Vom Widerspruch zwischen Beziehungswunsch und Freiheitswunsch

Die Love and Peace-Bewegung der 1968er Jahre war wohl der erste Meilenstein, den die westliche Welt brauchte, um veraltete Ansichten und Sitten rund um Beziehungsbilder ein wenig aufzuweichen. In den Jahren nach 1968 nahm die Emanzipierung der Frau an Bedeutung zu. Das Schlagwort des Feminismus macht seither immer und immer wieder in den Medien die Runde. Die bekannteste Feministin ist dabei in Deutschland Alice Schwarzer.

Foto: cc
Gebunden und doch frei - so stellen sich viele ihre Beziehung vor.

Für viele Menschen ist ein Leben ohne eine Beziehung zu einem Menschen, den man liebt, unvorstellbar. Dennoch haben sich im Laufe der Jahrzehnte, ja Jahrhunderte, die Beweggründe, weshalb man eine Beziehung fürs Leben eingeht, grundlegend geändert, ebenso die Rollenverständnisse.

Alice Schwarzers Zeitschrift Emma verkörpert den Anspruch, den moderne Frauen an sich selbst innerhalb der Gesellschaft haben, von Ausgabe zu Ausgabe aufs Neue.

Es waren die Feministinnen, die die Rolle einer Frau, einer Hausfrau, grundlegend in Frage stellten. Ihre These: Die Frau müsse heraus aus der Hausfrauenlethargie. Eine Frau, heißt es seither, müsse sich vor allem selbst verwirklichen – als Mensch, als berufliches soziales Wesen.

Früher hieß das klassische soziale Rollenspiel: Heirat, Kinder und eine lebenslange Verbindung – bis dass der Tod Euch scheidet. Doch wie stark sich das geändert hat, lässt sich daran ablesen, dass in Deutschland rund ein Drittel aller Ehen innerhalb der ersten sieben Jahre wieder geschieden werden – trotz Kinder. Das Schlagwort für solche Familien lautet modern Patchworkfamilie. Das steht aber vor allem für eines: Dass faktisches jedes Familienmitglied als jederzeit austauschbar angesehen wird.

Sinn und Zweck

Es ist eigentlich noch nicht lange her, da wurde die "romantische" Liebe erfunden. Natürlich würde man sagen, dass man lieber mit jemandem zusammen ist, den man liebt, jedoch machen romantische Filme, Lieder und Liebesromane es uns schwer, vor lauter Schnulzen auch noch die Realität zu sehen. Was ist, wenn das Verliebtsein einmal nachlässt? Wir brauchen also auch noch andere Werte außer der Illusion der ewigen Liebe. Verlässlichkeit und tatsächlich auch einen Nutzen. Frauen sind nicht mehr abhängig von ihrem Ehemann. Das heißt, Geld ist nicht mehr dermaßen wichtig für sie – sie verdienen es selbst. Da gilt es zu schauen, was eine Beziehung sonst noch für Vorteile haben kann.

Hin und weg

Gemeinsame Interessen und Unternehmungen oder aber auch gemeinsame Ziele werden immer wichtiger in einer Beziehung, die nicht mehr von der Abhängigkeit des einen zum anderen geprägt ist. Die Abhängigkeit ist weg, wir wissen jedoch noch immer eine gewisse Stabilität zu schätzen.

Was jedoch trotz der Stabilität immer wichtiger wird: die eigenen Freiräume. Wenn man sich in der Beziehung nicht mehr selbst verwirklichen kann, dann sieht es schlecht aus mit der Zukunft. Die neue Freiheitsliebe ist sicherlich einer der Mitauslöser dafür, dass immer weniger Ehen geschlossen werden. Diese Zwickmühle aus Stabilitätsbedürfnis und Freiheitssehnsucht, wie wir sie heute schon kennen - das wird wohl auf Dauer gesehen nicht einfacher, sondern eher schwieriger zu managen sein.

Mono, Poly, Homo, Hetero?

Wir werden immer älter. Vielleicht stirbt unser Lebenspartner und wir sind aber erst 50 oder 60 Jahre alt. Vielleicht haben wir noch zehn, zwanzig oder dreißig Jahre zu leben. Und das wollen wir alleine fristen? Kommt nicht infrage. Schon allein deswegen haben die Menschen heute im Durchschnitt mehr Partner als früher. Sie leben einfach länger.

Ganz abgesehen von der Zahl der Partner die man in seinem Leben haben wird, hat sich auch die Beziehungsmoral geändert. Plötzlich hört man von offenen Beziehungen und von Polygamie, oder von Polyamorie. Sicher sind diese Formen nicht die Regel und werden es wohl auch in näherer Zukunft nicht sein, man hört jedoch immer häufiger davon und laut einem Interview in Focus Online gibt es in Deutschland bereits 10.000 Menschen die polyamor leben, wobei polyamor so viel bedeutet wie "Viel-Liebe", man liebt also nicht nur einen, sondern mehrere Menschen.

Auch in Sachen gleichgeschlechtlicher Liebe sind wir aufgeschlossener geworden. Es gab sie schon immer, sie wurde jedoch vor allem durch unsere Religion verdammt, die uns berichtet, dass nur Mann und Frau zusammengehören. Hierbei ist jedoch trotz aller Aufgeschlossenheit noch ein langer und steiniger Weg zu gehen, vor allem in Bezug auf die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare.

Differenziertes Stelldichein

In Zeiten, in denen es rund 3 bis 8 Prozent der Menschen in westlichen Gesellschaften recht egal ist, mit wem eine Beziehung geführt wird - ob mit Männlein oder Weiblein - ist auch der Rest im Allgemeinen freizügiger geworden. Die Zeitschrift Amica griff dieses Thema zum Jahresanfang auf und stützte sich hier auf eine Umfrage der C-Dating-Seite firstaffair. Diese besagt, dass Sex mit einem Unbekannten ganz oben auf der Liste der Phantasien der Deutschen stehen – mehr bei den Männern als bei den Frauen, aber auch bei den Frauen befindet sich dieser Wunsch auf Platz eins der heimlichen Sehnsüchte.

Auf dem zweiten Platz folgt der “flotte Dreier” und an dritter Stelle der heimlichen Phantasien folgen bereits – man mag es kaum glauben - die Fesselspiele. Die häufigsten Wünsche haben hier also mit dem Kontakt zu weiteren Personen zu tun. Ob wir unsere Phantasien nun Phantasien sein lassen oder in die Tat umsetzen – der Trend zu mehr Freizügigkeit zeichnet sich immer stärker ab.

Klassisches Kennenlernen? Keine Zeit.

Natürlich: Es gibt sie noch, die Paare, die sich über Bekannte, auf einer Party oder im Urlaub kennengelernt haben. Es gibt jedoch auch eine beachtliche Anzahl – Tendenz steigend – an Leuten, die online auf Suche nach dem Partner gehen. Die beiden häufigsten Gründe? Zu viel Arbeitsstress oder alleinerziehend mit wenig Zeit, um auch noch auszugehen. Wenn man einem Bericht des Berliner Tagesspiegels glauben darf, sollen die sogenannten "Internet-Ehen" sogar ein wenig glücklicher sein, als bei Paare, die sich auf herkömmlichem Wege kennengelernt haben.

Zusammenfassung

Der Grundtenor unserer Beziehungen entwickelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit wie folgt: Die Ehe wird wohl längerfristig gesehen ein Auslaufmodell, wir werden freizügiger, werden im Laufe unseres längeren Lebens mehr Partner haben und wissen an einem zukünftigen Partner nicht nur ein Gefühl der Sicherheit zu schätzen, sondern vor allem die Freiheit, die er oder sie uns auch in der Bindung noch belässt. Dennoch wird auch künftig für viele Menschen gelten: Wir bleiben zusammen, bis dass der Tod uns scheidet. Denn trotz der Sehnsucht nach Freiheit ist die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit ein Trieb des Menschen der ewig bestehen wird.

Gefällt mir
0