Es soll natürlich wehtue. I ha oine kriegt wegen schwätze.

Dann bist Du aufs Gymnasium gekommen?

Doris: Ja. Bei Nürtingen. Sieben Kilometer von Grötzingen entfernt. Im Winters is ma da mit dem Bus hingfahre. Im Sommer mit dem Fahrrad.

Warum im Sommer mit dem Rad?

Doris: Des war einfacher. Weil der Bus is ja ganz selten gfahre. Da hän mer lang warte müssen.

Wie war Deine Schulzeit auf dem Gymnasium in Baden-Württemberg?

Doris: Teilweis mit Ängsten belastet.

Warum?

Doris: Weil die ei Lehrerin mi am Gymnasium als Specksäckle bezeichnet hat und mir net so wohlgsonnen war.

In der Grundschul in Grötzingen war es vorher eigentlich nett. Trotzdem gab es auch da nen Lehrer, der eigentlich nett war, der aber zu nem Mitschüler gsagt hat, jetzt komm du raus und da kriegsch den Arsch voll.

Und dann hat er ihn übers Pult gelegt und ihm den Arsch versohlt.

Wie hat er das gemacht?

Doris. Mit der Hand glaub i.

Wie war Deine Zeit am Gymnasium?

Doris: Eine Lehrerin am Gymnasium hat mich nicht gmocht.

Woran hast Du gemerkt, dass Dich eine Lehrerin im Gymnasium nicht gemocht hat?

Doris: Weil sie drei Schülerinnen sehr bevorzug hat.

Hat die dich geschlagen?

Doris: Noi. Es hat aber auch an der Schule für die Buben Ohrfeigen geben.

Also wart ihr eine gemischte Schule?

Doris mit ihrem Vater, damals Soldat im Zweiten Weltkrieg und ihrer Mutter. Eine fröhliche schwäbische Familie - trotz alledem. Halt dei Gosch zu sagen gehörte in Grötzingen zum normalen schwäbischen Austausch.

Doris: Wir waren ein viertel Mädchen. Dreiviertel Jungen. Die hieß aber eigentlich „Oberschule für Jungen“.

Weil die Mädchen noch nicht so oft ins Gymnasium gegangen sind?

Doris: Wir waren die zweite Klasse, die wieder ins Gymnasium konnte. Während der Kriegszeit konnten wir von Grötzingen gar nicht ins Gymnasium gehen. Die sind in die Grundschul, Volksschul gegangen, was heute die Hauptschul ist. Bis zur achten Klasse. Im Krieg ging die nur bis zur siebten.

Wie wurden die Jungs von den Lehrern so tituliert.

Doris: Leimsieder, Grasdackel, Rindvieh. In der Grundschul, in der ersten Klass, haben wir immer Hitlers Geburtstag am 20. April gefeiert. Da haben wir das nationalsozialistische Lied „Die Fahne hoch. Die Reihen fest tiefgeschlossen. SA marschiert in unseren Reihen mit“ gesungen. SA war ja ne politisch gefürchtete Gruppe. Die konnten einen ja ans Messer liefere.

Hast Du die SA jemals gesehen?

Doris: Selten. In Stuttgart hab ich die mal vorbeimarschieren gsehe. In Grötzingen net. Das waren ja besondere Soldaten. Die waren schon anders als die anderen Soldaten. Mei Vater war ja auch Soldat. Aber normaler. SA war scho was anderes.

Du hattest gesagt, wärst Du in Grötzingen auf der Schule geblieben und im Konfirmandenunterricht, dann hätte Dich das gebrochen, seelisch sehr negativ beeinflusst. Warum?

Doris: Weil es in der Schule so streng und etwas willkürlich war und der Pfarrer in Grötzingen total willkürlich. Dass wenn man bei auswendigsagen stecken geblieben ist, musste man nachsitzen.

Wie ging das?

Doris: Für uns war das besonders schlimm, da wir im Krieg im Pfarrhaus gewohnt hän und den Pfarrer immer gsehen hän.

Was war an dem Pfarrer so schlimm?

Doris: Der war früher Feldwebel im Zweiten Weltkrieg und so war er halt auch zu uns. Wenn man aufsagen hat müsse Gedichte, hat er abrupt unterbroche. Dann hat er scharf gesagt: Jetzt du und jetzt du und jetzt du. Und wenn ma da net sofort weiter aufsagen konnt, hat mer nachsitze müssen.

Das hat Dir Angst gemacht? Konntest Du denn immer dann aufsagen?

Doris: I konnt fast immer. Aber einmal hätt i nachsitze müsse. Da sind mer aber grad umzogen nach Stuttgart. Da war dann elles anders.

Was war anders?

Doris: Da war der Pfarrer ein alter Pfarrer. Sehr human und gutwillig und in keiner Weise streng. Und am Mörike Gymnasium in Stuttgart wars nicht mehr streng. Keine Ausdrücke. Da wars eher so, dass wir die Lehrer dirigiert habe. Das war so 1951.

Wie habt Ihr die Lehrer dirigiert?

Doris: Indem wir zum Beispiel bei der Musiklehrerin alle Stühl umgschmissen ham beim Rausgehen. Oder beim anderen Musiklehrer ne Bank runtergfallen lassen haben mit großem Karacho, als er reinkommen is.

Wir wussten ja, dass er nicht reagieren kann. Das war im Mörike Gymnasium einfach insgesamt humaner. Und da ghört es dazu, dass die Kinder dann manchmal das Michele machen. Das war halt so. Es war völlig angstfrei und meine Noten wurden besser.

Und wie findest Du es heute?

Doris: Des goht auch net. Die mache ja alle was sie wolle. Und die Lehrer ducke sich weg, weil sonst die Eltern gleich da sind und die Schulaufsicht. Des ist auch net in Ordnung.

Danke Dir für das Gespräch!

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