Bewertung: 'About you'-Bekleidungs-Portal von Benjamin Otto und Tarek Müller

Warum bringt Deutschlands größte Wirtschafts-Tageszeitung, das Handelsblatt des Holtzbrinck-Konzerns aus Düsseldorf, die Neuigkeit, dass es nun aboutyou gibt, so prominent auf Seite Eins und dann weiterführend groß im Innenteil? Zudem: Auch dpa und Süddeutsche Zeitung (SZ) widmeten sich About you. Die wenig schmeichelhafte Aussage von Kristina Läsker lautet in der SZ allerdings: "Benjamin Otto steht in einer Fabrikhalle in Hamburg und schaut auf die Journalisten runter, die auf Schemeln aus Pappe vor ihm hocken". Ups. Klingt im Umgang mit Journalisten nicht gut, kann aber als klassischer Fehler eines jungen Start-Ups gewertet werden.

Foto: aboutyou.de
Neue Bekleidungs-Plattform im Internet von der Otto Group: About you

Zugegeben: Als wir von netz-trends.de das Handelsblatt in die Hand nahmen und dort seitenweise über das neuste Digital-Projekt der Otto Group, "About you" beziehungsweise das Shoppingportal aboutyou.de von der ABOUT YOU GmbH lasen, dachten wir:

Dazu passt, dass man auf aboutyou.de in der Rubrik Jobs frei auf der Webseite erklärt, wonach man derzeit "zur Unterstützung unseres Marketing Teams... ab sofort einen PR Manager (m/w)" suche. Ganz so, als wäre Unternehmenskommunikation und Pressearbeit primär werbliche Arbeit. Gute Presseleute dürfte man so eher nicht bekommen.

Dennoch: Man darf wohl zu der Erkenntnis gelangen, wonach die große Medienresonanz zu About you vor allem einem Umstand derzeit zu verdanken ist: Hinter aboutyou.de steht mit Benjamin Otto der Sohn von Michael Otto, dem allmächtigen Aufsichtsratschef der gleichnamigen Otto Group. Dass aber im Impressum der About You GmbH nicht Benjamin Otto steht, sondern lediglich die drei Namen Sebastian Betz, Tarek Müller und Hannes Wiese, deutet derzeit nicht darauf hin, dass Benjamin Otto auch betriebswirtschaftliche Verantwortung in der ersten Reihe übernimmt.

Große Vorschusslorbeeren von Deutschlands größter Wirtschafts-Tageszeitung, dem Handelsblatt, für aboutyou, dem neuen Shoppingportale für Mode, Kleider und Mode-Apps.Foto: cc

Strategisch könnte es bedeuten, dass man den Otto-Spross, sollte aboutyou doch scheitern und nicht in die Gewinnzone kommen, schützen möchte und ihm nicht den möglichen Einstieg in die Otto Group verbauen möchte. Doch ob das Konzept von About you so innovativ ist, wie die Gründer tun, möchten wir versuchen herauszufinden und geben eine Bewertung zu About you ab.

Seltsames rechtliches Konstrukt: Von Collins zu About you

Zunächst fällt uns das etwas eigenwillige juristische Konstrukt auf: Während im Impressum von aboutyou.de eben die About You GmbH steht, lässt sich kaum ein Hinweis darauf finden, dass irgendwie auch noch eine neu gegründete Collins GmbH & Co. KG mitmischt. Erst hier stoßen wir auf den Namen Otto. Denn hier sind jetzt als Geschäftsführer eingetragen: Benjamin Otto, Tarek Müller. Auf der Collins GmbH & Co. KG finden wir wiederum eine weitere neue Firma. So steht dort, wonach es noch eine Collins Verwaltungs GmbH gebe, in welcher wiederum Benjamin Otto und Tarek Müller Geschäftsführer seien.

About you ist voll des Lobes über About you. So heißt es in der Eigenbeschreibung, wonach man mit dem "Fashion-Start-up der Otto Group" ein neues Handelsmodell einführen wolle, ein "Open Commerce"-Projekt. Gestartet werde es von Benjamin Otto (38), welcher als CEO fungiere (warum steht er dann nicht auch als solches im Impressum der About You GmbH?) und Tarek Müller (25). Dabei biete man nun mit aboutyou "das erste offene Geschäftsmodell am deutschen E-Commerce-Markt".

Hmm - klingt groß, irgendwie auch zu groß und irgendwie zu sehr nach PR-Sprache. Aber ok, vielleicht verstehen wir die Modewelt einfach zu wenig. Jedenfalls heißt es weiter in der About you-Eigenbeschreibung: "In Kooperation mit Kreativen, Entwicklern, Markenanbietern und Händlern entstehen auf Basis einer neuen Infrastruktur Shops mit integrierten Fashion-Applikationen für die digitale Generation. Erste Shop-Marken von Collins sind ABOUT YOU und EDITED."

Nach wie vor tun wir uns schwer, das zu verstehen, was denn jetzt about you so anders mache, als Mitbewerber? Eine Unterhose ist eine Unterhose ist eine Unterhose - meinen zumindest wir. Ok, es gibt Abstufungen in der Qualität, der Form, der Farbe, des Preises. Aber was bitteschön ist denn jetzt so groß und innovativ an about you, dass sich die Otto Group dazu verleiten lässt, hier von einer angeblich so großen Innovation zu sprechen?

Doch lassen wir Benjamin Otto, den fotogenen Sohn von Michael Otto zu Wort kommen. Er sagt, wonach "E-Commerce erst am Anfang einer neuen digitalen Epoche" stehe. Otto ist Geldgeber, Unternehmer und CEO von Collins, jenem Unternehmen der Otto Group, das hinter aboutyou steht.

"Inspirierend wie die digitale Welt"?

Weiter sagt Benjamin Otto: "Unser Ziel ist es, Shopping für die junge Generation so individuell und inspirierend zu gestalten, wie es ihre digitale Welt längst ist." Deshalb, sagt Otto etwas vollmundig, habe man "das erste Open-Commerce-Geschäftsmodell am deutschen Markt" etabliert und deshalb habe die Otto Group "einen dreistelligen Millionenbetrag" investiert.

Des Weiteren lesen wir, wonach Collins angeblich "auf die Demokratisierung des E-Commerce" setze und zwar "indem es sich für kreative Köpfe im Markt wie Content-Lieferanten, Developer, Markenanbieter und Händler radikal" öffne. Dabei würden "auf Basis einer neu entwickelten Technologie- und Business-Plattform Dritte neue Zugänge zu Mode in Form von Content-, Social Media- und Mobile-Applikationen entwickeln"

Auch hier stocken wir: Wir verstehen immer noch nicht, was denn nun gemeint ist? Inwiefern About You im Modebereich, welcher ja sowieso in großen Teilen zwischen Giganten wie Amazon, Ebay, Otto oder Zalando aufgeteilt ist, nun gleich den ganzen E-Commerce-Markt angeblich demokratisiere?

Es ist doch etwas dünn, wenn der große Demokratisierungsansatz vor allem darin liegen würde, wenn nun jeder Modedesigner Zugang zu einem Online-Shop hätte. Doch auch bis zu diesem Punkt verstehen wir nicht: Ist es das, was About anbietet?
Auch die Erklärung von Co-Gründer Tarek Müller ist für uns nicht so richtig erhellend. So sagt er: "Die besten Ideen entstehen auf Dauer nicht in einem Unternehmen allein, sondern oft durch einzelne kreative Köpfe, mit denen wir eine neue Dimension für den Online-Handel erschließen können."

50.000 Artikel und ein App-Portfolio

Dabei sei, heißt es weiter, "entlang dieses Grundgedankens... die Shopping-Marke ABOUT YOU" entstanden. Dabei fänden unter "aboutyou.de... junge Frauen und Männer zwischen 20 und 40 Jahren einen couragierten Online-Shop", welcher "das eigene Fashion-Sortiment von rund 50.000 Artikeln durch ein App-Portfolio mit Ideen von externen Partnern" erweitere. Dabei hätten "bereits zum Start des Shops, noch vor der offiziellen Consumer-Kommunikation im Herbst 2014... Kreative, Entwickler und Händler eine bunte Vielfalt an App-Konzepten realisiert".

Bis jetzt sehen wir immer noch vor allem viele bunte Seifenblasen steigen, ohne dass wir, lieber Benjamin Otto, so richtig verstehen können, was denn nun so innovativ ist?

Also hangeln wir uns weiter an jenen Fakten, die wir nachvollziehen können: About you ist jedenfalls eines der großen derzeitigen Projekte des größten deutschen Versandhändlers, der Otto Group. Zu dem in Hamburg Bramfeld ansässigen Konzern, nach dem Zweiten Weltkrieg von Werner Otto gegründet, gehören neben dem bekannten Otto Versand, das Logistik-Unternehmen Hermes oder die europaweit sehr erfolgreichen ECE Shoppingcenter. Dabei beschäftigt die Otto Group weltweit 54.000 Mitarbeiter.

Seo und aboutyou.de

Da kein Internet-Unternehmen profitabel existieren kann, wenn es nicht auch in den wesentlichen Internetsuchmaschinen wie Google und Bing gut und prominent gefunden wird, macht netz-trends.de zunächst einmal einen eCommerce-Präsenz-Check im Netz. Dabei stellen wir fest: Gibt man in der Internetsuchmaschine bing.com "About you" ein, gelangt man auf Webportale, die überhaupt nichts mit dem neuen Otto-Portal zu tun haben: So finden wir einen Treffer auf das Google-Videoportal "YouTube", dann auf das Portal "you.de" (Leitmesse für Jugendkultur) oder auf den Übersetzungsdienst dict.cc, in dem in der Subzeile das Wörtchen "you" vorkommt ("Übersetzung für you im Englisch-Deutsch-Wörterbuch dict.cc). Auf Seite Eins in bing.com finden wir kein Webportal mit dem Namen "About you". Das deutet vor allem auf zwei Dinge hin:

Die Otto-Tochter Collins glaubt zumindest in der Anfangsphase auf größeres allumfassendes Seo verzichten zu können. Außerdem zeigt es, dass man bei Otto für "About you" im Onlinemarketing derzeit vor allem auf Google setzt (klar, der Suchmaschinen-Monopolist hat einen Marktanteil von rund 90% in Deutschland). Denn dort taucht nach der Keyword-Suche zu "About you" gleich an erster Stelle ein Treffer auf, eine bezahlte Onlineanzeige und zwar in Google Adwords: "aboutyou.de - ABOUT YOU - der neue Shop‎. Dein neuer Style - ABOUT YOU Kostenloser Versand & tolle Apps!"

Unterhalb dieser bezahlten Google-Anzeige erscheint dann als erster redaktioneller Treffer "aboutyou.lehrer-online.de", dann folgt das Google-Videoportal youtube.com mit einem Hinweis auf ein Video, in dem das Keyword "About You" vorkommt ("Directed, Edited, Cinematography by Jeff VASH inspired by XXYYXX - About You..."). Darauf finden wir wiederum die österreichische Variante des bereits gesehenen Lehrerportals mit dem Hauptlink "lehrer.at/aboutyou" sowie das Übersetzungstool dict.cc. Das zuletzt genannte Portal bietet schlicht eine Übersetzung von "About You" ins Deutsche an.

Immerhin: Bereits der fünfte redaktionelle Search-Treffer ist bei Google das gesuchte neue Otto-Portal, nämlich aboutyou.de. Nach diesem Treffer, der das wiederspiegelt, was wir gesucht hatten, kommt eine Webseite, welche Songtexte offeriert. Auch hier ist der Such-Algorithmus von Google recht schnell in groben Zügen zu verstehen:

Denn dass songtexte.com auf Seite Eins zum gesuchten Keyword "About you" auftaucht, liegt schlicht daran, dass Google einen Verweis gefunden hat auf einen Song, in welchem das Keyword "About you" verwendet wird ("Songtext von Norah Jones - Thinking About You Lyrics"). Gefährlich nahe an der Otto-Seite "About you" ist der amerikanische Dauer-Konkurrent, der Onlinehändler amazon. Google spielt auch beim gesuchten Keyword "About you" amazon bereits auf Seite Eins in den redaktionellen Search-Treffern ein, da Amazon ein "Mad about you - erotische Novelle eBook" anbietet und zwar von der Autorin Katelyn Faith.

Auch wenn die visibility von aboutyou in Google einigermaßen akzeptabel ist (aber noch weit davon entfernt ist, gut zu sein), so verwundert doch, dass zum Beispiel eine SEM-Kampagne zum Zeitpunkt unseres Checks (Mittwoch 7. Mai) auf bing nicht gefahren wurde. So etwas geht eigentlich heute nicht mehr, da die conversions auf bing im großen und ganzen nicht schlechter sind als auf google und bing obendrein etwas billiger ist.

Bing oder Google - About you ist ein schwieriges Keyword

Eines ist klar, schaut man sich das Portal "about you" an: Überall springt einen das Schlüsselwort "about" an, welches Bestandteil des Markennamens von aboutyou ist. Dabei wissen wir allerdings nicht, ob "aboutyou" tatsächlich auch vom Markenamt als eingetragene Marke akzeptiert würde. Wir nehmen mal an, dass das eher nicht der Fall sein dürfte. Dennoch finden wir es ganz schön, dass das Wort "about" sich wie ein roter Faden auf dem Portal durchzieht und uns wirklich das Gefühl vermittelt, schon beim ersten Besuch irgendwie dazu zu gehören.

So lesen wir gleich auf der Startseite "about nautik", "about looks", "about you", "about now", "about open", "about blue", "about angels", "about glam", "about queen" sowie "ABOUT APPS" oder "YOU & IDOL- Checke die Looks Deiner Stars". Selbst "ALLROUNDER" finden wir auf aboutyou mit Tipps zu "Looks für Büro und Clubs".

Ebenfalls findet netz-trends.de auf aboutyou das unvermeidliche "Safer Shops"-Gütesiegel (gähn) sowie weitere Hinweise, wonach man auf aboutyou "Schnelle Lieferzeiten", garantierte, "100 Tage Rückgaberecht", "Käuferschutz", "Sichere Zahlung mit SSL Verschlüsselung" sowie "Datenschutz".

Zudem lesen wir auf aboutyou, wonach Versandpartner für die Bekleidungs- und Modeplattform die Otto-Tochter Hermes sei, aber auch DHL. Die Online-Payment-Systeme sind etwas eingeschränkt und bewegen sich an dem, was man kennt - vor allem sind es Unternehmen aus den USA: MasterCard, Visa, PayPal. Etwas innovativ und noch nicht weit verbreitet, auch nicht sehr bekannt, ist zudem das angebotene Bezahlsystem "Kauf auf Rechnung. Rate Pay".

Wir von netz-trends.de glauben nicht, dass ein Modeportal, ein Bekleidungsportal, besonders innovativ im Konzept sein muss, um Erfolg zu haben. Wir sind aber davon überzeugt, dass es einen hohen Wiedererkennungswert haben muss und hier kommen wir zu dem Urteil: Den hat aboutyou.

Fakt ist: Quelle ist untergegangen, Otto steht noch gut da. Doch dass das nicht ausreicht, um gegen Amazon oder den chinesischen Konkurrenten Alibaba, der jetzt in den USA an die Börse möchte, langfristig bestehen zu können, darüber dürften sich auch bei Otto letztlich alle einig sein.

Otto, Amazon, Zalando, About you...

Entsprechend wichtig ist es für Otto neue digitale Vertriebswege und Marken zu finden, die auch jenseits des direkten Bezugs zur Marke "Otto" im World Wide Web bestehen können. "About You", das Shoppingportal für Bekleidung, könnte ein solcher weiterer Vertriebsweg, welcher sich auch unternehmerisch möglicherweise trägt, werden. Dabei dürfte wohl der unmittelbarste Konkurrent zu "About You" die Plattform Zalando sein. "Doch Zalando gilt als hoch defizitär. Die Anlaufkosten sollen sich schon jetzt auf über 1 Milliarde Euro belaufen", sagt ein eCommerce-Fachmann zu Netz-Trends.

Im Jahr 2013 erzielte Otto rund 60% des gesamten Einzelhandelsumsatzes - rund 10 Milliarden Euro - primär mit seiner Online-Shopping-Plattform otto.de. Doch schon heute ist das amerikanische Portal amazon in Deutschland knapp größer als otto.de. Auch das von einem schwedischen Investor stark geförderte deutsche Internet-Shoppingportal Zalando wächst rasant. So habe der Umsatz im Jahr 2013 hier bei 1,8 Milliarden Euro gelegen, was ein Plus von 50% sei, schreibt das Handelsblatt.

Dass es amerikanische Portale oft viel einfacher haben, weltweit sich Marktanteile zu erobern und zu wachsen, liegt im Falle von amazon an der sehr starken Seo-Präsenz von amazon sowie an einem äußerst aggressiven Online-Marketing mit Google Adwords und Bing Ads: Ob Gleitgel oder Babywäsche, Bücher oder Haarspangen, Bose-Kopfhörer oder Klobrillen - egal nach welchem Keyword Verbraucher im Internet suchen, fast immer wird amazon vor allem in der US-Suchmaschine Google bevorzugt gerankt.

Nun sagt Google: Guter Content sei Trumpf, weshalb guter Content weiter vorne gerankt werde. Auch sagt Google: Je mehr Verankerung in der Social Media Szene - wie Facebook, Twitter oder YouTube - desto höher werde die Relevanz eines Portals eingeschätzt. Diese Social-Media-Kriterien gelten zumindest als Top-10 unter rund 200 Kriterien. Weitere sind natürlich Backlinks, die Nennung auf guten Nachrichtenportalen usw.

Doch ist es ein Grundfehler im Google-Algorithmus, dass vor allem Social-Media-Relevanz in einer Radikalität von Google hoch gerankt wird und dass dabei nationale Unterschiede kaum beachtet werden. Denn natürlich hat Amazon mehr Facebook-Likes als Otto.

Das liegt aber nicht primär an der höheren Qualität des in Kanada gegründeten Shoppingportals amazon, sondern einfach daran, dass es für anglikanische Portale um Längen einfacher ist, im Social-Media-Bereich Pluspunkte zu sammeln, als für deutschsprachige.

Anglikanische Portale wachsen schneller, deutsche haben es schwieriger

So ist es beispielsweise für einen englischsprachigen Content - einen journalistischen Artikel oder ein eCommerce-Angebot - nicht ungewöhnlich, innerhalb weniger Stunden einige hundert Facebook-Likes oder Tweets auf Twitter, beziehungsweise Google+ Empfehlungen zu erhalten, für deutschsprachige Angebote wäre das aber sehr wohl ungewöhnlich. Allenfalls deutsche Superstars vor allem aus dem Fußball schaffen es, in einer Stunde über 20.000 Facebook-Likes auf ein Thema zu lenken.

Die Bemühungen der Otto Group, das traditionelle Geschäft mit Papier-Katalogen ins Internet zu verlagern, lässt sich am ehestens mit den Bemühungen der Axel Springer AG vergleichen. Dieser Großverlag setzte ebenfalls über Jahrzehnte auf Papier, auf Zeitungspapier und konnte nun am Mittwoch stolz auf Seite Eins der Bundesausgabe der Bild-Zeitung vermeldet, wonach das Digitalgeschäft den Gewinn von Axel Springer (Bild-Zeitung, Die Welt, BZ etc.) antreibe.

So schreibt Europas größtes Boulevardblatt: "Ein starkes Geschäft im Internet hält Axel Springer auf Kurs. Im 1. Quartal 2014 stieg der Umsatz um 4,4% auf 692,3 Millionen Euro. Der Gewinn stieg auf 118,4 Millionen Euro (+13,6%). " Dabei habe erstmals Axel Springer "mehr als die Hälfte bei Umsatz und Gewinn im digitalen Geschäft" erzielt.

Auch wenn Otto im Digitalgeschäft zumindest strukturell im Vergleich zum einstigen Traditionsgeschäft ähnlich erfolgreich wie Axel Springer agiert, so kann gesagt werden: Die Otto Group ist damit alles andere als zukunftssicher. Denn im Vergleich mit den weltweiten Wachstumspotentialen von amazon (anglikanisch) oder alibaba (chinesisch), ist Otto auf den relativ begrenzten deutschsprachigen Raum angewiesen. Möglicherweise versucht die Otto Group deshalb mit einer neuen Marke, aboutyou, nun auch in anglikanischen Ländern noch stärker Fuß zu fassen. Das könnte Sinn machen.

Mit der Betonung, dass es anglikanischen Portalen leichter ist, weltweit zu wachsen, sagen wir nicht, dass es deutschen Unternehmen nicht möglich wäre, weltweit im Internet erfolgreich zu agieren. Wir sagen aber, dass es anglikanischen Portalen um ein vielfaches leichter fällt, besonders wenn sie aus den USA kommen. Das liegt auch daran, dass die westlichen Massenmedien besonders hörig gegenüber allen Digital-Nachrichten aus den USA reagieren und diese durch teils unverhältnismäßig umfangreiche Berichterstattung dann auch hierzulande pushen. Insofern ist die jetzige mediale Aufmerksamkeit für aboutyou in deutschen Medien eher eine Ausnahmeerscheinung, die dem Portal aber sicherlich helfen wird - und damit auch der deutschen Internet-Szene.

Denn Fakt ist auch: Während amazon auf über eine Milliarde Menschen zurückgreifen kann, die originär als Muttersprache Englisch haben und der Konkurrent alibaba auf über eine Milliarde chinesisch sprechende Menschen zugreifen kann, sieht sich Otto lediglich rund 130 Millionen deutschsprachigen Muttersprachlerin gegenüber. Ein Otto-Konzern wird niemals in anglikanischen Ländern diese mediale Aufmerksamkeit erzielen können, wie ein amerikanisches und damit den medialen Raketenschub auch nicht in dieser Dimension erreichen können. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf Einkaufsmacht, Vertriebsmacht, Wachstumspotentiale und die Bereitschaft von Banken und Investoren Geld für weiteres Wachstum zu geben.

Otto will bis 2015 rund 300 Millionen Euro in digitale Projekte investieren - doch reicht das aus?

Nun sagt Otto, man wolle bis 2015 rund 300 Millionen Euro in digitale Projekte investieren. Das, was für deutsche Verhältnisse im Internet nach sehr viel Geld klingt, ist im internationalen Vergleich im Digital- und Internetgeschäft eher bescheiden. Hier investiert mal kurz Facebook 19 Milliarden Dollar in einen Instantmessanger wie Whatsapp, oder Google übernimmt für 12 Milliarden Dollar Motorola, um den Handyhersteller kurze Zeit darauf für deutlich weniger an den chinesischen Unterhaltungs-Elektronikkonzern Lenovo zu veräußern. Als derzeit größtes deutsches Internetprojekt nannte kürzlich der amerikanische Finanzdienst Bloomberg das Leipziger Internetunternehmen Unister.

So schrieb Bloomberg, wonach Deutschlands Marktführer im Onlinehandel mit Pauschalreisen und Flugtickets bei über einer Millionen Kunden angeblich für 1,5 Milliarden Euro zum Verkauf stehe. Zwar dementierte das Unternehmen diese Gerüchte und relativierte, man suche lediglich auch größere Projektpartner, doch immerhin zeigen solche auch international beachteten Digital-Transaktionen, in welcher Größenordnung gerade Marktführer auf der Uhr stehen.

Innerhalb von fünf Jahren wolle "About you" profitabel werden, schreibt das Handelsblatt unter Bezugnahme auf Aussagen von Benjamin Otto. Fünf Jahre? Auch wenn das Handelsblatt hier hurtig schreibt, das sei ein typischer Zeithorizont, in welchem junge Internetunternehmen profitabel würden, so ist dazu zu sagen: Das stimmt so nicht ganz. Fünf Jahre sind eine kleine Ewigkeit im Internet und es gibt unzählige Beispiele von auch großen Webseiten die beileibe schneller profitabel waren, als erst nach fünf Jahren.

In fünf Jahren profitabel?

Insofern glauben wir, dass, sollte das mit großflächigen Fotos arbeitende neue Kleider-Shop-Portal About you Erfolg haben, die Profitabilität schon vor Erreichung von fünf Jahren möglich ist. Allerdings wird dieses nicht ohne deutlichen Markenaufbau - sprich Onlinemarketing ergänzt durch klassisches Marketing wie TV oder Print-Anzeigen - gelingen. Sollte sich der wirtschaftliche Erfolg nicht einstellen, dürften in der Otto Group schon vor Ende des Ablaufs der 5-Jahres-Frist die Alarmglocken schrillen.

About you beschäftigt derzeit rund 140 Mitarbeiter. Das ist für ein Start-Up dieser Kategorie eine nicht zu hohe Anzahl, sondern eher überschaubar. Dennoch ist es komfortabel, dass die Otto Group überhaupt von Anfang an so vielen Mitarbeitern eine Entwicklungschance bietet.

Dass im eCommerce nach wie vor große Wachstumspotentiale vorhanden sind, das ist bekannt und das betrifft nicht nur die Bereiche von Pauschalreisen oder Bekleidung, sondern durchzieht faktisch den kompletten Handel. Aktuell berichtet beispielsweise die Fachzeitschrift Internet World Business vom Hauen und Stechen im Handel mit Tierfutter. Hier habe derzeit ein Portal des Burda Medienhauses aus München, die Nase vorn: Zooplus. Derzeit entfielen "knapp zwei Drittel der Anteile im 400 Millionen Euro schweren Markt der Tierbedarfsversender" auf Zooplus, schreibt das Fachblatt.

Doch Marktanteile könne nur gewinnen, wer mit allen Bandagen kämpfe, so das Fazit von Kristina Schreiber in der Internet World Business. So schreibt sie: "Doch wer auf dem Markt bestehen will, kommt an wettbewerbsfähigen Preisen nicht vorbei. Zumal die Burda-Tochter Zooplus mit ihrer Kampfpreisstrategie mittlerweile die Profitabilitätsgrenze überschritten" habe. So weise das Tierfutterportal mittlerweile einen - für Burda-Verhältnisse - eher überschaubaren Gewinn in Höhe von 3,8 Millionen Euro vor Steuern aus. Im Jahr 2012 habe das Unternehmen hingegen noch einen Verlust von 2,6 Millionen Euro zumindest in den Büchern stehen gehabt.

Wir benötigen deutsche digitale Gegenspieler zu den Amerikanern

Ob aboutyou profitabel wachsen kann, das wird das Spannende an dem neuen Otto-Projekt sein. Dass die Webseite noch weit davon entfernt ist von perfekt zu sein, das hat auch netz-trends.de beim Test gemerkt: Vor allem die Detailansichten der vorgestellten Bekleidungen dauern teils unerträglich lange, ehe sie geladen werden. Das betrifft selbst unterschiedliche Browser wie den Internet Explorer, Mozilla Firefox oder Google Chrome.

Auch wundert man sich, wo die angeblich Tausenden bereitgestellte Artikel sein sollen. Noch ist die Webseite zumindest beim ersten Blick recht überschaubar und wendet sich gegen den Trend, wonach eine Webseite auch im eCommerce-Bereich durchaus sehr lange nach unten gehen darf und soll, möchte sie ihre conversion rate steigern.

Doch wie auch immer: Wir wünschen der Otto Group mit aboutyou guten Erfolg. Denn es kann in niemandes Interesse sein, das die USA in allen Gebieten des Internets stets das Geschäft machen. Wir benötigen deutsche Gegenspieler. Im Bereich des Verkaufs von Bekleidung könnte das die Otto Group sein, wenn sie weiterhin bereit ist, zwar auch riskante Geschäftsmodelle auszuprobieren, aber dennoch stets mit konsequentem Controlling nach Optimierungsmöglichkeiten sucht. Dass try and error ein Prinzip im eCommerce ist – das dürfte sich mittlerweile bei den Controllern der Wirtschaft herumgesprochen haben, die entsprechend fachmännisch ein Projekt wie aboutyou begleiten sollten.

Dass der eCommerce-Markt in Deutschland, Österreich, der Schweiz und weltweit wächst, daran zweifelt niemand. Darauf deuten alleine die Zahlen des Handelsverbands Deutschland (HDE) sowie des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH) hin. Während der HDE von einem Online-Shopping-Umsatz alleine in Deutschland von 38,7 Milliarden Euro für 2013 ausgeht, schätzt der BEVH den E-Commerce-Umsatz für Deutschland im Jahr 2013 auf 48,5 Milliarden Euro. Das sind jeweils angezeigte Steigerungsraten gegenüber dem Vorjahr, also 2012, von 12,2% beziehungsweise 21%.

Auch wenn sich Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein und Leiter des eWeb Research Center in einem Artikel von Susanne Vieser in der Internet World Business vom 14. April 2014 über die Differenz der geschätzten Umsatzzahlen im deutschen eCommerce-Markt ärgert ("Wie kann es sein, dass zwei Verbände dermaßen auseinanderliegen?"), so bleibt doch der Fakt: Irgendwo im Mittel werden die beiden Umsatzzahlen und Wachstumsraten liegen. Gegenüber netz-trends.de betont ein sehr guter eCommerce-Kenner eines der größten Online-Unternehmens in Deutschland, wonach es "sehr auf die eCommerce-Branchen" ankomme. So wachse beispielsweise der Online-Reisemarkt, auch der Online-Modemarkt, stärker als der Online-Vertriebsmarkt für Möbel.

Ob es aboutyou gelingt, beim Verbraucher, den Kunden, nachhaltig zu agieren und einen Mehrwert zu schaffen und zu vermitteln, das bleibt abzuwarten. Eines ist klar: Der Kunde mag simple Lösungsvorschläge für seine Bedürfnisse. Verquaste Erklärungen über angeblich neue Geschäftsmodelle helfen den Kunden nicht. Doch auch hier möchten wir relativierend hinzufügen: Wenn es hilft, um damit gerade in der Anfangsphase besser in die Medien zu kommen, mögen wir auch zu dem bekannten Satz tendieren: Manchmal heiligt der Zweck die Mittel.

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