Ich lass mein Handy jetzt öfters zu Hause wenn ich weggehe

Seit bald 20 Jahren bin ich im Internet. Mitgenommen habe ich dabei so manche Falle, Tücke, aber auch unzählige Vorteile.

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Wir werden auf Schritt und Tritt ausspioniert. Das habe ich satt.

Geärgert hatte ich mich, als ich vor zehn Jahren einmal in eine Abo-Falle tappte von einem Mannheimer Anbieter, der für das Zusammenstellen einer Autoroute 230 Euro wollte. Für mich waren diese Gebühren natürlich nur im Kleingedruckten überhaupt erkennbar. Dann fing ich mir auf meinem Smartphone einmal einen Dienst ein, da sollte ich für das Öffnen einer Webseite 4,99 Euro bezahlen. Natürlich weigerte sich die Deutsche Telekom, mir die 4,99 Euro zu erlassen. Ich solle mich mit dem Anbieter der Abzockseite in Verbindung setzen. Alternativ könne ich auch, was ich tat, mein Handy für kostenpflichtige Webseiten einfach generell sperren, so die Telekom. Das tat ich. Doch so einfach ist es nicht mit Microsoft, Facebook oder Google.

Als ein Mann, der von sich sagt, er ist durchaus ein Internet-Junkie, wundere ich mich doch immer wieder, wie viel im Netz derzeit passiert, ohne dass ich es richtig mitbekomme.

Denn vieles passiert versteckt, klammheimlich, fast so, wie es früher die Abzock-Seiten und Abofallen machten. Nur dass die Anbieter nicht mehr die kleinen Abzocker aus Mannheim oder Frankfurt sind, sondern dass es die ganz großen sind: Microsoft, Google und wie sie alle heißen.

Diese Unternehmen haben uns einst den wunderbaren Segen des Internets zumindest eröffnet. Ohne den Internet Explorer von Microsoft wäre es nicht so schnell gegangen. Und ohne die hervorragende Suche von Google, auch die große Unabhängigkeit des Anbieters, hätten wir das Internet nie so gut durchstöbern können, wie wir es heute tun.

Kein Licht ohne Schatten. Das wissen wir. Blöd nur, dass die Schatten mit der Zeit immer länger werden. Die Schatten des Internets, das immer mehr zu einem einzigen Spion über unser Leben wird.

Wie enorm kontrolliert wir mittlerweile sind, das zeigte mir kürzlich die Adress-Suche in Google. Rechts werden standardmäßig Adressen eingeblendet, wenn der Suchende den Namen der Einrichtung bereits kennt: Also den Namen eines Restaurants, einer Bar, eines Geschäfts oder einer Therme.

Geben wir beispielsweise das berühmte „Café Glockenspiel“ am Münchner Marienplatz ein. Eine Institution, die seit Jahrzehnten Einheimische wie Touristen anlockt. Google blendet da auch ganz brav ein: „Café Glockenspiel GmbH“.

Doch seit rund einem Jahr ist dem Google-Adress-und Informationskasten des Cafés der Punkt „Beliebte Zeiten“ neu. Ebenfalls neu ist eine erste Stellungnahme von Google, die da am Montag gegen 15.30 Uhr lautete: „Jetzt: Normalerweise nicht zu stark besucht“.

Für Millionen Restaurants, Geschäfte oder sonstige Einrichtungen blendet Google diese blauen Balkendiagramme rechts unten im Screenshot nach Wochentagen ein. Man sieht, an welchen Tagen zu welchen Stunden, die meisten oder wenigsten Besucher da sind. Möglich macht es das massenhafte Google-Auslesen von Smartphones, die mit Google Android-Betriebssystemen versehen sind. Diese Charts faszinieren, was alles möglich ist, machen aber gleichzeitig Angst. Angst, dass wir alle Bürgerrechte verlieren. Der Gesetzgeber ist gefragt. Aber auch wir selber müssen unser Verhalten überdenken.

Eine Zeitschiene in Balkendiagramm zeigt mir dabei in blau exakt, um wie viel Uhr in etwa mit vielen oder wenigen Besuchern im Glockenspiel-Café in München zu rechnen ist.

Geschickt: Ich kann sogar nach Wochentagen sortiert blättern. So erfahre ich also, dass im Glockenspiel montags zwischen 13 und 15 Uhr die meisten Besucher anwesend sind, nicht etwa abends.

Sonntags ist es nach Angaben von Google im Glockenspiel Café in München anders: Hier wird klar, dass das Café vor allem gerne zum Frühstücken aufgesucht wird. So gingen die meisten Besucher um 11, 12 und 13 Uhr in diese Münchner Institution.

Man fragt sich erstaunt: Woher weiß Google das? Übermittelt das Café freiwillig seine Besucherzahlen jetzt schon an Google?

Weitere Stichproben ergeben: Ob Poco Domaine in Stuttgart oder Obi in Leipzig, ob C&A in Hamburg oder Alsterhalle Hamburg. Für all diese Einrichtungen und Hunderttausende mehr kann ich tageweise in Google checken, wann die meisten Besucher in den 12.000 deutschen Gemeinden da sind.

Wie macht Google das, frage ich mich erneut. Dabei ist die Antwort sehr einfach: über sein Google Android Handy-Betriebssystem. Es dürfte weltweit längst auf gut zwei Milliarden Handys aufgespielt sein.

Alleine in Deutschland nutzen 70% aller Smartphone-Besitzer ein Handy, das direkt mit Google über Google Android-Betriebssystem verbunden ist. Ähnlich sind die Zahlen in ganz Europa. Die anderen 20% gehen auf Apples iOS-Handy-Betriebssystem. Weitere 10% auf Microsoft Windows-Handys.

Was fällt auf? Alle Konzerne sind direkt aus den USA. Was noch auffällt: Was Google mit unseren Läden und Besucherzahlen in Deutschland kann, kann der amerikanische Superkonzern natürlich auch weltweit, global, in allen 200 Ländern.

Was bedeutet dies? Dass Google mit Hochrechnungen sehr exakt sagen kann, ob nun bei C&A in der Mönckebergstraße gerade 20 Leute einkaufen oder 50. Google könnte wahrscheinlich ebenso recht exakt sagen, ob unter den 50 Personen, 30% Männer sind und 70% Frauen.

Grund: Wenn 70% aller Handybesitzer in Europa Google Android nutzen, braucht Google nur noch auf 100% hochrechnen. Da aber jeder Handynutzer eines Google Android-Handys zum Aktivieren des Google Play-Appstores ein Google-Konto in Googles E-Mail-Anbieter GMail aktivieren muss (warum lässt das die EU so eigentlich zu?), kann Google durchaus kombinieren und Daten zusammenfügen, die Rückschlüsse auf die Nutzer ermöglichen.

Das heißt: Wenn Google wollte, könnte der amerikanische Superkonzern schon heute wahrscheinlich seine blauen Besucherbalken nicht nur allgemein darstellen, sondern ganz konkret. Also mit Angaben, wie viel Personen um 13 Uhr montags im Schnitt im Café Glockenspiel sind und wie viele Besucher sich montags 21 Uhr voraussichtlich in der Alsterschwimmhalle in Hamburg aufhalten werden (mehr als um die Mittagszeit, erfahren wir in Google).

Man stelle sich vor: Das kann Google nicht nur für Deutschland, Europa machen, sondern auch für Russland, die Mongolei, Australien, Niger, Südafrika, Argentinien, Japan. Daten, die alle in den USA zusammenlaufen, und die alle dem geopolitischen Machtanspruch der US-Regierung eins zu eins in die Hände spielen.

Ähnlich dubios forscht uns mittlerweile Microsoft mit seinem unsäglichen Windows 10 aus und seiner Spracherkennungs-Tante Cortana. Microsoft verkauft das als große Hilfe. Doch wenn ich sehe, dass jede Tastenbewegung von mir Microsoft Windows 10 standardmäßig einfach aufzeichnet – selbst für den Fall, dass ich kein Dokument abspeichere und alles Geschriebene wieder lösche, ist doch Alarmstimmung angesagt.

Ist es aber bei Hunderten Millionen Nutzern nicht und auch Europas Politiker schlafen im Europaparlament in Straßburg den Schlaf der Gutsituierten, gesättigten Berufspolitiker.

Man ergibt sich seinem vermeintlich unausweichlichen Schicksal und übermittelt freiwillig alles und verhindert das auch nicht gesetzlich. Ist doch alles so komplex, diese ganze Materie, mag der eine oder die andere denken.

Ich stelle die Frage: Wollen wir akzeptieren, dass Google und Microsoft unsere Computer und Handys als Abhörwanzen missbrauchen – für ihre eigenen kommerziellen Angebote, aber auch die US-Regierung?

Zumindest ich habe für mich entschieden. Nein. Das will ich nicht. Ich werde meine Bürgerrechte soweit ich kann und so lange ich kann versuchen zu verteidigen.

Ein erster Schritt: Ich lasse jetzt öfters mal mein Handy einfach auf dem Sofa liegen. Ich gehe aus ohne Smartphone-Wanze, ohne dass all meine Schritte eins zu eins über US-Server auf den Meter und die Stunde genau getrackt werden, damit Google mir dann im Internet anzeigen kann, wie viele Personen noch in der Alsterschwimmhalle um 18 Uhr waren.

Was zum Teufel geht bitte Google an, ob ich gerade bei C&A einkaufe, in einem Sexshop mir ein Gleitgel kaufe oder um 17 Uhr in eine Therme gehe und dort um 20 Uhr diese wieder verlasse. Was bitte geht Google (oder Apple oder Microsoft) an, dass ich um 23.00 Uhr mit Person xy (die auch ihr Android-Handy bei sich hat) zu Bett gehe, um dann in sieben Stunden wieder aufzustehen (was Google dann ebenso mitkriegt durch die Bewegung des Handys)?

Genauso finde ich es ein Unding, wenn Microsoft jede Tastenbewegung auf meinem Computer von mir ausspioniert und ohne meine ausdrückliche Genehmigung abspeichert.

Ich frage mich: Die EU-Kommission macht für die heimische EU-Digital-Wirtschaft einen riesen Aufwasch, wenn es darum geht, zu regeln, ob eine Reise-Rücktrittsversicherung nun opt-out oder opt-in voreingestellt sein muss von den Reiseanbietern. Dabei hat sie 2012 sogar gesetzlich für die Tausenden Internet-Anbieter vorgeschrieben: Konsumenten müssen aktiv ein opt-in setzen und nicht erst etwas deaktivieren, was sie nicht wollen.

Warum wird dieser wichtige Schritt nicht auch gegen Google, Microsoft oder Facebook gegangen? Warum müssen hier die 500 Millionen EU-Verbraucher ständig ein Opt-Out aktivieren, wenn sie die amerikanische Dauerspionage nicht wollen.

Selbst wenn ich Google schon zigmal mitgeteilt habe, dass ich keine Verfolgung in YouTube oder auf Plattformen möchte, wird diese Abfrage von Google, sobald ich im Private-Modus bin, wieder abgefragt.

Ähnlich ist es bei der Internet-Suchmaschine von Microsoft: Ich habe zig Mal gesagt, ich will nicht, dass Bing meine Suchanfragen oder Browserverläufe einfach speichert.

Doch jedes Mal sehe ich wieder, alles wird wieder von Microsoft getrackt. Doch nicht nur das: Ich werde genötigt, dann auch noch aktiv Daten, die ich niemals gebeten habe, dass sie von Bing oder dem Microsoft-Internetexplorer in Windwos 10 mitgetrackt werden, auch wieder zu löschen.

Es ist skandalös in welchem Ausmaß die EU-Kommission die europäische IT- und Internetszene durch immer neue Verbote gängelt. Gleichzeitig belässt sie aber die US-Megakonzerne, die längst das komplette Internet vereinnahmt haben und mit Monopolen überzogen haben – und zwar global. Diese tun hierzulande was ihnen passt.

Die Hasskommentare auf Facebook sind doch nicht das wichtigste Problem lieber Dauer-Talkshow-Gast und Justizminister Heiko Maas von der SPD oder Herr EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (ebenfalls SPD) oder Herr EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus Luxemburg.

Das wichtigste Problem ist die Dauerspionage durch amerikanische Superkonzerne im Netz und auf unseren Handys, Tablets oder Wireless-Lan-Geräten wie den modernen TVs. Hinzu kommen die irrwitzig unterschiedlichen Rechte, welche die EU-Kommission zwischen Unternehmen, die in der EU ihre Zentrale haben oder in Silicon Valley, belässt.

Deshalb habe ich mich nun zum stillen zivilen Ungehorsam entschieden. Ich lasse mein Handy, wann immer ich kann und dran denke, zu Hause.

Das löst zwar nicht die mangelnde EU-Gesetzgebung in Bezug auf Opt-Outs und Opt-Ins, wie sie längst auch Google, Facebook oder Microsoft vorgeschrieben gehören.

Es ist aber im Kleinen Sand ins Getriebe, verbunden mit der Stillen Hoffnung, dass die EU endlich aufhört, mit zweierlei Maß die Digitalwirtschaft zu regulieren, beziehungsweise die US-Superkonzerne fast unreguliert machen lässt und mehr oder weniger tatenlos zuschaut, wie wir immer mehr Bürgerrechte verlieren. Bürgerrechte, für die wir Europäer Jahrhunderte mit Blut und Schweiß und unserem Leben gekämpft haben.

Wenn die französische Revolutionsparole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ (französisch: Liberté, Égalité, Fraternité) nicht in 20 Jahren endgültig zu einem Mickey Mouse-Spruch in Disney verkommen soll, muss die EU sich endlich aufraffen und handeln.

Nicht Google, YouTube, Facebook, Ebay, Microsoft oder Amazon sind als Gesetzgeber beauftragt, sondern immer noch der Staat.

Doch so lange die Staatsmänner und Staatsfrauen die IT-Szene nicht verstehen, wird Leviathan, der Staat, im Internet, auf den Smartphones und Computern, auf den Wireless-Lan-fähigen Fernsehen und sonstigen Geräten immer mehr Bürgerrechte unfreiwillig oder aus purer Dummheit und Faulheit aus der Hand geben. Dieser Trend muss aufgehalten werden.

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