Digitale Gesundheit: Kontaktlinsen für Diabetiker, Smart Pills für Medizin-Check

Beispiel: Die Entwicklung einer digitalen Kontaktlinse für Diabetiker, bekannt auch als "smart contact lens for diabetics". Doch das ist nur der Anfang: Ob Apps fürs Smartphone, welche einen unauffällig an die tägliche Medizin erinnern, oder ein kleines digitales Gerät, welches den Blutdruck ohne Armbinde misst: All diese neuen Geräte laufen unter dem anglikanischen Schlagwort "digital technology in healthcare". Neben einigen deutschen Anbietern sind vor allem US-Unternehmen hier aktiv und erfolgreich:

Der Vertrieb von Kontaktlinsen ist weltweit längst ein dickes Geschäfts für Hunderte Online-Shops. Hier Angebote des US-Shops walgreens.com.

Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, vollzieht sich im Gesundheitswesen in einigen Bereichen Revolutionäres: Sei es mit der Entwicklung hoch effizienter Medikamente ohne große Nebenwirkungen wie im Bereich von Hepatitis C (ursprünglich eine lebenslange chronische Leberentzündung; heute in 12 Wochen therapierbar) oder im Bereich von HIV (von einstmals bis zu 20 Tabletten am Tag heute nur noch 1 bis 2). Für weiteren Schub im Gesundheitswesen sorgt nun der Digitalbereich.

"Scanadu Scout" aus dem US-Silicon Valley Örtchen Moffett Field misst zum Beispiel digital vom Blutdruck über die Körpertemperatur einige Basisdaten. Das kleine weiße Gerät könnte künftig den klassischen umständlichen Blutdruck-Messer ablösen - jenes mechanische Armband, das man derzeit noch umständlich um das Handgelenk wickeln muss. Scanadu Scout hält man einfach nur noch an die Stirn. Ein Sensor übernimmt dann die Messarbeit.

In der Produktbeschreibung auf der Webseite schreibt der Anbieter Scanadu Scout: "A Scanner packend with sensors that enables anyone to capture important physiological data - in a snap". Die Messgenauigkeit des Blutdrucks gibt Scanadu mit 95% an. Nach Angaben des Hersteller, Walter de Brouwer, liege der Preis des Geräts bei 199 US-Dollar. Ob das Gerät derzeit allerdings wirklich bereits im kommerziellen Vertrieb erhältlich ist, ist nicht klar.

FDA Food and Drug Administration ist die Zulassungsstelle in den USA

Noch im Mai 2013 hieß es, die amerikanische Gesundheits-Aufsichtsbehörde, die FDA Food and Drug Administration, müsse ihr "go" geben. Immer wieder eingesammeltes Venture-Capital, also Risikokapital, helfen dem kleinen US-Unternehmen derzeit, den Produkt-Launch weltweit voranzutreiben. Dies schreibt sinngemäß der US-Blog All Things.

Der Vorteil des neuen digitalen Blutdruck-Messgerätes liege darin, schreibt Scanadu Scout in der Produktbeschreibung, dass es nicht wireless-Lan an das Internet angeschlossen ist. Dies ermöglicht eine datenschutzgerechtere Verarbeitung persönlicher Gesundheitsdaten.

Ergänzend bietet der Scanadu Scout die Möglichkeit, gemessenen Daten über eine Plattform zwischen dem Nutzer und dem behandelnden Doktor auszutauschen (was dann allerdings wieder die bekannten NSA-Stasi-Problemen mit sich bringen könnte).

Mit großer Erwartung sehen derzeit Ärzteschaft, Krankenkassen und vor allem auch Diabetiker der nächsten erhofften großen Revolution entgegen: Der von Google gemeinsam mit dem schweizerischen Gesundheitskonzern Novartis vereinbarten Entwicklung einer digitalen Linse, welche die Diabetiker-Werte misst, also die Blutzuckerwerte, auch bekannt als glucose levels.

Gelänge dieses, wäre das eine unglaubliche medizinische Revolution und würde ebenfalls das Leben der betroffenen Personen, der Diabetiker, erheblich vereinfachen. Das Prinzip würde darauf beruhen, dass ein dünnes künstliches digitales Fädchen in die Linse eingebaut würde und die gemessenen Daten dann dem Nutzer automatisch und regelmäßig geliefert würden. Das Revolutionäre läge auch darin, dass über die Tränenflüssigkeit und nicht mehr über das Blut der Blutzuckerwert gemessen würde.

Allerdings ist nicht Google selber der Ideengeber zur digitalen Diabetiker-Linse, sondern Norvatis. Das Unternehmen hat bereits einen Prototyp am Start und hofft innerhalb von fünf Jahren eine gewisse Marktreife seiner digitalen Linse für Diabetiker zu erreichen. Google dürfte neben dem nötigen finanziellen Kapital auch Digitaltechnik beisteuern.

Von Norvatis bis Merck wird digital für Patienten aufgerüstet

Doch steht Norvatis nicht alleine mit solchen neuen digitalen medizinischen Geräten. Beispielsweise sagte gegenüber der Wochenendausgabe der Financial Times (FT vom 19. Juli 2014, S. 5) Freda Lewis-Hall, die "Medical Officer" von Pfizer, dass auch Pfizer viele solcher digitalen Techniken im Gesundheitsbereich mittlerweile habe.

Ebenfalls ein Segen für die Menschheit dürfte der große Bereich des Big Data sein. Hier beruht das Prinzip darauf, dass immer mehr Informationen der Welt nicht nur digitalisiert vorhanden sind, sondern dass die Menschheit nun mit immer leistungsfähigeren Rechenzentren in der Lage ist, das gesammelte Wissen in Sekundenschnelle auszuwerten und nutzbar zu machen. Für den Gesundheitsbereich bedeutet dieses:

Die über digitale Geräte oder Apps gemessenen Informationen werden kombiniert und sollen einem Arzt wesentlich schneller als bislang es ermöglichen, eine Diagnose für eine mögliche oder tatsächliche Krankheit zu liefern. Denn nach wie vor gilt: Viele Ärzte sehen zwar Symptome einer Krankheit, sind aber nicht in der Lage diese richtig zu deuten. Doch genau das kann dann ein enormer Nachteil für die Patienten sein. Beispiel HIV: Ein Zeichen einer HIV-Infektion sind rote Flecken auf der Haut, welche in einem Fieberschub nach den ersten Wochen der Infektion auftreten können.

Viele Ärzte wissen zwar, dass es in sehr seltenen Fällen einen solchen Fieberschub gibt, verstehen aber nicht, das richtig zu diagnostizieren. Würden Ärzte dieses tun, könnten umgehend und schneller Anti-HIV-Maßnahmen medikamentös in die Wege geleitet werden. Doch viele Ärzte sehen zwar die Fieberflecken, agieren aber nicht. Dabei gilt: Je länger das HIV-Virus im Körper ist, desto nachteiliger für die Patienten. Eine schnelle digitale Diagnose wäre enorm hilfreich. Big Data wäre hier der Schlüssel zur Behebung von täglichen möglicherweise zehntausenden ärztlichen Fehldiagnosen.

Big Data ist aber auch als Hilfsmittel der Früh-Diagnostik von Krankheiten wie Krebs, einem möglicherweise anstehenden Herzinfarkt oder Schlaganfall hilfreich. Das Unwissen und möglicherweise auch immer mal wieder auftretender Nachlässigkeit von weltweit Millionen praktizierender Ärzte führt nicht selten zu lebenslangen tragischen und dramatischen Folgen für die betroffenen Patienten. Man kann sie deshalb durchaus auch als Opfer bezeichnen.

Big Data hilft im Gesundheitsbereich auch den Patienten und Ärzten

Dabei ist klar: Ein Arzt ist auch nur ein Mensch. Er kann nicht alles richtig deuten. Doch Big Data könnte einiges möglicherweise besser - vor allem emotionsloser. Denn viele Ärzte scheuen sich beispielsweise davor, lieb gewonnenen Patienten möglicherweise tragische und dramatische Krankheiten mitzuteilen. Deshalb sitzen viele Ärzte ein Problem lieber aus nach dem Motto: Wird schon nicht so schlimm kommen, wie es kommen könnte. Allerdings kommt es oftmals noch viel schlimmer, als befürchtet.

Big Data wird zu einem neuen Selbstverständnis der Patienten führen. So sagen zwar nach wie vor gerne etwas überheblich einige Ärzte, wonach jeder, der glaube, er oder sie könne mittels von von Apps, Google, Bing oder Yahoo eine Selbstdiagnose bewerkstelligen, dürfe die Arztpraxis "gerne wieder verlassen". Dennoch gilt auch, was die Financial Times schreibt: nämlich dass der Verbraucher durch Big Data und neue Technologien selbst wesentlich mehr Macht in die Hände bekommt, mögliche Krankheiten zu erkennen und damit möglichen Fehldiagnosen von Ärzten frühzeitig entgegenzusteuern.

So zitiert die Financial Times Bruce Hellmann vom amerikanischen Technologie-Anbieter uMotif in Bezug auf die neuen digitalen Technologien und Big Data im Gesundheitsbereich: "This could lead to a significant cultura shift in attitudes to healthcare. The proliferation of apps und so-called 'wearables' will hand power to patients in the same way that technology has empowered consumers in others sectors".

Doch auch den Gesundheitssystemen insgesamt dürften die neuen digitalen Möglichkeiten der Krankheits-Diagnostik sehr entgegenkommen. So sagte Shahram Ebodollahi, der "Chief Healthcare Science Officer" von IBM ebenfalls gegenüber der Financial Times, wonach die zunehmende Erdbevölkerung und die Alterung der Gesellschaften weltweit die Gesundheitssysteme noch mehr in die Defensive bringe. Hier könne nun Big Data und digitale Diagnostik sehr behilflich sein:

"Your bank manager no longer controls your banking; you do it yourself. That will become true in healthcare.... Technology will allow people to take more responsibility for managing their own health.... healthcare systems around the world are creaking under the weight of ageing population and providers are increasingly produce demonstrable improvements in health."

Proteus Digital Health wird in Großbritannien im Big Data-Bereich getestet

In Großbritannien wird derzeit ein großes Big Data System aus den USA im Gesundheitsbereich getestet und zwar vom National Health Care Service. Der Name des amerikanischen Start-Up-Systems: Proteus Digital Health. Erst kürzlich habe die Firma, schreibt die FT, 300 Millionen Dollar Risikokapital für die weitere Entwicklung der Silicon Valley Firma und des Systems einsammeln können.

Proteus Digital Health beruht darauf, dass man eine "Smart Pill", also eine digitale Pille, schluckt und diese dann Daten im Körper auswertet und die Erkenntnisse an eine Smartphone-App liefert. Die Smart Pill misst zum Beispiel, ob der Patient auch wirklich seine Medikamente nimmt und ob diese wirken. Einerseits können solche Systeme Milliarden Euro für nötige Arztbesuche einsparen, auf der anderen Seite besteht das bekannte NSA-Stasi-Problem: Wenn persönlichste Gesundheitsdaten über eine App an einen Arzt geschickt werden, so ist das ein offenes System: Faktisch kann sich jeder Geheimdienst dieser Welt, auch sonstige professionelle Hacker, in solche Systeme einhacken und die Daten auslesen. Hinzu kommt, dass einige App-Anbieter selber sogar offensiv anbieten, Patientendaten an Interessenten zu verkaufen.

Beispiel: Die aus Israel stammende Gesundheits-App Medisafe. Eigentlich ist es ihr Job, den Verbraucher täglich über das Handy an die Einnahme von Medizin zu erinnern. Doch was vielen nicht klar ist: Gleichzeitig spioniert Medisafe das persönliche Telefonbuch aus, gleicht ab, wer von den Kontakten die App noch installiert hat (also Medikamenten nimmt) und scheut sich auch nicht, die Patientendaten weiterzuverkaufen. "Ich wusste plötzlich als Vorgesetzter in einem Unternehmen, dass mein Mitarbeiter xy wohl täglich eine Medizin einnimmt", sagt ein Manager gegenüber Netz-Trends.de. Das sei "letztlich ein skandalöser Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen".

Auf der anderen Seite können eben smart pills, also digitale Pillen, dem Patienten eine große Erleichterung bieten. So müssen viele Patienten wöchentlich oder alle paar Monate zum Arzt - um genau das zu prüfen: Die Medikamenteneinnahme und die Wirkung. Oft wird dafür der Blutdruck gemessen oder Blut abgenommen. Noch ist nicht klar, ob eine digitale Pille hier ebenfalls hilfreich sein könnte, aber falls - es würde pro Patient jährlich wohl leicht zwischen 1000 bis 2000 Euro sparen helfen.

IBM-App misst die Stimmungslage

Doch ob eine IBM-App, welche die Stimmlage misst, wirklich hilft, wie der Hersteller verspricht, mögliche psychische Probleme zu analysieren - das ist müßig sich darüber Gedanken zu machen. Das gilt auch für eine App des Harvard and Massachusetts Institute of Technology: Sie misst die Hautfarbe und schaut, ob es eine signifikante Änderung gibt im Laufe der Zeit, was auf eine mögliche Herzkrankheit deuten könne.

In die digitale Technik investiert nach Angaben der Financial Times auch der Pharmakonzern Merck. So habe er beispielsweise in die Firma "electro Core" investiert, die sich zum Ziel gemacht hat, digital einen möglichen Migräne-Anfall rechtzeitig dem Betroffenen mitzuteilen. Das Prinzip hier: digitale Impulse messen mögliche Änderungen im Nervensystem. Schon heute gebe es dazu, schreibt die FT, Testläufe in diversen Krankenhaus-Studien.

Doch zeichnet die Financial Times auch Horrorszenarien an die Wand: So könne es sein, dass Krankenversicherungen oder Arbeitgeber ihre Versicherten oder Angestellten zwingen könnten, digital den Gesundheitszustand messen zu lassen, um ein Optimum an möglichen medizinischen Behandlungen zwangsweise zu gewährleisten. Das hieße:

Würde Krankenversicherung xy mitbekommen, dass eine Patientin vergisst, ihre Tabletten regelmäßig und pünktlich einzunehmen, könnte das für sie negative Folgen haben. Was in den USA für möglich gehalten wird, dem dürften in der Europäischen Union, EU, wesentlich härtere Datenschutz-Gesetzte (noch) entgegenstehen.

So beschwichtigt denn auch IBM Gesundheitsmanager Ebadollahi, wonach eine solche Systematik nicht zum Nachteil der Betroffenen laufen dürfe, sondern man wolle ein größeres Selbst-Management im Gesundheitswesen den Menschen an die Hand geben. Das helfe ihnen, möglichst lange gesund zu bleiben. Auch erhielten Kranke bessere Chancen, ihre Leiden zu managen.

Bekannt ist, dass sowohl Google als auch Apple oder Samsung dabei sind, die Smartphones immer stärker zu persönlichen Gesundheits-Checkern zu machen, sogenannten "personal health hubs".

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